Lobby für die Kleinen Fächer

22.06.2023 von Manuela Bank-Zillmann in Campus, Hochschulpolitik
Können die zahlreichen Kleinen Fächer an der MLU profilgebend sein? Und vor allem: wie? Der „Strategietag Kleine Fächer“, der diese Woche erstmals stattfand, war ein offener Austausch zum Stand der Dinge und ein engagierter Auftakt für mehr. Die anwesenden Vertreter*innen beschlossen nicht nur, den Austausch fortzuführen, sondern zu bestimmten Themen gemeinsame Positionen zu erarbeiten und mit einer gemeinsamen Stimme zu sprechen.
Zum ersten Mal haben sich die Vertreterinnen und Vertreter der Kleinen Fächer an der MLU zusammengefunden und sich mit der Expertin und dem Experten aus Mainz sowie Prorektor Pablo Pirnay-Dummer ausgetauscht.
Zum ersten Mal haben sich die Vertreterinnen und Vertreter der Kleinen Fächer an der MLU zusammengefunden und sich mit der Expertin und dem Experten aus Mainz sowie Prorektor Pablo Pirnay-Dummer ausgetauscht. (Foto: Markus Scholz)

Der Hallische Saal war am Dienstagnachmittag gut gefüllt. Kein Wunder. Immerhin gibt es 36 Kleine Fächer an der Universität. Fast alle hatten einen oder mehrere Vertreter zum „Strategietag Kleine Fächer“ entsandt. Für diesen, sagte der Prorektor für Studium und Lehre Prof. Dr. Pablo Pirnay-Dummer in seinen Begrüßungsworten, sei es höchste Zeit: Die Kleinen Fächer bräuchten Transparenz, Gehör und Ideen. Sie müssten sich auch gegenseitig kennenlernen. Und es gebe zudem viele falsche Annahmen über Kleine Fächer, es sei auch an der Zeit, diesen zu begegnen. 
 
Fakten lieferten zunächst Katharina Haas und Dr. Moritz Wolf von der Arbeitsstelle Kleine Fächer, die an der Universität Mainz angesiedelt ist. Sie berichteten zum Beispiel darüber, dass die Geisteswissenschaften bundesweit zwar nach wie vor einen großen Anteil an der Gesamtzahl der Kleinen Fächer haben, dass es aber vor allem in den Gesundheitswissenschaften eine große Dynamik gebe, die auch mit der Akademisierung von Ausbildungsberufen verbunden sei, etwa in der Hebammenausbildung. Auch die Versorgungsforschung legte in diesem Bereich zu: Seit 2010 wurden hier 20 Professuren bundesweit geschaffen. Mehr schafften nur noch Deutsch als Fremdsprache (plus 27 Professuren seit 2010) und die Digital Humanities (32 Professuren seit 2010). Wachstumsstark seien also vor allem die jungen Fächer unter den kleinen, schwerer hätte es manch etabliertes Fach. So verschwanden bundesweit seit 2010 etwa sieben Professuren in der Indologie und sechs in der Indogermanistik – auch jeweils an der MLU.

Haas und Wolf machten aber auch in Bezug auf die MLU und Sachsen-Anhalt darauf aufmerksam, dass die MLU nicht nur zahlreiche Kleine Fächer sowohl in den Geistes- als auch in den Naturwissenschaften im Angebot habe – im Gegensatz zur Universität Magdeburg, die insgesamt vier besitzt. Sie verfüge auch über Fächer, die zentrale Bedeutung an der MLU haben – die Forschenden aus Mainz benannten insbesondere die Archäoinformatik, die Wissenschaft vom Christlichen Orient und die Sprechwissenschaft.

Sprechwissenschaftlerin Prof. Dr. Susanne Voigt-Zimmermann, die als Fachvertreterin den Strategietag mitorganisiert hatte, berichtete davon, dass sie sogar überrascht gewesen sei, einem Kleinen Fach anzugehören, als sie 2017 an die MLU berufen wurde. Grund genug, sich damit zu befassen, denn, so führte sie aus, die Konnotationen seien nicht immer positiv. Und sie sehe allein dadurch Gefahren einer Diskreditierung, dass der Fokus allzu oft allein auf den Geisteswissenschaften läge – verursacht in Sachsen-Anhalt auch durch den Bericht des Wissenschaftsrats 2013, der von der Landesregierung nur gebeten wurde, Perspektiven für die geisteswissenschaftlichen Kleinen Fächer aufzuzeigen.

