Große Namen: Hans Ahrbeck
Es war der Befehl der sowjetischen Militäradministration, der nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs den Weg zur Ausbildung einer neuen Generation von Pädagogen freimachen sollte: Am 12. Juli 1946 wurde damit in der Sowjetischen Besatzungszone die juristische Grundlage zur Bildung Pädagogischer Fakultäten geschaffen. Das Ziel: aus „demokratischen Elementen“ die dringend benötigten „qualifizierten pädagogischen Fachkräfte“ auszubilden. Betraut wurde damit an der MLU Hans Ahrbeck. Geboren 1890 in Linden bei Hannover war er zuvor unter anderem als Professor an den Pädagogischen Akademien in Breslau und Halle sowie mehrfach als Lehrer in Magdeburg tätig gewesen und inzwischen bereits 56 Jahre alt. Als er am 1. April 1946 ins Amt kam, war er zugleich zum Professor für Praktische Pädagogik und zum Direktor der Franckeschen Stiftungen berufen worden.
Trotz Ämterfülle schaffte Ahrbeck das scheinbar Unmögliche: Am 1. Oktober 1946 eröffnete an der Pädagogischen Fakultät der Studienbetrieb mit 192 Studierenden für das Grundschullehramt, das damals zum Unterrichten in den Klassen 1 bis 8 befähigen sollte. In seiner Festrede zur Eröffnung der Fakultät am 1. Februar 1947 betonte Ahrbeck seine humanistische Überzeugung und die „Pflicht, die nationalsozialistische Menschenverachtung zu liquidieren“. In seiner Programmatik der Lehrerbildung legte er gleichermaßen Wert auf souveränes Fachwissen und didaktisch-methodische Fähigkeiten. Seinen Studenten riet er, sich ein „wissenschaftliches Steckenpferd“ anzuschaffen, ein kleines Fachgebiet also, „und sollten es die vorsintflutlichen Frösche sein“, auf dem man „unbezweifelbarer Kenner“ sei.
Geschätzt wurde Ahrbeck auch aufgrund seiner moralischen Integrität. So gab die Diplompädagogin Rosemarie Schmidt Jahrzehnte später einer um die Aufklärung politischer Verfolgung während der SBZ und DDR-Zeit bemühten Initiativgruppe der MLU zu Protokoll: „Ich erlebte im Dekanat eine vertrauensvolle, hilfsbereite Arbeitsatmosphäre, die von Ahrbecks Persönlichkeit geprägt war.“ Man habe sich auch „mit schwerwiegenden persönlichen Problemen“ an ihn wenden können.
Unter Ahrbecks Regie entwickelt sich die Pädagogische Fakultät in kurzer Zeit zu einer Institution. Eng damit verbunden war seine Lehrtätigkeit im Bereich Historische Pädagogik. Seine Vorlesungen in diesem Fach fanden üblicherweise im Hörsaal XX des Melanchthonianums statt, sie galten als legendär und waren oft überfüllt, weil sie auch viele Hörer aus anderen Fakultäten anzogen.
Auch strukturell organisierte Ahrbeck die Lehrerbildung neu. Schnell kam er dabei in Konflikt mit der offiziell gewünschten Linie. „Er wollte Lehrer für die die Einheitsschule ausbilden. Sie sollten neben der Didaktik der Unterstufe in einem wissenschaftlichen Fach ein so hohes Niveau erreichen, das sie auch an Oberschulen eingesetzt werden konnten. Damit schlug Ahrbeck einen anderen Weg ein“, sagt Dr. Berthold Ebert, einst wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Erziehungswissenschaften an der MLU. Ebert, Jahrgang 1943, kannte Ahrbeck noch persönlich, denn er war ab 1966 als wissenschaftlicher Assistent bei Ahrbecks zweiter Frau, der Pädagogin Prof. Dr. Rosemarie Ahrbeck-Wothge, tätig. „Hans Ahrbeck war ein sehr humorvoller und musischer Mensch, der sich noch als 90-Jähriger ans Klavier setzte und Bernstein spielte“, erinnert sich Ebert und ergänzt: „Einmal im Jahr wurden die Kollegen der Abteilung ,Geschichte der Erziehung' in das Wohnhaus des Ehepaars Ahrbeck eingeladen. Wir hatten ein ausgesprochen gutes und kollegiales Verhältnis.“
Hans Ahrbeck starb 1981 kurz vor seinem 91. Geburtstag. Er sei „Der Lehrer vieler Lehrer“ gewesen - diese Formulierung prägte seine Ehefrau damals. Berthold Ebert setzte sich später dafür ein, dass in den Franckeschen Stiftungen ein Gebäude nach Ahrbeck benannt wurde. Seit 2007 trägt das Haus, in dem die Erziehungswissenschaften angesiedelt sind, den offiziellen Namen „Hans-Ahrbeck-Haus“. Im Eingangsbereich des Gebäudes hängt auch die Kopie eines Gemäldes, das der Maler Conrad Felixmüller von Ahrbeck angefertigt hat. Das Original gehört ebenfalls der Universität.
Der Weg zur Namensgebung für das Gebäude war lang, erinnert sich Ebert. Mit ihr würdigten Franckesche Stiftungen und Universität Ahrbecks wissenschaftliche Leistung und moralische Integrität gleichermaßen, denn er war in Zeiten politisch determinierter DDR-Pädagogik ein bürgerlich-humanistischer Gelehrter geblieben. Als Mitglied des „Spirituskreises“ versuchte er, auf die Universitätspolitik Einfluss zu nehmen, und geriet so ins Visier der Staatsmacht. Die aus zwölf Professoren bestehende bürgerliche Gelehrtenvereinigung war nach einem Besuch von DDR-Staatschef Walter Ulbricht verboten und Ahrbeck zum 1. Januar 1958 gegen das Votum der Philosophischen Fakultät in den Ruhestand versetzt worden.
Was bleibt, ist Ahrbecks großes wissenschaftliches Erbe: Er war Mitherausgeber einer kritischen Diesterweg-Ausgabe, außerdem lieferte er umfangreiche Arbeiten zu weiteren Pädagogen oder Philosophen, unter ihnen Johann Amos Comenius, Christian Wolff und August Hermann Francke. „Er war ein profunder Kenner seines Fachs und er bemühte sich, die Franckeschen Stiftungen in ihrem Kernbestand zu erhalten“, so Ebert. Wer den Umgang der DDR mit historischer Bausubstanz noch vor Augen hat, ahnt, wie schwer das gewesen sein muss.
Das Grab des Ehepaars Ahrbeck befindet sich auf dem Gertraudenfriedhof in Halle, es wird heute noch von Berthold Ebert gepflegt. Während eines Festkolloquiums an der MLU zu Ehren beider Pädagogen vor mehr als 20 Jahren hat er zudem eine Winterlinde in den Franckeschen Stiftungen gepflanzt. „Sie ist inzwischen zu einem starken Baum herangewachsen.“
Große Namen
Die Geschichte der Universität ist mit vielen bekannten Namen oder großen Ideen verbunden. Nicht immer hat jeder sofort die Fakten parat, die sich dahinter verbergen. Das soll sich an dieser Stelle ändern: Die Rubrik "Große Namen" erinnert an herausragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Universitätsangehörige aus Halle.