Gestrandete Studierende und eilige Bürokratie
Rund 65 junge Menschen aus dem Ausland haben sich für das kommende Semester um einen Gaststudien-Aufenthalt an der Uni Halle beworben. Das sind trotz einer um einen Monat verlängerten Bewerbungsfrist rund ein Drittel weniger als in „normalen“ Zeiten – und noch ist nicht klar, ob sie tatsächlich alle kommen können oder wollen. Zum einen, erzählen Gritt Eisenkopf und Anna Kostov aus dem International Office der MLU, haben einige Partnerunis den Austausch aufgrund der Corona-Pandemie ausgesetzt. Zum anderen mehren sich im Ausland die Sorgen, dass das Wintersemester 2020/21 kein Präsenzsemester wie eigentlich geplant werden könnte – bei einem weiteren Digitalsemester würden viele noch abspringen, vermuten beide.
Dazu stellen sich zahlreiche Detailfragen: Wo zum Beispiel könnten Gaststudierende in Quarantäne gehen, wenn diese bei der Anreise nötig wäre? Denn schon vor Corona war es laut Eisenkopf so, dass viele Studierende noch gar keine Unterkunft haben, wenn sie in Deutschland ankommen. Noch wisse sie nicht, wie in diesen Fällen beraten werden soll, sagt die Referentin für internationale Studierende.
Seit Beginn der Pandemie wurde das International Office mit sehr unterschiedlichen Problemen - und nicht weniger kniffligen konfrontiert. Von 50 für das Sommersemester neu angemeldeten Gaststudierenden hat die Hälfte komplett abgesagt, 13 haben den Aufenthalt verschoben, zwölf wurden immatrikuliert und konnten online studieren, auch wenn sie nicht hier waren. Auf der anderen Seite gab es Studierende, die bereits hier waren und im März in aller Eile noch versucht haben, in ihre Heimatländer zurückzureisen. In vielen Fällen habe man ihnen helfen können, erinnert sich Eisenkopf. Zum Beispiel, wenn es um die Auflösung von Sperrkonten ging, mit denen die Betreffenden vor Studienantritt nachweisen müssen, dass sie ihr Leben in Halle finanzieren können. Die Ausländerbehörde muss dieser Kontenauflösung zustimmen, vor dem begehrten letzten Flug. Die Behörde sei sehr entgegenkommend gewesen, so Eisenkopf.
Derzeit hofft sie, auch ein anderes Problem lösen zu können: das eines indischen Studenten, der Anfang März nach Hause reiste und wegen Corona sehr wahrscheinlich nicht mehr nach Deutschland zurückkommen können wird, bevor seine Aufenthaltserlaubnis abläuft. Ob in diesem Fall geholfen und so verhindert werden kann, dass der Student ein monatelanges aufwändiges Prozedere zur Beantragung des Einreisevisums erneut durchlaufen muss, ist noch völlig unklar.
Nicht zuletzt gab es Probleme mit plötzlich wegbrechenden Nebenjobs bei hiergebliebenen Studierenden. Die Möglichkeiten des International Office in diesen Fällen seien begrenzt, sagen die Mitarbeiterinnen. In einem Fall konnte ein Stipendium verlängert werden, andere Betroffene wurden an den Verein „Hilfe für ausländische Studierende“ oder das Studentenwerk vermittelt. Sagen zu müssen, dass man nicht helfen könne, sei „schwierig auszuhalten“, so Eisenkopf.
Auch Anna Kostov, zuständig für Austauschprogramme und insbesondere die Studierenden, die von Halle aus ins Ausland gehen wollen, hatte es mit finanziellen Fragen zu tun. Sie erzählt vom Fall einer Studentin aus Halle, die auf der Insel La Réunion, einem französischen Übersee-Département, war. Als ihr die aussichtslos scheinende Heimkehr endlich gelang, war unter anderem die Rückzahlung der Mietkaution für eine Wohnung offen. „Das lässt sich aus der Ferne wahnsinnig schwer regeln“, so Kostov – ist aber mit Hilfe der Gastuniversität gelungen. Von den mehrheitlich in EU-Ländern weilenden MLU-Studierenden sei anfangs rund ein Drittel zurückgekehrt, mit der Zeit wurden es mehr.
Nun haben sich knapp 200 junge Menschen für einen Gastaufenthalt im europäischen Ausland im kommenden Semester beworben. Ein Fünftel habe aber bereits angekündigt, ihn verschieben zu wollen. Und: Länder wie Norwegen oder Finnland haben den Austausch ausgesetzt, Großbritannien wackele, große Städte würden häufig absagen – und jeden Tag gibt es neue Entwicklungen. „Was ich merke ist, dass ich viel mehr Aufwand habe im Abwickeln, Umwickeln oder Neustrukturieren der studentischen Mobilität“, sagt Kostov.
Schwieriger ist auch die Beratung von Studierenden, die nicht oder nicht gut Deutsch sprechen. Aktuell finden Sprechzeiten nur telefonisch oder per Mail statt. „Die Sprachbarriere ist am Telefon noch größer“, sagt Eisenkopf. Dass es nicht auf alle Anfragen jetzt schon eine Antwort geben kann, macht die Situation dann nicht einfacher. „Das ist für uns alle sehr unbefriedigend.“ Kostov hat dennoch einen Rat an MLU-Studierende, die ins Ausland wollen. „Reisen ist zwar jetzt sicher das Letzte, woran man denkt“, sagt sie. Ein Gastaufenthalt müsste aber ein Jahr im Voraus geplant werden. Ihr Tipp: „Wahrt die Fristen und tut so, als ob es geht.“
Studie: Corona und die Studierendenmobilität
Wie haben sich die Schließung vieler Präsenzangebote und Reisebeschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie auf den internationalen Studierenden-Austausch ausgewirkt? Antworten auf diese Frage gibt eine neue Studie des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD). Von Ende April bis Mitte Mai wurden dafür International Offices und Akademische Auslandsämter an 268 Hochschulen befragt. Bei knapp zwei Drittel davon konnten internationale Studierende ihr Studium aufgrund von Reisebeschränkungen nicht wie geplant beginnen oder fortsetzen, an ebensovielen Hochschulen sagten Studierende im Sommersemester geplante Auslandsaufenthalte ab. Die detaillierten Ergebnisse gibt es hier: DAAD-Studie