Luftbilder von Scarlett
Scarlett - dieser Name weckt Assoziationen an Filmschauspielerinnen, oder auch an den Weltbestseller „Vom Winde verweht“. Nur Fachleute wie Prof. Dr. Klaus Pillen werden dabei sofort an Getreide denken. Für den Agrarwissenschaftler ist Scarlett vor allem die Bezeichnung einer Gerstensorte, die gemeinsam mit wilden Gersten seit vier Jahren im Mittelpunkt eines Projekts zur Steigerung von Ertrag und Biodiversität dieser Nutzpflanze steht. Um ihre dazugehörigen Feldversuche in der Lehr- und Versuchsstation zu optimieren, gehen die Forscher nun auch technisch neue Wege.
Der Doktorand Paul Herzig besitzt noch nicht mal ein richtiges Smartphone. Doch seit ein paar Monaten hat er einen ganz besonderen Führerschein in der Tasche. Einer, der ihn berechtigt, ein technisch ausgefeiltes Flugobjekt zu steuern, zwölf Kilo schwer und mit einer rundum schwenkbaren Kamera ausgestattet, die sogar in Hollywood benutzt wird. Der Hexacopter, so die Bezeichnung dieser riesigen Drohne, schnurrt gemächlich über die Parzellen auf dem Julius-Kühn-Feld. Dabei überfliegt das Gerät alle zum aktuellen Experiment gehörigen winzigen Feldabschnitte. „Bisher sind wir mit seinem Einsatz sehr zufrieden“, sagt Klaus Pillen, bei dem Herzig promoviert und der das Projekt leitet.
„BARLEY BIODIVERSITY“, so der offizielle Titel, wird seit 2014 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert und hat sich zum Ziel gesetzt, sowohl die Biodiversität als auch die Leistung verschiedener Sorten von Kulturgerste zu erhöhen. Mit im Boot sind außer den Pflanzenforschern der MLU noch Wissenschaftler vom Leibniz-Institut (IPK) in Gatersleben, vom Fraunhofer-Institut (IFF) in Magdeburg sowie der Saatzuchtbetrieb Breun als Partner aus der Praxis.
Im Zentrum der gemeinsamen Forschung steht die Sommergerste. Das Gewächs, das ursprünglich aus dem Nahen Osten stammt, ist relativ anspruchslos und benötigt wenig Dünger. „In unseren Breiten wird es vor allem zum Bierbrauen genutzt“, erklärt Pillen.
Doch gezüchtete Sorten, wie die erwähnte Kulturgerste namens Scarlett, sind längst von klimatischen Veränderungen beeinflusst. Das bedeutet: Als Scarlett 1995 zugelassen wurde, gab es noch mehr Niederschlag und weniger Trockenheit. „Deshalb untersuchen wir nun, ob und wie sich diese Veränderung auf ihr Wachstum und den Ertrag auswirken“, so Pillen. Dazu wurden in die Scarlett-Kulturgerste systematisch Chromosomenabschnitte aus einer verwandten wilden Gerste eingekreuzt, um die Biodiversität zu erhöhen.
In dem aktuell laufenden Versuch werden die daraus resultierenden Linien - so nennen die Forscher diese Feldabschnitte - standardisiert beobachtet und dokumentiert. So will man herausfinden, ob die eingekreuzten Gene der wilden Gerste vielleicht sogar besser mit Trockenstress oder Hitze klarkommen und wie sich Wachstum, Blühzeitpunkt, Ertrag und andere Faktoren insgesamt verändern.
Bei den Experimenten kommt nun seit ein paar Monaten die Drohne zum Einsatz. Während sie über die Pflanzen fliegt, liefert die an ihr befestigte Kamera gestochen scharfe Bilder. „Anfangs war das eine technische Herausforderung“, sagt Herzig. Doch inzwischen habe er seine Flugtechnik optimiert, meint der Biologe. Er weiß jetzt, dass die Drohne eine Flughöhe von 30 Metern erreichen muss. Nur dann versetzt der Wind der Rotoren die Pflanzenhalme nicht zu stark in Bewegung, und nur so stehen sie ruhig genug, dass sie aussagekräftig fotografiert werden können.
Pro Sekunde liefert die Kamera ein Bild. Bis die gesamte Fläche erfasst ist, dauert es gerade einmal zehn Minuten. Zum Vergleich: In den ersten drei Jahren des Projekts wurde für die gleiche Arbeit ein selbstfahrender Geräteträger namens AgRover genutzt. Ein fahrbares und feldtaugliches Gerät, das eigens dafür vom Fraunhofer-Institut in Magdeburg konzipiert worden war und das über spezielle Kameras und Sensoren für eine hyperspektrale Bildgebung verfügt.
So ausgestattet fuhr der AgRover die Linien systematisch ab. Jedoch benötigte er für die gleiche Fläche rund zwei Arbeitstage. „Die Zeitersparnis, die uns die Drohne verschafft, ist enorm“, sagt Klaus Pillen.
Und wie muss man sich die Analyse anschließende vorstellen? Die beim Überflug entstandenen Daten werden an einen Rechner übertragen. Dort werden die Bilder von einer Software entzerrt und in Segmente zerlegt. Fotogrammetrie nennt sich das zugehörige Verfahren der Fernerkundung, bei dem aus Fotos die räumliche Lage oder eine dreidimensionale Form bestimmt werden können.
Die Dichte der Bepflanzung lässt sich damit genauso exakt bestimmen wie die Anzahl der Ähren pro Planquadrat. Davon wiederum lassen sich Aussagen zum Ertrag ableiten. „Das war mit den bisherigen Methoden wesentlich schwieriger“, erklärt Klaus Pillen.
Doch nicht nur wegen des innovativen Drohnen-Einsatzes ist das Projekt der halleschen Pflanzenforscher etwas Besonderes. Auch seine Vielschichtigkeit ist augenfällig: Einerseits, so Klaus Pillen, gehe es natürlich um die praktische Anwendbarkeit, also darum, neue Sorten für die Züchtung zu erschließen. Aber man wolle auch die Funktion bestimmter Gene verstehen und aufklären. „So können wir die Biodiversität von Kulturgerste erhöhen.“
Prof. Dr. Klaus Pillen
Institut für Agrar- und Ernährungswissenschaften
Tel. +49 345 55-22680
Mail: klaus.pillen@landw.uni-halle.de