Halle – Geburtsstadt der Bioethik?
Ungewöhnlich: Besteht doch noch heute international weitgehend Einigkeit darüber, dass die Bioethik in den 1970er Jahren in den USA ihren Anfang nahm. Doch der 1997 wiederentdeckte Aufsatz des evangelischen Theologen Fritz Jahr in der Zeitschrift „Kosmos“ lässt immer mehr Wissenschaftler aufhorchen, denn darin heißt es: „Achte jedes Lebewesen grundsätzlich als einen Selbstzweck, und behandle es nach Möglichkeit als einen solchen!“
Jahr definierte einen sehr offenen Begriff von Leben, bezog neben dem Mensch auch Tiere und Pflanzen in sein Verständnis von Bioethik mit ein. Ein Gegensatz zum amerikanischen Bioethik-Begriff der 1970er Jahre, der den Menschen in den Mittelpunkt stellte. „Wir müssen verdeutlichen, wie wichtig dieser Mann für die Geschichte der Bioethik ist. Jahr ist konzeptuell spannend, weil er enorm moderne Aussagen zur Bioethik macht und damit seiner Zeit voraus war“, erläutert Prof. Dr. Florian Steger.
Der Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin versammelte in der vergangen Woche Wissenschaftler aus der ganzen Welt an der Uni Halle, um gemeinsam mit ihnen über Jahr ins Gespräch zu kommen und dessen Arbeit aus der Perspektive der einzelnen Bereichsethiken zu diskutieren. Veranstalter der Tagung war der „Interdisziplinäre Arbeitskreis für Ethik in der Medizin in Polen und Deutschland“. Die Tagung und der Arbeitskreis werden von der Deutsch-Polnischen Wissenschaftsstiftung gefördert.
Mit dabei die führenden Jahr-Forscher Prof. Dr. Eve-Marie Engels und Prof. Dr. Hans-Martin Sass, die sich bereits seit mehr als zehn Jahren mit dem Theologen und seinen Konzepten beschäftigen. Als erster beschrieb jedoch der Wissenschaftsphilosoph und –historiker Prof. Dr. Rolf Löther im Jahr 1997 Fritz Jahr als den Entdecker des Begriffs und Konzeptes der Bioethik.
Steger selbst stellte Forschungen zur Biografie des Vorreiters an und berichtet: „Eigentlich war er ein ganz einfacher Mann. Trotz seiner guten Ausbildung nahm Jahr aber nur Aushilfstätigkeiten an, arbeitet als Pastor und Lehrer. Auch eine Festanstellung schlug er aus. Das lag wohl auch an seiner Nervenschwäche. Dennoch definierte er diese moderne Auffassung von Bioethik.“
Es gilt nun die Aussage des Theologen in der Forschung zu verbreiten. Eine Aufgabe für Halle. „Überall auf der Welt spricht man bereits über Jahr. Er ist nicht nur ein regionales Thema“, erläutert Steger. „Die Voraussetzung sind ideal, um hier die bioethische Forschung weiter zu etablieren.“ Neben dem Institut für Geschichte und Ethik der Medizin und dem wissenschaflichen Zentrum Medzin-Ethik-Recht, organisieren Studierende eine Ringvorlesung Bioethik.