Preisgekrönte Arbeit: Juristin möchte Reform der Fortpflanzungsmedizin anstoßen
Was passiert, wenn die Realität den Gesetzgeber überholt? „Eigentlich darf so etwas nicht sein“, sagt Dr. Carina Dorneck, Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und Medizinrecht der Uni Halle. Schließlich sollen Gesetze unser Handeln und Zusammenleben regeln. Dass dem nicht immer so ist, weil die Politik sich an so manches heiße Eisen nicht heranwagt, dafür ist die Reproduktionsmedizin ein aktuelles Beispiel.
Für Carina Dorneck war das ein Grund, sich in ihrer Promotion genauer mit der derzeitigen Rechtslage und den damit verbundenen Problemen zu befassen und Vorschläge für eine Aktualisierung zu erarbeiten. Erstmals mit dem Thema in Berührung gekommen ist sie 2011. Das war kurz nach ihrem Studium an der Universität Augsburg, an der zu jener Zeit auch ihr damaliger und jetziger Chef, Prof. Dr. Henning Rosenau, tätig war. Er lud sie zu einer Forschergruppe ein, die gerade an einem Entwurf zur Neuregelung der Gesetzgebung in der Fortpflanzungsmedizin arbeitete. Dorneck nahm teil und wirkte als eine von zwei Nachwuchswissenschaftlerinnen in dieser Runde mit. Der dabei entstandene Entwurf ist 2013 erschienen und lieferte ihr schließlich eine Grundlage für ihre Promotion.
Ein brandaktuelles Thema
Dass sie mit der Arbeit, für die sie schließlich die Note „summa cum laude“ bekam, nun sogar den Dorothea-Erxleben-Preis der halleschen Universität erhält und außerdem für den renommierten Deutschen Studienpreis nominiert ist, zeigt einmal mehr nicht nur ihre Exzellenz, sondern auch die Brisanz, die in dem Thema steckt. „Es ist brandaktuell“, sagt Carina Dorneck. Denn inzwischen hat sogar die Präsidentin des Bundesgerichtshofs (BGH), Bettina Limperg, den Gesetzgeber dazu aufgerufen, sich endlich mit Fragen der Reproduktionsmedizin zu befassen. Die Mahnung geschah aus gutem Grund: Derzeit entscheide vieles der BGH. „Doch das ist nicht seine Aufgabe“, erklärt Dorneck. Und auch die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina schloss sich dieser Forderung mit einem Diskussionspapier an. Für die Betroffenen ist die Situation mehr als unbefriedigend. „Man merkt, dass der Klärungsbedarf enorm hoch ist“, sagt Carina Dorneck, die im Zuge ihrer Arbeit immer wieder Kontakt zu Betreuern von Hilfsvereinen hatte. Aus diesen Gesprächen weiß sie, wie hoch der Leidensdruck ist.
Doch worüber reden wir überhaupt, wenn wir von ungeklärter Rechtslage im Bereich der Reproduktionsmedizin sprechen? „Das ist ein weites Feld“, gibt die 30-jährige Forscherin zu bedenken. Es geht dabei nicht nur um die Rechte von Regenbogenfamilien, die gemeinsam ein Kind haben wollen. Obwohl dieser Personenkreis stark dazu beigetragen hat, dass die Dynamik weiter zugenommen hat. Denn bisher waren sämtliche Verfahren der assistierten Reproduktionsmedizin lediglich für verheiratete, heterosexuelle Paare zugelassen. Doch jetzt, wo es in Deutschland die Ehe für alle gibt, muss geklärt werden, ob gleichgeschlechtliche Paare diese Verfahren ebenfalls in Anspruch nehmen dürfen. Und warum auch nicht? „Die gesellschaftliche Realität“, so Dorneck, „hat sich verändert. Es gibt andere Modelle von Familie und sie funktionieren genauso gut.“ Davon müsse man sich bei einer Neuregelung leiten lassen. Deshalb hat sie in ihrer Promotion auch für eine Öffnung solcher Verfahren sowohl für gleichgeschlechtliche Paare als auch für Alleinerziehende plädiert. Hinzu kommt: Die so genannte Stiefkind-Adoption steht gleichgeschlechtlichen Paaren längst offen. Das bedeutet: Wenn eine Frau bereits ein Kind hat, darf ihre Partnerin dieses Kind adoptieren. Es sind offene Widersprüche wie dieser, die den Status quo in der Gesetzgebung so angreifbar machen.
Auch heterosexuelle Paare mit Fruchtbarkeitsproblemen sind von der überholten Gesetzgebung betroffen, „etwa dann, wenn sie eine Eizellspende anstreben, die in Deutschland immer noch verboten ist“, erklärt Dorneck. Viele Betroffene, so meint sie, weichen deshalb auf europäische Nachbarländer aus, in denen diese Praxis legal ist, so zum Beispiel in Österreich und Tschechien. Zuvor, so Dorneck, lassen sich manche in Deutschland hormonell stimulieren, was auch die beteiligten Mediziner an ihre Grenzen bringt. Ein deutscher Frauenarzt habe ihr gegenüber geäußert, er bewege sich während seiner Arbeit mitunter am Rand zur Ungesetzlichkeit.
