Gibt es ein Sozial-Gen bei Bienen?

08.09.2015 von Tom Leonhardt in Forschung, Wissenschaft
Sie leben in großen Völkern, kleinen Gruppen oder als Einzelgänger. Das Sozialverhalten von Bienen ist je nach Art extrem unterschiedlich. Ein internationales Forscherteam hat nach den genetischen Grundlagen dafür gesucht und herausgefunden: Es gibt kein einzelnes Gen, das darüber entscheidet, ob Bienen in Gruppen oder alleine leben. Damit hat es das Team aus über 50 Forschern ins Fachjournal „Science“ geschafft. Unter den Autoren: Vier Wissenschaftler der Uni Halle.
Nicht alle Bienen leben sozialen Völkern zusammen. Die Luzerne-Blattschneiderbiene ist ein Einzelgänger.
Nicht alle Bienen leben sozialen Völkern zusammen. Die Luzerne-Blattschneiderbiene ist ein Einzelgänger. (Foto: Peggy Greb, Public Domain)

Alles begann in China vor ein paar Jahren: „Auf einer Konferenz habe ich Karen Kapheim aus Illinois getroffen“, erinnert sich Dr. Eckart Stolle. Damals war Stolle, der heute an der Queen Mary University London forscht, Doktorand am Lehrstuhl für Molekulare Ökologie in Halle. Kapheim hatte die Idee, das Genom, also das Erbgut verschiedener Bienenarten miteinander zu vergleichen. Sie wollte herausfinden, ob es gemeinsame genetische Grundlagen für die Evolution des hoch entwickelten Sozialverhaltens bei Bienen gibt.

„Bei einigen hoch sozialen, staatenbildenden Bienenarten, wie der Honigbiene, geben die Arbeiter ihre Fähigkeit zur Reproduktion auf, nur die Königin zeugt Nachkommen. Bei Wildbienen ist das nicht der Fall“, berichtet Dr. Bernhard Kraus, der heute als wissenschaftlicher Leiter des Zentrallabors am Universitätsklinikum Halle arbeitet. Bis 2013 war er auch Mitarbeiter am Institut für Biologie. „Das ist spannend, weil die verschiedenen Arten die gleichen Vorfahren haben, aber ihr Sozialverhalten komplett anders ist.“

Dr. Eckart Stolle
Dr. Eckart Stolle

Für ihre Forschung analysierte die Gruppe aus Halle das Erbgut von fünf neu sequenzierten Bienenarten und verglich diese mit fünf bereits bekannten Bienen-Genomen. Die Wissenschaftler haben sich dabei besonders auf Transposons, sogenannte springende Gene konzentriert. „Dabei handelt es sich um DNA-Sequenzen, die sich innerhalb eines Genoms bewegen und auch vervielfältigen können“, erläutert Kraus. Diese Gene können sogar von einer Bienenart zur nächsten wandern: „Viren können springende Gene von einem Lebewesen mitnehmen und in das Erbgut ihres neuen Wirts einschleusen“, erklärt Stolle weiter.

Unterstützung für ihre Arbeit bekamen die beiden von ihrem damaligen Chef Prof. Dr. Robin Moritz, der ihnen einen Hochleistungsrechner zur Verfügung stellte, um die riesengroße Datensätze miteinander vergleichen zu können.

Mit Hilfe ihrer Kollegin Sophie Helbing suchten die Biologen nach Mustern und Gemeinsamkeiten in den verschiedenen Genomen. „Wir haben festgestellt, dass diese springenden Gene in sozial hochentwickelten Bienenarten relativ selten vorkommen. Bei solitär lebenden Bienen waren es dagegen viele“, fasst Stolle zusammen. Ob dieser bei den hoch sozialen Bienenarten gefundene Mangel an Transposons nun eine Vorrausetzung für die Evolution staatenbildender Bienen ist oder eine Folge davon, könne man aber nicht daraus ableiten.

