Internationalisierung zu Hause
Dass zwei Lehrerinnen gemeinsam eine Klasse unterrichten, kommt im Schulalltag nicht häufig vor. Für die Studentin Aglaya Weidner war es eine Erfahrung, die sie nicht missen möchte: „Gemeinsam zu unterrichten sollten Lehramtsstudierende unbedingt ausprobieren und üben.“ Die 38-Jährige kommt ursprünglich aus Kolumbien und studiert im elften Semester Spanisch und Englisch auf Gymnasiallehramt an der Universität Halle. Sie ist eine der Studierenden, die am internationalen Co-Teaching des Projekts zur „Internationalisierung der Lehrer*innenbildung“ teilgenommen haben. Zusammen mit ihrer Kommilitonin Lisa Bireche, die im neunten Semester Spanisch und Französisch auf Gymnasiallehramt studiert, hat sie im Sommer am Gymnasium in Landsberg mehrere Schulklassen für insgesamt zehn Stunden im Fach Spanisch unterrichtet.
Das Angebot kann im Rahmen der Schulpraktika in Anspruch genommen werden. „Es bietet den Studierenden die Möglichkeit, durch die interkulturelle Zusammenarbeit alternative Unterrichtsmethoden und Vorstellungen von Schule kennenzulernen“, sagt Dr. Anne Fett, die das Teilprojekt zur Internationalisierung gemeinsam mit ihrem Kollegen Peter Grüttner am Zentrum für Lehrerbildung (ZLB) leitet. Neben dem Co-Teaching werden noch viele weitere Kurse angeboten, mit denen die Internationalisierung vor Ort gefördert wird. Dazu zählen zum Beispiel auch das Modul „Schule bei mir Zuhause“, in dem internationale Gäste über ihr Herkunftsland und den Schulalltag berichten, oder der Kompaktkurs „Arabisch im Klassenzimmer“, der sowohl Sprache als auch landeskundliches und schulbezogenes Wissen vermittelt. „Aktuelle Studien vom Deutschen Akademischen Austauschdienst und vom Stifterverband zeigen, dass Lehramtsstudierende im Vergleich zu Studierenden anderer Fachbereiche deutlich seltener innerhalb des Studiums ins Ausland gehen“, so Anne Fett. „Deshalb besteht ein hoher Bedarf, die fehlenden interkulturellen Erfahrungen zu Hause nachzuholen.“
Das Co-Teaching wird seit März 2018 in jedem Semester angeboten. Im Vorfeld nehmen die Studierenden an einem Einführungsseminar teil, in dem sie ihre Tandem-Partner kennenlernen und theoretische Grundlagen erarbeiten. Danach folgen die gemeinsame Unterrichtsvorbereitung und die Praxisphase in den Schulen. „Wir hoffen, dass die Studierenden in dieser Situation erkennen, dass Schule nicht überall gleich ist. Für Lehrerinnen oder Lehrer ist es wichtig, für das Wirken von Sprache, aber auch für das Wirken von Stereotypen, die wir unbewusst oder bewusst vermitteln, sensibilisiert zu sein. Das ist ein Soft Skill, den man schwer messen kann, aber bei dem man deutlich merkt, wenn er nicht vorhanden ist“, erklärt Peter Grüttner.
Im Anschluss an den Unterricht folgen Gespräche mit der Projektkoordinatorin, um zu reflektieren, was gut funktioniert hat und wo Probleme aufgetreten sind. „Ich habe aus dem Projekt mitgenommen, mit schwierigen Situationen während des Unterrichtens oder bei der Vorbereitung anders umzugehen. Voneinander in der Praxis zu lernen und das eigene Handeln dabei immer wieder zu hinterfragen, ist sehr hilfreich gewesen“, erzählt Lisa Bireche. „Denn wenn ich bei den Schülern interkulturelle Kompetenzen fördern möchte, muss ich bei mir selbst anfangen und mich solchen Situationen immer wieder stellen. Das Co-Teaching bietet diese Chance“, so die 25-jährige. Positiv blickt auch Aglaya Weidner auf das Projekt zurück. „Wir haben beide einen sehr unterschiedlichen Lehrstil. Durch die Zusammenarbeit mit Lisa habe ich vieles kennengelernt, was ich aus meiner Heimat noch nicht kannte, aber was an den Schulen in Deutschland als Routine gilt“, sagt sie.
Nicht nur Studierende, sondern auch Promovierende der Universität, Lehrerinnen und Lehrer aus anderen Ländern oder Lehrkräfte, die in einem anderen Land zur Schule gegangen sind, können am Co-Teaching teilnehmen. „Zu uns kommen tagtäglich Lehrer mit jahrelanger Berufspraxis aus Ländern wie der Türkei oder Syrien. Und wir sehen, dass sie hier einen schweren Weg zur Anerkennung ihrer Abschlüsse haben“, erzählt Anne Fett. „Sie möchten sich einbringen, was für beide Seiten – die Studierenden und die internationalen Tandem-Partner – einen großen Mehrwert bietet.“ Auch Aglaya Weidner hat die Lehramtsausbildung in ihrem Heimatland bereits abgeschlossen und für mehrere Jahre in Kolumbien und den USA gearbeitet. „Um in Deutschland arbeiten zu können, muss ich noch einmal studieren. Die Uni Halle erlaubt meine Fächerkombination und hat mir viele Leistungen aus meinem früheren Studium anerkannt“, sagt sie. „Ich finde es schön, dass die Uni Projekte wie diese umsetzt.“ Für die Teilnahme an den Kursen erhalten die Studierenden Zertifikate.
„Grundsätzlich besteht für das Lehramt das Problem, dass die Studienpläne mit zwei Fächern und dem bildungswissenschaftlichen Grundlagenstudium schon ziemlich voll sind. Gerade die sprachliche und kulturelle Sensibilisierung bleibt oft außerhalb der Curricula“, so Peter Grüttner. Die Hochschulrektorenkonferenz habe das Projekt interessant gefunden, weil es die Studieninhalte ergänzt, ohne zusätzlichen Platz im Curriculum einzunehmen. Aber: „Unser Wunsch für die Zukunft ist, den Erwerb dieser Kompetenzen zum verpflichtenden Bestandteil des Lehramtsstudiums zu machen.“ Für die nächsten Semester ist geplant, noch mehr Fachdidaktiken anzusprechen, um ein breiteres Bewusstsein für das Thema zu schaffen.
Vorbereitung auf inklusiven Unterricht
Die „Internationalisierung der Lehrer*innenbildung“ ist Teil des Projekts „Kasuistische Lehrerbildung für den inklusiven Unterricht“ (KALEI) an der Universität Halle. Darin werden angehende Lehrerinnen und Lehrer seit 2016 im Studium auf inklusiven Unterricht vorbereitet und für die verschiedenen Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen sensibilisiert. Das Projekt wird im Rahmen der „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ gefördert, die 2013 in der gemeinsamen Wissenschaftskonferenz von Bund und Ländern ins Leben gerufen wurde. Die Initiative unterstützt nachhaltige Reformen in der Lehrerbildung, mit denen Studierende besser auf die künftigen Anforderungen der Schulpraxis vorbereitet werden sollen. In der zweiten Phase des Programms stehen ab 2019 rund 1,5 Millionen Euro für KALEI zur Verfügung.
Weitere Informationen zum internationalen Co-Teaching sind im Expertise-Manual „Internationalisierung zu Hause in der Lehrerbildung“ auf der Website der Hochschulrektorenkonferenz zu finden.Einen Überblick über das Teilprojekt gibt es auf der Seite des Zentrums für Lehrerbildung.