Um solche Widersprüche geht es immer wieder in der Arbeit von Carina Dorneck. In ihrer Promotion hat sie sich eindeutig für die Eizellspende ausgesprochen. „Es gibt Studien, die inzwischen belegen, dass das Kindeswohl dabei nicht gefährdet ist. Die Nachkommen entwickeln sich normal.“ Entscheidend sei nicht die genetische Herkunft, sondern die Stabilität in der Familie. Einzig ein Auskunftsrecht zur genetischen Abstammung sei hier zu formulieren, um dem Kind später die Möglichkeit einzuräumen, sich ein Bild seiner leiblichen Erzeugerin zu machen. Um der Gefahr zu begegnen, dass Frauen ihre Eizellen aus finanzieller Not spenden, empfiehlt Dorneck ein so genanntes Kommerzialisierungsverbot sowie die institutionelle Sicherung. Soll heißen: Eizellspenden dürften nur in zertifizierten Zentren durchgeführt werden und die Spenderin sollte lediglich eine Aufwandsentschädigung, jedoch keinen Lohn erhalten.
Bei ihrer Entscheidung hat sich die Juristin auch vom Gleichheitsgrundsatz leiten lassen. „Denn Männer dürfen ihr Sperma auch spenden“, so Dorneck. Paare, bei denen also der Mann von Unfruchtbarkeit betroffen ist, können sich in Deutschland damit bereits jetzt legal helfen lassen. Ist hingegen die Frau unfruchtbar, bleibt ihr derzeit als einzige Option eine Adoption. Dies, so Dorneck, sei auch vor dem Hintergrund der Geschlechtergerechtigkeit nicht in Ordnung.
Ethische und moralische Problemkreise
Und schließlich geht es in der Arbeit auch um Leihmutterschaft, Präimplantationsdiagnostik, therapeutisches und reproduktives Klonen und um die Keimbahnintervention, bei der direkt in die genetische Struktur eingegriffen wird, um krankhafte Stränge im Erbgut auszutauschen. Dass Juristen sich in der Beschäftigung mit all diesen Fragen in ethischen und moralischen Problemkreisen befinden, liegt auf der Hand. Eine zentrale Frage dabei müsse deshalb auch der Bewertung des Status eines Embryos im Reagenzglas zukommen. Dahinter stecke mitunter natürlich auch die Frage der Selektion, genauer: Welcher Embryo darf unter welchen Bedingungen aussortiert werden und wie alt darf er dabei sein? Carina Dorneck vermutet, dass man sich in Deutschland auch aufgrund der nationalsozialistischen Vergangenheit besonders schwer mit diesem Thema tut. Dies dürfe jedoch nicht zum absoluten Stillstand führen. Grundsätzlich gehe es bei der Bewertung aller Fragen darum, Gefahren und Risiken abzuwägen. Wo sie gering sind, spricht aus Dornecks Sicht nichts gegen eine Öffnung. Auch, um die persönliche Freiheit und bestimmte Lebensentscheidungen von Menschen nicht unnötig einzuschränken.
Ganz im Gegensatz dazu steht die Situation bei der so genannten Keimbahnintervention oder auch bei Verfahren wie CRISPR-Cas9, der so genannten Gen-Schere, mit deren Hilfe schadhafte Stellen im Erbgut ausgetauscht werden können. „Diese Verfahren sind noch nicht ausgereift. Bei einer Anwendung wären die Folgen derzeit unabsehbar. Es besteht die Gefahr, dass sich aufgrund des Eingriffs nicht nur die Zellen im veränderten Genabschnitt anders entwickeln, sondern alle anderen auch“, erklärt die Wissenschaftlerin. Deshalb habe sie sich in diesem Fall für ein Moratorium ausgesprochen. Soll heißen: „Diese Verfahren bergen viel Potenzial für die Behandlung von erblich bedingten Erkrankungen. Sie sollten weiter erforscht werden, jedoch bis zu dem Zeitpunkt, wo sie in einem ausgereiften Stadium vorliegen, noch nicht am Menschen angewendet werden.“
So wie in diesem Beispiel ist Carina Dorneck in ihrer gesamten Promotion vorgegangen. Zunächst hat sie sich komplett mit der aktuellen Rechtslage auseinandergesetzt und im Anschluss Empfehlungen für jeden einzelnen Aspekt ausgesprochen. Das Ergebnis ist ihre umfassende Promotion, in der auf 437 Seiten sämtliche Widersprüche zutage treten, die derzeit existieren. „Und“, so meint sie, „eigentlich hätte man für jeden einzelnen Aspekt eine eigene Arbeit schreiben können.“
In den vergangenen Wochen und Monaten hat sie viel Aufmerksamkeit für ihr Thema erhalten. „Und natürlich freut es mich, dass ich dafür nun sogar einen Preis bekomme.“ Viel wichtiger ist ihr aber Folgendes: „Ich hoffe, dass die Öffentlichkeit für das Thema sensibilisiert werden kann und eine Diskussion des geltenden Rechts in Gang kommt. Darüber hinaus wäre es wünschenswert, wenn meine Arbeit dazu beiträgt, dass eine grundlegende Reform angestoßen wird.“