Handwerkszeug für das Klassenzimmer
Die Lehrerbildung hat einen hohen Stellenwert an der MLU. Woran macht sich das fest?
Pablo Pirnay-Dummer: 4.600 Lehramts-Studierende, die Zahl steht für sich. Universitätsweit sind alle Fakultäten an der Lehrerbildung beteiligt und Lehramts-Studiengänge sind die einzigen, für die wir uns eine zentrale Einrichtung mit eigenen Ressourcen leisten: das Zentrum für Lehrer*innenbildung.
Torsten Fritzlar: Wie bedeutsam das Thema ist, zeigt sich zudem im Hochschulentwicklungsplan der MLU, in dem die Lehrkräftebildung als profilbildende Säule beschrieben ist. Das ist ein sehr wichtiges Bekenntnis der gesamten Universität.
Die MLU ist die größte Bildungseinrichtung des Landes Sachsen-Anhalt und damit auch der Maßstab für die Lehrerbildung. Wodurch zeichnet sich das Studium an der MLU aus?
Pirnay-Dummer: Wir haben mit allen Studienphasen verzahnte, passende und verbindliche Praxisphasen. Das wissen unsere Studierenden in den Evaluationen sehr zu schätzen.
Machen wir es ganz konkret und beschreiben, wie das abläuft.
Fritzlar: Wir haben ja hier an der MLU die Staatsprüfung als Abschluss. Und das eröffnet sehr gut die Möglichkeit, nicht nur ein forschungsbasiertes, sondern ebenso ein professionsorientiertes Studium anzubieten. Es ist tatsächlich so, dass man schon im ersten Semester an der Universität in das erste Schulpraktikum geht: ins Beobachtungspraktikum. Das dauert zwei Wochen und ist fest eingebunden in das erste bildungswissenschaftliche Modul, in dem zunächst wissenschaftliche Grundlagen zum Lehrerhandeln gelegt werden und dazu, wie Unterricht funktionieren kann.
Und dann?
Fritzlar: Die Studierenden gehen zum ersten Mal in die Schule und beobachten. Und mit ihren Beobachtungen kommen sie dann zurück an die Universität ins zweite Semester. Da schließt sich in den Fallseminaren eine detaillierte, wissenschaftlich fundierte, reflektierte Auseinandersetzung mit diesen Praxiserfahrungen an. Und das ist wichtig! Später kommen die schulpraktischen Übungen in den jeweiligen Fächern. Dort hat der Praxisanteil schon einen stärkeren didaktischen Fokus, die Übungen werden von den entsprechenden Fachdidaktiken gestaltet und begleitet. Studierende gehen mit Dozierenden gemeinsam in Kleingruppen in die Schulen und sie erproben sich zum ersten Mal als Lehrerin, als Lehrer – aber auch noch ein Stück weit entlastet, weil man eben gemeinsam vorbereitet, vielleicht nur einen Teil der Unterrichtsstunde gestaltet und so weiter. Die schulpraktischen Übungen sind Voraussetzung für die Schulpraktika.
Es gibt zwei Praktika, jeweils vier Wochen …
Fritzlar: … die man in den jeweiligen Unterrichtsfächern absolviert. Die Schulpraktika werden von uns in Form von Vorbereitungsveranstaltungen und gemeinsamer Nachbereitung begleitet. Also wieder reflektierte Praxis. Außerdem gibt es noch das außerunterrichtliche pädagogische Praktikum, in dem die Studierenden Erfahrungen außerhalb von Schulen sammeln sollen.
Pirnay-Dummer: Es gibt zudem viele Seminare, in denen Studierende Projekte entwickeln und dann in der Schule umsetzen. Und es gibt auch ganz vielfältige Praxiselemente in den verschiedenen Fachdidaktiken.
Nun ist ja das Thema Schule ein Thema, bei dem jeder mitredet. Auch die Meinung, dass das Fachstudium in der Breite so nicht notwendig sei, ist oft zu hören. Wofür etwa brauche ich denn höhere Mathematik, wenn ich in der 1. Klasse unterrichte?