Aus einem Jahr Forschung wird ein Absatz

Honigbienen leben in hoch sozialen Völkern zusammen.
Honigbienen leben in hoch sozialen Völkern zusammen. (Foto: emer - lia.com #87457267)

Nach fast einem Jahr der Analyse fassten die Forscher aus Halle ihre Ergebnisse in einem kurzen Bericht und mehreren Grafiken zusammen. In der Zwischenzeit hatten auch ihre Kollegen aus den USA, China, Dänemark und zum Beispiel Brasilien ihre Forschung abgeschlossen. Das Ergebnis: Offenbar gibt es nicht das eine Gen, das Bienen sozial macht. Stattdessen ließen sich aber Muster in den sogenannten regulatorischen Netzwerken finden, die für die Aktivität verschiedener Gene zuständig sind. „Diese Netzwerke stellen eine Art Verbund mehrerer Gene dar, die zusammen an- oder abgeschaltet werden“, erklärt Kraus. Je komplexer die soziale Organisation der Bienen ist, desto größer das Netzwerk an gemeinsam regulierten Genen.

Die Ergebnisse der einzelnen Gruppen mussten nun einem relativ kurzen Text zusammengefasst und mit allen 51 Autoren abgestimmt werden. Alle Entwürfe wurden innerhalb der großen Gruppe diskutiert und redigiert. Nach neun Monaten – „sehr schnell für so ein komplexes Thema“ – stand der fertige Aufsatz. Von den drei Seiten der halleschen Biologen sind am Ende nur ein Absatz und ein paar Grafiken geblieben. „Das fühlt sich schon komisch an: Da stehen dann nur noch fünf Sätze, nach einem Jahr Arbeit“, gibt Stolle zu. „Aber dafür sind wir jetzt Mit-Autoren in einem Science-Paper. Das ist toll!“

Welchen Wert hat ein einzelner Autor?

Frank Kraus
Frank Kraus (Foto: Beatrice Ludwig-Kraus)

Publikationen, bei denen sich mehrere Forschergruppen weltweit zusammenschließen, sind in den letzten Jahren immer beliebter geworden. In diesem Jahr wurde am CERN, der Europäischen Organisation für Kernforschung in Genf ein neuer Rekord aufgestellt: 5.154 Autoren waren auf einer 33-seitigen Publikation gelistet. Lediglich neun Seiten davon beschrieben die betriebene Forschung – inklusive der Fußnoten.

„Es sollte nur diejenigen als Autoren geführt werden, die einen wesentlichen Teil der Daten oder der Erkenntnis zum gesamten Paper beigetragen haben“, findet Stolle. Andernfalls handele es sich eher um einen Gefallen unter Kollegen, der zum Beispiel in einer Fußnote erwähnt werden sollte. Dem stimmt auch Kraus grundsätzlich zu. Allerdings gelte in vielen Bereichen der Grundsatz „publish or perish“ – publizieren oder untergehen: Für neue Forschungsprojekte oder unbefristete Arbeitsstellen sind Forscher auf möglichst viele, hochrangige Publikationen angewiesen – auch wenn solche „Community-Paper“, wie Kraus und Stolle sie nennen, dabei eher einen geringeren Stellenwert hätten als Publikationen als Erstautor oder mit wenigen Autoren.

Für die beiden Forscher ist klar, dass sie auch künftig wieder in solchen Forschernetzwerken arbeiten werden. „An sich ist es ein wenig seltsam, dass man mit Kollegen aus aller Welt teilweise enger zusammenarbeitet als mit Kollegen von nebenan“, sagt Kraus. Das liege daran, dass man sich so gezielt die Wissenschaftler aussuchen könne, die sich mit gleichen Themen befassen. Größere Distanzen seien Dank E-Mail, Skype und Co. kein Problem mehr, sodass die Welt, wissenschaftlich gesehen, näher zusammenrücken kann. 

Zur Publikation:

Kapheim et al. 2015. Genomic Signatures of Evolutionary Transitions from Solitary to Group Living. Science, 14.05.2015; DOI: 10.1126/science.aaa4788

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