„Man musste klare Regeln finden und verständlich kommunizieren“

16.07.2020 von Ronja Münch in Varia
Wie gut schafft es die Bundesregierung, in Zeiten der Corona-Pandemie Bürgerinnen und Bürger zu erreichen und über den Verlauf der Pandemie zu informieren? Was hat sich in der Kommunikation geändert? Die Sprechwissenschaftlerin Prof. Dr. Susanne Voigt-Zimmermann und der Politikwissenschaftler PD Dr. Sven T. Siefken schauen aus unterschiedlichen Blickwinkeln auf die Krise.
Mit Abstand: Sitzung des Bundeskabinetts unter Leitung von Angela Merkel
Mit Abstand: Sitzung des Bundeskabinetts unter Leitung von Angela Merkel (Foto: Bundesregierung, B 145 Bild-00457093 / Steffen Kugler)

Die Corona-Pandemie ist für Politikerinnen und Politiker eine enorme Kommunikations-Aufgabe: Sie müssen auf der Grundlage unsicherer Informationen schnell Entscheidungen treffen. Die daraus folgenden einschneidenden Maßnahmen zur Eindämmung des Virus müssen sie den Bürgerinnen und Bürgern gut erklären. Außerdem ändert sich die Sachlage schnell, weshalb alle bestehenden Regeln ständig überprüft und gegebenenfalls angepasst werden müssen. Und auch das muss der Bevölkerung so vermittelt werden, dass diese die Änderungen nachvollziehen kann und dabei nicht das Vertrauen in die Kompetenz der Regierung verliert.

Politikwissenschaftler Sven T. Siefken
Politikwissenschaftler Sven T. Siefken (Foto: Markus Scholz)

Insgesamt sei die politische Kommunikation angesichts dieser Schwierigkeiten gut gelaufen, bilanziert Sven T. Siefken vom Institut für Politikwissenschaft. Um schnell Entscheidungen treffen zu können, sei besonders am Anfang der Pandemie hierarchischer kommuniziert worden als üblicherweise. „Das Interessante war, dass auch dort Einheitlichkeit hergestellt wurde, wo verfassungsrechtlich gar keine Grundlage dafür war.“ Im föderalen System Deutschlands liegen viele Kompetenzen zur Pandemie-Bekämpfung bei Ländern und Kommunen – nicht aber beim Bund. Die auch sonst übliche Koordination sei in diesem Fall besonders sichtbar gewesen. „Man musste trotz großer Unsicherheit schnell Entscheidungen treffen, klare Regeln finden und verständlich kommunizieren, genau dafür haben wir politische Entscheidungsträger“, sagt Siefken. Bundeskanzlerin Angela Merkel habe sich zum Beispiel in ihrer TV-Ansprache zu Beginn der Kontaktbeschränkungen sehr darum bemüht, für Solidarität zu werben und die Maßnahmen zu erklären.

Merkels Hintergrundwissen als Naturwissenschaftlerin sowie ihre überlegte und unaufgeregte Art zu kommunizieren käme ihr insbesondere in solchen Zeiten zugute, sagt Sprechwissenschaftlerin Susanne Voigt-Zimmermann. „Das sachliche, erklärende Sprechen ist ein Markenzeichen von ihr, das zwar von einigen immer mal wieder verpönt wird, aber grundsätzlich und eben insbesondere in Krisenzeiten genau richtig ist.“ Auch die Beliebtheit und der Erfolg der Virologen-Podcasts, zum Beispiel von Prof. Dr. Christian Drosten von der Berliner Charité, stünden für das Bedürfnis der Menschen nach Er- und Aufklärung. Sie seien ein wichtiger Baustein im gesellschaftlichen und somit politischen Diskurs in der Corona-Krise.

Sprechwissenschaftlerin Susanne-Voigt-Zimmermann
Sprechwissenschaftlerin Susanne-Voigt-Zimmermann (Foto: Markus Scholz)

Kritisch sieht Voigt-Zimmermann langfristig betrachtet dagegen, dass es durch die schnelle Gesetzgebung kaum Raum für gesellschaftliches Aushandeln von Entscheidungen und für einen gemeinsamen Konsens gegeben habe. „Ich glaube, das wird die Demokratie in Deutschland nachhaltig verändern.“ Schließlich seien nicht nur Gesetze in direktem Zusammenhang zur Corona-Pandemie schnell beschlossen worden. Die Kontaktbeschränkungen hätten gesellschaftliche Kommunikation verhindert und weiter in digitale Medien mit ihren Filterblasen und „alternativen Fakten“ verlagert. Das habe das schon zuvor beklagte Sprechen in geschlossenen Kreisen noch verschärft. Zudem sei insbesondere in der Anfangsphase der Pandemie mit vielen medizinischen Fachbegriffen und einer Unmenge an Fakten kommuniziert worden. „Das führte dazu, dass die Menschen, für die Politik gemacht wird, schnell überfordert waren“, sagt Voigt-Zimmermann. Viele Menschen hätten beim Wort „Corona“ bald die Augen verdreht. Es sei zudem insbesondere zu Beginn der Pandemie auch politische Meinungsmache mit wissenschaftlichen Einschätzungen betrieben worden, so die Forscherin. Sie spielt damit auf den Virologen Prof. Dr. Hendrik Streeck an, der für seine Kommunikation zur sogenannten Heinsberg-Studie scharf kritisiert wurde. Der Vorwurf: Er habe sich vom nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet instrumentalisieren lassen und bereits vor Abschluss der Untersuchung unvollständige Ergebnisse veröffentlicht, ohne die Rohdaten und seine Methoden offenzulegen.