Pirnay-Dummer: Eine Person, die in der Schule unterrichtet, soll vom Fach sein. Das ist auch eine starke Forderung der Kultusministerkonferenz, der Fachgesellschaften und der Eltern- und Lehrerverbände. Dass die Kritik an der Breite des Fachstudiums immer wieder zu hören und zu lesen ist, ist faszinierend, weil wir eine sehr abgespeckte Variante der Fachwissenschaften fahren.
Fritzlar: Beispielsweise machen im Studiengang für ein Lehramt an Grundschulen die Fachwissenschaften für alle drei Unterrichtsfächer zusammen weniger als ein Drittel der Studieninhalte aus. Und weil Sie jetzt Mathematik und 1. Klasse angesprochen haben: Wenn man das genauer anschaut, ist es in der Grundschullehrerbildung tatsächlich so, dass alle fachwissenschaftlichen Veranstaltungen spezifisch für die Lehrer*innenbildung konzipiert sind. Da gibt es nicht eine einzige Veranstaltung zusammen mit Bachelor- oder Masterstudierenden.
Apropos Bachelor und Master: Sie hatten es schon kurz erwähnt, die MLU bietet für Lehrerinnen und Lehrer das 1. Staatsexamen an.
Fritzlar: Ja, das Staatsexamen hat Vorteile, unter anderen bietet es mit acht Semestern für Grundschule und Sekundarschule und neun für alle anderen Lehrämter kurze Regelstudienzeiten. Viele Bundesländer haben auf Bachelor und Master umgestellt, das sind zwei Semester Regelstudienzeit mehr.
Wir geben den Studierenden dennoch eine ganze Menge Handwerkszeug mit, auch oder insbesondere mit dem Blick auf die Angebote des ZLB.
Fritzlar: Neben den fachbezogenen und bildungswissenschaftlichen Lehrveranstaltungen gibt es Angebote zu Querschnittsthemen und Studienbegleit-Angebote, die am ZLB verankert sind und allen Studierenden in allen Lehramtsstudiengängen offenstehen, zum Beispiel zu Kommunikation und Stimme. Und wir können auch flexibel auf Bedarfe eingehen, die kurzfristig entstehen. Ein aktuelles Thema ist der Umgang mit Urheberrechten, wenn es um die Entwicklung von eigenen Unterrichtsmaterialien geht. Es gibt auch Unterstützungsangebote für viele digitale Tools, zum Beispiel „Moodle“, weil das in den Schulen des Landes genutzt wird. Auch Angebote wie Arabisch im Klassenzimmer sind unglaublich gut nachgefragt.
Das heißt, die Studierenden müssen den Bedarf erkennen und zu Ihnen kommen.
Fritzlar: Das ist nicht verpflichtend, aber es kommen sehr, sehr viele.
Pirnay-Dummer: Und wir haben ein studentisches Gesundheitsmanagement, das Angebote zur Stärkung der persönlichen Resilienz unterbreitet. Das ist ja nichts, womit man mal eben geboren wird, sondern was man erlernen kann und sollte.
Themenwechsel zu den Fachdidaktiken. Dort wird sehr viel geleistet, auch in der Forschung, was wiederum den Studierenden zugutekommt. Oder?
Pirnay-Dummer: Es liegt in der Natur der Dinge, dass die Erkenntnisse aus den Fachdidaktiken von enormen direktem Wert sind. Oft sind die Studierenden in die Forschungsprozesse involviert.
Fritzlar: Unterricht verändert sich. Es gibt immer neue Anforderungen an Schule und Unterricht. Darauf müssen wir in der Lehrer*innenbildung reagieren. Und das machen wir am besten, wenn wir es forschungsbasiert tun. Diese Forschung läuft bei uns natürlich auch in den Fachdidaktiken. Die Ergebnisse können dann unmittelbar in der Lehre umgesetzt werden.
Jetzt haben Sie beide ein Bild gezeichnet von einem tollen Studium. Dennoch ist es ja Fakt, dass nicht alle Studierenden abschließen. Da ist die MLU kein Sonderfall, das gilt für alle Universitäten. Können Sie erklären, warum das so ist?
