Initiative für wissenschaftlichen Nachwuchs: „Der offene Brief war ein erster Impuls“

30.06.2015 von Corinna Bertz in Studium und Lehre, Hochschulpolitik, Campus
„Wir lassen uns das nicht länger bieten!“ – ist der offene Brief an die Landesregierung überschrieben, den fünf Promovierende und ein Postdoktorand der Universität Halle am 17. Juni veröffentlicht haben. Darin schildern sie prekäre Arbeitssituationen und beklagen fehlende Perspektiven für den wissenschaftlichen Nachwuchs. Im Interview spricht Dr. Hilmar Preuß - Autor des Briefs und Sprecher der Initiative - über erste Reaktionen und die weiteren Pläne der Verfasser.  
Dr. Hilmar Preuß
Dr. Hilmar Preuß (Foto: Corinna Bertz)

Wie ist der offene Brief entstanden?

Hilmar Preuß: Was wir von der Landesregierung vermissen, ist eine Initiative zur Stärkung des akademischen Bereichs – eine Stärkung der Hochschulabsolventen und Postdoktoranden. Die Bedingungen im Wissenschaftsbetrieb führen derzeit zu prekären Arbeitssituationen und zu Karrierebrüchen. Diese jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind an einem Punkt im Leben, wo auch die Familienplanung stattfinden soll. Die Diskussionen um Kürzungen und Stellenstreichungen an den Fakultäten waren für uns der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Denn solche Kürzungen bedeuten neben einer weiteren Aushöhlung der Wissenschaftsfreiheit und Untergrabung der akademischen Selbstverwaltung auch, dass Arbeitsplätze für Wissenschaftler in Sachsen-Anhalt vernichtet werden. Wenn die Landesregierung einen Großteil der zur Stärkung der Hochschulen in der Bundesrepublik zusätzlich und langfristig von der Bundesregierung bereitgestellten Millionenbeträge im Landeshaushalt zweckentfremdet, dann halten wir diese Hochschulpolitik für schädlich. Das wollten wir mit unserem Brief zum Ausdruck bringen. Die erfolgreichen, bundesweit und auch international renommierten Hochschulen in Sachsen-Anhalt – allen voran ihre ehrwürdigste Alma Mater – sollten diese vielschichtigen Problemkonstellationen offen diskutieren, nach nachhaltigen Lösungswegen suchen und nicht durch immer neue Umstrukturierungen das allen offensichtliche Grundübel zu kaschieren versuchen.

Wer sind die Verfasser?

Der Kern hat sich aus der Promovierenden-Initiative heraus entwickelt. Einige von uns sind bereits Postdocs. Wir wollten eine bewusst große Gruppe umfassen – Doktoranden, Postdoktoranden und Juniorprofessoren sind bislang nur wenig vernetzt.

Warum haben Sie die Form des offenen Briefs gewählt?

Der Brief war ein erster, kurzfristiger Impuls. Wir haben Probleme beschrieben, die bekannt sind, aber wir haben es erstmals gewagt, diese Situation ungeschminkt zu beschreiben. Jetzt sind wir dabei, ein landes- und bundesweites Netzwerk zur Wissenschaftspolitik aufzubauen. Eine Lösung kann es nicht nur auf landespolitischer Ebene geben. Wir glauben, dass auf Bundesebene etwas geschehen muss.

Welche Reaktionen gab es bisher?

Anfangs waren wir nur eine Handvoll junger Wissenschaftler, nach dem Brief haben uns bereits zwei bis drei Dutzend Unterstützer ihre aktive Mitarbeit zugesagt. Der Tenor der Reaktionen war überwiegend: Endlich sagen junge Wissenschaftler einmal, wie prekär sich ihre Situation gestaltet. Zugleich waren viele der Meinung, wir hätten einiges anders formulieren können. Wir hatten uns aber bewusst für diesen emotionalen, vielleicht ein wenig polemischen Stil entschieden, um auf diesem Weg auch die Medien zu erreichen. Eine zweite Reaktion war die Erwartung an uns, nun konkrete Forderungen zu benennen. Diese Erwartungshaltung wollen wir nutzen, um eine Onlineplattform aufzubauen, die zeigt, wie viele unser Anliegen unterstützen. Wir wollen die Initiative für den wissenschaftlichen Nachwuchs langfristig weiterentwickeln. Die Landesrektorenkonferenz und auch Prorektor Michael Bron haben bereits Gesprächsbereitschaft signalisiert. Die Landesregierung hat bislang nicht auf unseren Brief geantwortet.

Eine Woche nach Ihrem Brief meldete Wissenschaftsminister Hartmut Möllring aber, dass die Graduiertenförderung aufgestockt wird. Werten Sie das als ersten Erfolg?

Es zeigt eher, dass das Land unsere Situation nicht verstanden hat. Es ist aus meiner Sicht die falsche Antwort, um die Elite im Land zu halten. Herr Möllring wird kaum glaubhaft machen können, dass es ihm gelingt, exzellente Akademiker mit 1.100 Euro im Monat im Land halten oder gar aus anderen Bundesländern und dem Ausland nach Sachsen-Anhalt locken zu können.

Vergangene Woche haben Sie ein erstes Treffen veranstaltet, für alle, die Ihr Anliegen interessiert. Was hat sich daraus ergeben?

Dieses erste Treffen hatten wir sehr kurzfristig angesetzt. Es war eine Reaktion auf die vielen Anfragen von Menschen, die uns unterstützen wollen und wir haben vor allem Erwartungen gesammelt. Es ist uns gelungen, in der Promovierenden-Initiative für neuen Schwung zu sorgen und zugleich mehr Postdocs aus ganz verschiedenen Disziplinen zu erreichen. Letzteres war uns sehr wichtig, um zu zeigen, dass dieses Thema nicht nur Geistes- und Sozialwissenschaftler betrifft. Für den 15. Juli laden wir jetzt zu einem Vernetzungstreffen des gesamten wissenschaftlichen Nachwuchses an der Martin-Luther-Universität ein. Die Einladung richtet sich auch Vertreter der anderen Hochschulen und Forschungseinrichtungen in unserem Land.

Mit welchem Ziel?

Wir werden Promovierende und junge Wissenschaftler aus ganz Sachsen-Anhalt einladen. Wir wollen die Gründung eines Promovierendenrats an der Universität Halle vorbereiten, der zu einem anerkannten Sprachrohr der Promovierenden werden soll. Parallel dazu müsste eine ähnliche übergreifende Entwicklung für Wissenschaftler vor, während und nach der Promotion eintreten. Denkbar wäre eine landesweit vernetzte Vertretung für den wissenschaftlichen Mittelbau, der auch Habilitierende und Drittmittelbeschäftigte umfasst. Es gibt bereits Hochschulen, an denen eine solche aktive Mittelbauvertretung etabliert ist. Auch an der Universität Halle gibt es bereits informelle Strukturen engagierter Mittelbauvertreter, die als mögliche Basis für eine zeitgemäße und aufgabengerechte Weiterentwicklung dienen könnten.

Aktuelle Informationen zum Thema auf den Seiten der Promovierenden-Initiative Halle

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