Für die MLU, so sagte Voigt-Zimmermann, sei das Thema daher weiterhin virulent. So offenbarte etwa auch die Studienreform an der MLU, die auch einschreibschwache Studiengänge in den Blick nahm, manches kollegiale Missverständnis in den Gremien: „Für Ihr Selbstbewusstsein möchte ich Ihnen jedoch sagen, es gibt große Fächer mit schwachen Einschreibzahlen und Kleine Fächer mit großen.“ Auch im Hochschulentwicklungsprozess sollten sich die Kleinen Fächer aus ihrer Sicht einbringen und ihren Beitrag zur Profilbildung leisten. Das sei auch in Bezug auf die kommenden Verhandlungen zu den Zielvereinbarungen mit dem Land ab 2024 wichtig.

In der sich anschließenden Vorstellungsrunde der Fachvertreter und der regen, oft auch kritischen Diskussion wurde bereits deutlich, dass Kleine Fächer für die MLU nicht nur wichtig sind, zum Beispiel in Bezug auf die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern, sondern wohl an vielen weiteren Stellen profilgebend. Auch die Vertreter der Arbeitsstelle Kleine Fächer aus Mainz betonten, dass Kleine Fächer in hohem Maße zu einer Profil- und Strukturbildung einer Universität beitragen können und tatsächlich oft ein Alleinstellungsmerkmal seien.  

Nur vier Stunden dauerte dieser erste, dicht gefüllte Termin – und trotz der Kürze der Zeit und der großen Vielfalt der Fächer und ihrer Vertreterinnen und Vertreter – er brachte einen Plan für die Zukunft: Nicht nur fachlich soll es einen weiteren Austausch geben, es soll zukünftig eine Art Forum für die Kleinen Fächer an der Universität geben, eine Interessenvertretung, die auch gemeinsame Positionen formulieren und vertreten könne.

Wann ist ein Fach ein Kleines Fach?

Laut der Arbeitsstelle Kleine Fächer an der Universität Mainz ist für die Abgrenzung kleiner Fächer von großen und mittelgroßen Fächern ein quantitatives Kriterium herangezogen, welches sich auf die Zahl der Professuren je Standort bezieht. Diesem zufolge besitzt ein kleines Fach je Universitätsstandort nicht mehr als drei unbefristete Professuren, wobei es deutschlandweit bis zu zwei Ausnahmen geben darf.

Da aber nicht jeder Wissenschaftszweig per se ein eigenständiges Fach darstellt, ist es erforderlich, Fächer gegenüber nicht-selbständigen Teildisziplinen abzugrenzen. Dazu werden die folgenden fünf Kriterien herangezogen:

  • Selbstverständnis als eigenständiges Fach: Die Professoren und Professorinnen, welche den jeweiligen Wissenschaftszweig an deutschen Hochschulen vertreten, verstehen diesen als eigenständiges Fach.
  • Fachgesellschaft: Der jeweilige Wissenschaftszweig verfügt über eine nationale oder internationale Fachgesellschaft oder wird in Ausnahmefällen von einer übergeordneten Fachgesellschaft klar als eigenständiges Fach anerkannt.
  • Fachzeitschrift: Der jeweilige Wissenschaftszweig verfügt über eigene – nationale oder internationale – einschlägige Publikationsorgane.
  • Eigene unbefristete Professuren: Für den jeweiligen Wissenschaftszweig gibt es an deutschen Universitäten eigene Professuren mit spezifischen Denominationen
  • Eigene Studiengänge/-schwerpunkte: Der jeweilige Wissenschaftszweig ist mit eigenen Studiengängen oder mit eindeutig sichtbaren Studienschwerpunkten an deutschen Universitäten vertreten.

Alles über Kleine Fächer in Deutschland auf dem Portal: kleinefaecher.de

 

Übersicht über Kleine Fächer an der MLU:

1.    Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
2.    Alte Geschichte
3.    Arabistik
4.    Archäoinformatik
5.    Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit
6.    Biostatistik
7.    Bodenkunde
8.    Christlicher Orient
9.    Deutsch als Fremd- und Zweitsprache
10.    Digital Humanities
11.    Ethik der Medizin
12.    Geochemie
13.    Geschichte der Medizin
14.    Gräzistik
15.    Indogermanistik
16.    Islamwissenschaft
17.    Japanologie
18.    Judaistik/Jüdische Studien
19.    Klassische Archäologie
20.    Kriminologie
21.    Lagerstättenlehre
22.    Lateinamerikanistik
23.    Latinistik
24.    Lebensmittelchemie
25.    Medizinische Physik
26.    Mineralogie
27.    Mittellatein und Neulatein
28.    Musikpädagogik
29.    Osteuropäische Geschichte
30.    Pflegewissenschaft
31.    Religionswissenschaft
32.    Sprechwissenschaft
33.    Umweltchemie
34.    Ur- und Frühgeschichte
35.    Versorgungsforschung
36.    Wirtschafts- und Sozialgeschichte

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kleine Fächer

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