Pirnay-Dummer: Das Studium hat einen großen Zulauf, das ist auch politisch so gewünscht. Ein Lehramtsstudium ist eine gute Wahl, auch wenn man sich noch in einer Art Orientierungsphase befindet, was im Alter von 18 Jahren durchaus vorkommt. Und dann kommen die Studierenden zu uns, lernen das Fach kennen und sagen: „Ich möchte doch gerne Physikerin werden und nicht Physiklehrerin.“ Oder sie gehen in die frühen Praktika, lernen die Schule von der anderen Seite kennen und sagen: „Ich glaube nicht, dass das etwas für mich ist.“ Das ist nicht Halle-spezifisch. Im Bundesdurchschnitt, der bei rund 50 Prozent Abbrechern liegt, stehen wir gut da. Denn wir versuchen das mit vielen Maßnahmen im Studienverlauf aufzufangen. Es gibt viele Kolleginnen und Kollegen, die jenseits jeden Lehrdeputats noch Zusatzangebote schaffen, um Unterstützung zu geben. Da helfen auch Studierende höherer Semester mit.
Gibt es nicht auch Studierende, die der Umfang des Studiums abschreckt?
Fritzlar: Das Lehramtstudium ist anspruchsvoll. Als ich studiert habe, da hieß es immer noch so „naja, der will ja nur Lehrer werden“. Für so eine Sichtweise gibt es aber überhaupt keine Berechtigung! Denn man studiert mindestens zwei Fächer. Und dann gibt es noch die Bildungswissenschaften und die Schulpraxis. Es ist ein unglaublich vielfältiges Studium, das sehr voll ist, weil man auch in den vorlesungsfreien Zeiten Praktika hat. Von daher muss man Hochachtung haben vor allen, die das angehen und schaffen. Wenn man schaut, wann die Studienabbrüche erfolgen, dann ist das ganz überwiegend in der Eingangsphase, also im ersten, zweiten Semester. Gründe wurden eben schon genannt.
Wie sieht denn für Sie die Lehrerin, der Lehrer der Zukunft aus?
Fritzlar: Es geht heute schon darum, die Studierenden zu befähigen, auch in 20 Jahren noch gute Lehrerinnen und Lehrer zu sein. Ich glaube, es braucht wissenschaftliche Grundlagen, die wir den Studierenden mitgeben: fachlich, fachdidaktisch, pädagogisch, psychologisch etc. Und dann braucht es eine reflektierte Haltung, die Fähigkeit, sich kritisch mit Dingen auseinandersetzen zu können und sich immer weiterzuentwickeln.
Pirnay-Dummer: Was Lehrerinnen und Lehrer bewältigen müssen in der Zukunft, ist ja zusätzlich bestimmt durch einen gesellschaftlichen Prozess. Die von der Gesellschaft geforderten hohen Ziele müssen von den Personen auch erfüllbar sein. Es ist nicht einfach irgendeine Tätigkeit, sondern über die Jahre nachweislich immer komplexer und anspruchsvoller geworden. Dafür verdient der Beruf in der Zukunft vor allem eines: mehr Wertschätzung!
Prof. Dr. Pablo Pirnay-Dummer ist seit 2022 Prorektor für Studium und Lehre. Er studierte Erziehungs-, Kognitions- und Sprachwissenschaft, wurde 2006 promoviert und habilitierte sich 2012. Seit 2018 ist er Professor für Pädagogische Psychologie an der MLU.
Prof. Dr. Pablo Pirnay-Dummer
Prorektorat für Studium und Lehre
Tel.: +49 345 55-21490
E-Mail: pablo.pirnay-dummer@rektorat.uni-halle.de
Prof. Dr. Torsten Fritzlar ist seit 2023 Direktor des Zentrums für Lehrer*innenbildung. Er studierte auf ein Lehramt an Gymnasien, wurde 2003 promoviert und war ab 2005 Juniorprofessor in Lüneburg. Seit 2009 ist er Professor für Grundschuldidaktik Mathematik / Mediendidaktik an Grundschulen an der MLU.
Prof. Dr. Torsten Fritzlar
Zentrum für Lehrer*innenbildung
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