Siefken ist trotzdem der Meinung, dass der Kompromiss zwischen wissenschaftlicher Expertise und politischer Abwägung alles in allem gelungen sei. „In Deutschland wurde ein guter Mittelweg gefunden und auch weitgehend gut kommuniziert.“ Merkels Verständnis für Wissenschaft dürfte hierbei eine entscheidende Rolle gespielt haben. Lediglich in Einzelfällen hätten Politiker versucht, sich in der frühen Phase der Krise zu profilieren – etwa Ministerpräsident Markus Söder in Bayern, der für die schnelle Festlegung von schärferen Regeln viel Zustimmung erhielt, oder Ministerpräsident Laschet, der sich früh für Lockerungen aussprach. Für Verwirrung in der Bevölkerung sorgte indes das föderale System – laut Siefken war es für viele Menschen schwierig, den Überblick über die für sie gültigen Regeln zu behalten – denn die Kanäle für direkte Bürgerkommunikation waren in Ländern und Kommunen vor Ort teils kaum ausgebaut.

Persönliche Kommunikation ist nicht zu ersetzen

Im professionellen Rahmen habe die Kommunikation zwischen Politikern, zwischen Bund und Ländern und Kommunen oder auch mit den Parteiorganisationen weitgehend störungsfrei funktioniert, obwohl diese überwiegend digital lief, sagt der Politologe Siefken. In einem Forschungsseminar hatte er mit Studierenden verschiedene Bundestagsabgeordnete zu ihrer Wahlkreisarbeit befragt. Große Probleme gebe es jedoch beim Kontakt zu Bürgerinnen und Bürgern. „Die Kommunikation mit den Menschen ist deutlich schwieriger im Digitalen“, sagt er. Normalerweise ist ein wichtiger Teil der Arbeit der Abgeordneten, sich mit Interessengemeinschaften zu treffen, zum Beispiel mit Vereinen, oder in Bürgersprechstunden in ihrem Wahlkreis Rede und Antwort zu stehen. Einiges habe digital oder telefonisch stattgefunden, das sei aber nicht dasselbe. „Die direkte Kommunikation ist extrem wichtig für das Vertrauen in Politik“, so Siefken. Ein Satz, dem Voigt-Zimmermann uneingeschränkt zustimmen kann. „Wir brauchen den direkten und gesamten Sprechprozess, dazu gehören vor allem auch Gestik, Mimik, Mundbild und die gesamte Körpersprache“, erklärt die Sprechwissenschaftlerin. Auch zwischen Politikern und Politikerinnen sei das nicht zu unterschätzen. In Videokonferenzen oder beim Sprechen mit Maske gehe sehr viel verloren, was unter anderem auch zu Missverständnissen führen könne.

Mit dem Voranschreiten der Pandemie und zunehmender Gewöhnung änderte sich dann auch die Kommunikation: Zunächst sei es zu einer stärkeren Abwägung gekommen zwischen Eindämmung des Coronavirus und Vermeidung negativer sozialer und wirtschaftlicher Effekte der Kontaktbeschränkungen, so Siefken. Die anfängliche Top-Down-Kommunikation habe sich vermehrt zu einer Bottom-Up-Kommunikation gewandelt. Das heißt, statt von oben Maßnahmen zu erklären, sei es wieder vermehrt darum gegangen, Stimmen und Probleme aus der Bevölkerung aufzunehmen.

„Bevölkerungsumfragen zeigen, dass die meisten Bürgerinnen und Bürger mit der Politik der Bundesregierung einverstanden sind und sich das Vertrauen in die Politik sogar erhöht hat“, sagt der Politikwissenschaftler. Auch die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie würden überwiegend befürwortet. Auch AfD-Politiker hätten diese mitgetragen. „Im politischen Bereich gab es einen recht starken Zusammenschluss, eine konstruktive Opposition“, so Siefken. In anderen Ländern sei es zu viel mehr Konflikten zwischen politischen Parteien gekommen. In Deutschland nehme das nun langsam wieder Fahrt auf. „Differenzen gab es allerdings eher innerhalb von CDU/CSU und zwischen den Ländern.“ Wie die Strategien der Opposition zur Profilierung weitergehen, bleibe abzuwarten.

Sie sei nun sehr gespannt auf den Wahlkampf, so Voigt-Zimmermann. „Politikerinnen und Politiker müssen noch mehr als zuvor ihre eigenen Medienkompetenzen erkennen und ihre Rhetorik gegebenenfalls anpassen“, sagt sie. Die medienrhetorische Wirkung im politischen Diskurs sei auch für die Sprechwissenschaft ein zunehmend relevanter Lehr- und Forschungsschwerpunkt. Nach der anfangs recht einheitlichen Kommunikation müssten die Parteien nun wieder unterschiedliche Schwerpunkte finden, ergänzt Siefken. Es käme derzeit wieder zu einer stärkeren Differenzierung – zwischen den Bundesländern, dem Themenfokus verschiedener Parteien und einzelnen Politikerinnen und Politikern.

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