Hallesche Milben und die Entstehung der Arten
Fleißig wie eine Biene, heißt es oft. Dass auch Hummeln emsig arbeiten, ist weniger bekannt. „Hummeln leisten einen erheblichen Anteil an der Bestäubung“, erklärt Dr. Martin Husemann. Vor einem Jahr ist er von der TU München in die Arbeitsgruppe Allgemeine Zoologie an die Uni Halle gewechselt, die vor allem an der Biodiversität von Bienen und zu den Ursachen des Bienensterbens forscht.
Mit Bienen, Hummeln und Milben hatte sich der Postdoktorand bis dahin eher wenig beschäftigt. „Aber die Untersuchungsmethoden der Arbeitsgruppe hier passen sehr gut zu meinen eigenen“, sagt er. Denn egal, ob Vogel, Fisch oder Insekt – im Labor mache die Größe des Tieres kaum noch einen Unterschied. „Jedes Tier wird mit molekulargenetischen Methoden untersucht, um jeweils mehr über die Art, ihre Herkunfts- und Verwandtschaftsverhältnisse zu erfahren.“
In seinem aktuellen Projekt untersucht Husemann die Milben von Wildhummeln, die er im Botanischen Garten und in der Dölauer Heide gesammelt hat. Damit ist er bei einem Artensystem angelangt, über das man erst wenig weiß. „Bei Honigbienen kennt man die Krankheitserreger bereits recht gut und weiß recht viel über die Übertragung durch die Varroa-Milbe. Hummeln und vor allem ihre Milben sind hingegen weniger gut erforscht“, so der Biologe. Ihn interessiert insbesondere, welche Rolle die winzigen Parasiten beim Übertragen von Krankheitserregern spielen.
Jede vierte Hummel von Milben befallen
Insgesamt 150 Hummeln hat er dafür bisher mit seinen studentischen Mitarbeitern im Frühling mit Fangnetzen eingesammelt. „Jede vierte war von Milben befallen“, berichtet er. Jetzt werden die Insekten im Labor genauer untersucht. Forscher der Karl-Franzens-Universität Graz steuern ihr Fachwissen über die Taxonomie der verschiedenen Milbenarten bei.
Ganz unterschiedliche Artensysteme hat Martin Husemann bislang untersucht: Für seine Masterarbeit hat er in Osnabrück die blauflügelige Sandschrecke und die Verwandtschaftsverhältnisse innerhalb dieser Gattung studiert – eine Heuschreckenart, die auch in Halle vorkommt. An der Baylor University in Texas wurde er anschließend über ostafrikanische Buntbarsche promoviert, bevor er an der TU München dann ostafrikanische Vögel erforschte.
Mit Hilfe von DNA-Analysen kann er jeweils zurückverfolgen, wie verschiedene Arten innerhalb eines Artensystems miteinander verwandt sind und wo ihre gemeinsame Herkunft liegt. So lässt sich nicht nur nachvollziehen, an welchem Punkt in der Evolutionsgeschichte eine neue Art entstanden ist. Auch zu den Faktoren, die letztlich zur Artbildung geführt haben, lassen sich mit diesem Wissen Thesen entwickeln.
Was passiert mit Arten, wenn sich das Ökosystem verändert?
„Von der Gattung der Heuschrecken, die ich in Texas untersucht habe, gibt es beispielsweise rund 50 verschiedene Arten in Nordamerika. Wir haben eine weitverbreitete Art mit Vorkommen in Südamerika untersucht und festgestellt, dass in Nordamerika nur eine genetische Linie vorkommt; in Süd- und Mittelamerika dagegen gibt es eine größere Vielfalt mit mindestens drei genetischen Linien.“
Über die Ursache dafür gebe es verschiedene Thesen. „Die wahrscheinlichste ist, dass sich in Nordamerika eine Art ungehindert ausbreiten konnte, während in Südamerika die Tiere zu einem bestimmten Zeitpunkt von ihren Artgenossen getrennt wurden – höchstwahrscheinlich durch die Entstehung von Schneekuppen in den Anden.“ Denn Analysen haben ergeben, dass genau zu der Zeit, als in der Region die Bergkuppen erhoben haben, eine neue genetische Linie entstanden ist.
Fast jede Artbildung lässt sich auf ein Zusammenspiel verschiedener ganz spezifischer Faktoren zurückführen. Und dennoch lassen sich – unabhängig von den jeweiligen Artensystemen – Parallelen erkennen. „In erster Linie ist die Artbildung vom jeweiligen Ökosystem und der geographischen Ausgangslage abhängig.“
Angesichts von Klimawandel und Artensterben sei das ein ganz entscheidender Punkt seiner Forschung, betont Husemann: „Mit Hilfe dieser Analysen lässt sich verstehen, welche Folgen die Veränderung des Ökosystems auf die Arten haben kann und wie sich der Klimawandel auf das Schicksaal heimischer Arten auswirken könnte.”
Für seine Forschung zu den Mechanismen der Artenbildung wurde der Evolutionsbiologe in diesem Jahr bereits mit dem R.J.H. Hintelmann Wissenschaftspreis für Zoologische Systematik ausgezeichnet. Der mit 5.000 Euro dotierte Preis gehört zu den am höchsten dotierten Ehrungen in der Biologie in Deutschland. Insbesondere die Vielfalt der Methoden und Artensysteme sowie die hohe Zahl an wissenschaftlichen Veröffentlichungen seien laut Jury für die Auszeichnung ausschlaggebend gewesen.
Vorlesungsreihe zu Biodiversität, Ökologie und Evolution
Noch bis April 2016 läuft im Hörsaal II am Hohen Weg 4 eine internationale Vortragsreihe rund um die Themen Biodiversität, Ökologie und Evolution. Einmal im Monat referieren Forscher aus dem In- und Ausland jeweils montags, von 16.15 bis 17.15 Uhr in englischer Sprache über aktuelle Forschungsergebnisse. Organisiert wird die Reihe von der AG Allgemeine Zoologie. Der nächste Vortrag mit dem Titel "Addressing the sustainability of beekeeping in the 21st century" findet am 9. November statt. Alle Veranstaltungen auf einen Blick