Sucht in der Wissenschaft: Schweigen ist das größte Problem
Aus Ihrer Erfahrung im Arbeitskreis heraus: Wie groß ist das Problem mit Alkoholsucht an der MLU?
Ronny Redlich: Ich glaube, das größte Problem ist, dass das Thema verschwiegen beziehungsweise tabuisiert wird. Man spricht nicht darüber, weder als Arbeitnehmer den Vorgesetzten gegenüber noch umgedreht oder unter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern selbst. Deshalb kommen wenig Fälle überhaupt ans Licht. Wenn man sich die Fälle von Suchtstörungen dagegen generell in der Bevölkerung anschaut, dann ist die Zahl sehr hoch. Das verursacht viele Kosten für die Gesellschaft durch Behandlungen und Folgeerkrankungen. Nehmen wir nur die Alkoholsucht: Innerhalb von zwölf Monaten erfüllen in Deutschland zwei bis drei Prozent der Bevölkerung die Kriterien für eine Alkoholabhängigkeit und sind behandlungsbedürftig.
Sie sind der Leiter des Arbeitskreises Sucht. Was ist Ihr Fokus?
Ich habe den Vorsitz 2020 übernommen. Mein Ansatz ist, Prävention zu betreiben, das Thema zu enttabuisieren und dafür zu sensibilisieren. Sucht ist kein Versagen. Die „Mental Health Awareness Days“ sind dafür ein gutes Forum.
Die Veranstaltungen innerhalb der Awareness Days richten sich an Promovierende und Postdocs. Ist diese Gruppe besonders gefährdet?
Schon. Letztendlich ist Stress nicht gut. Und dazu zählt nicht nur Arbeitsstress, sondern zum Beispiel auch der Stress durch den Umzug in eine andere Stadt. Viele Promovierende gehen an eine neue Uni, müssen sich neu zurechtfinden und wieder ein soziales Umfeld aufbauen. Eine Möglichkeit ist dann, zur Entspannung Drogen zu konsumieren. Sie können aber auch Drogen zu sich nehmen, um leistungsfähiger zu sein. Das muss nicht einmal exzessiv passieren, aber jede Substanz hat ihre Kehrseite: Kurzfristig mag sie „gut“ wirken, mittel- bis langfristig führt sie jedoch zum Gegenteil und damit in einen Teufelskreis.
Die Online-Veranstaltung am 2. November leiten Sie gemeinsam mit Konrad Schöniger, einem Ihrer wissenschaftlichen Mitarbeiter. Womit befassen Sie sich in Ihrem Vortrag im Detail?
Vor allem wollen wir aufklären. Warum entstehen Süchte – wo wir doch rational wissen, dass das nicht gut ist? Wir beleuchten, wie häufig einzelne Substanzen konsumiert werden, wie sie wirken und welche Schäden sie anrichten können – und wie dramatisch die Situation ist. Wir wollen auch aufklären, was man selbst gegen eine Sucht tun kann und wo man sich Hilfe holen kann. Das Wichtigste ist, dass die Betroffenen zu der Einsicht gelangen, dass sie ein Problem haben. Und dass sie motiviert sind, etwas dagegen zu tun.
Mit Stress umgehen
Die „Mental Health Awareness Days“ finden vom 1. bis zum 3. November 2023 statt. Sie sind eine gemeinsame Initiative der Universitäten Halle, Jena und Leipzig sowie der Graduiertenschulen/Postdoc-Programme des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung. Die Veranstaltung ist offen für Promovierende und Postdocs aller beteiligten Einrichtungen sowie Betreuerinnen und Betreuer. Online und vor Ort gibt es verschiedene Angebote, zum Beispiel Entspannungsübungen sowie eine Reihe von Kurzworkshops, die die Resilienz der Teilnehmerinnen und Teilnehmer in der frühen Karrierephase stärken soll. Das genaue Programm ist hier zu finden: https://www.ga.uni-leipzig.de/graduiertenakademie-leipzig/veranstaltungsportal/mental-health-awareness-days