Ein "Urgestein" der Botanik: Ein Nachruf auf Erich Ohmann
Am 30. Mai 2020 verstarb im Alter von 87 Jahren der Pflanzenphysiologe Prof. Dr. Erich Ohmann, ein „Urgestein“ der hallischen Botanik. Am Harzrand in Lüttgenrode in der Nähe von Halberstadt als Sohn eines Stellmachermeisters geboren, besuchte er dort die Grundschule, im nahe gelegenen Osterwieck die Mittelschule und anschließend vier Jahre, wie seinerzeit üblich, in Wernigerode den sprachlichen Zweig der Oberschule, an der er 1951 das Abitur ablegte. Seit Jugendtagen an Biologie interessiert, begann er noch in demselben Jahr das Studium in diesem Fach an der Martin-Luther-Universität. Sein Interesse wandte er schnell den Pflanzen zu und so ging er folgerichtig für die Diplomarbeit an die seit 1956 von Kurt Mothes als Direktor geleiteten „Botanischen Anstalten der Universität“ – erst mit der 3. Hochschulreform 1968 / 69 wurden diese, wie alle anderen biologischen Bereiche auch, in die „Sektion Biowissenschaften“ eingegliedert und damit ihrer Selbständigkeit in der Fakultät beraubt.
Erich Ohmann widmete sich aber nicht den traditionellen botanischen Themen, sondern, wie Mothes später in dem Gutachten zur Habilschrift hervorhebt, es ging ihm darum, „daß das für die derzeitige Entwicklung der Biologie zentrale Problem der Regulation bis jetzt in erster Linie an Bakterien (Prokaryoten) erforscht worden ist und daß es an der Zeit sei, zu überprüfen, ob die bisher an nur wenigen Beispielen entwickelten Vorstellungen auch für Eukaryoten Gültigkeit haben“. Dieses Vorhaben ging er zum ersten Mal in der Diplomarbeit mit dem Titel „Untersuchungen über den Einfluß von Glucose und von organischen Säuren auf die Atmung und Polysaccharidsynthese einzelliger Grünalgen“ an, die er unter der Anleitung von Doz. Dr. Hans Günther Schlegel anfertigte und 1957 abschloss – und so war sein Weg in die Pflanzenphysiologie vorgezeichnet.
Er wurde Assistent bei Kurt Mothes und setzte die Bearbeitung des Problems mit seiner Dissertation „Biochemische Untersuchungen zur heterotrophen Ernährung von Grünalgen“ fort, die er 1963 mit der Note „sehr gut“ beendete. Hier ging es um die enzymatischen Grundlagen der Acetat-Aktivierung und des Acetat-Stoffwechsels dieser Algen. Diese Untersuchungen weitete er, nun seit 1964 als Oberassistent am „Institut für Allgemeine Botanik“, auf autotrophe und heterotrophe Stoffwechsel aus, so dass er 1970 als Habilitationsschrift „Regulationen des autotrophen und heterotrophen Stoffwechsels in Euglena gracilis und Rhodopseudomonas sphaeroides“ vorlegen konnte – noch gab es in der DDR die Habilitation, die später nach sowjetischem Vorbild durch den Dr. sc. … ersetzt wurde –, zu der in dem erwähnten Gutachten Kurt Mothes schrieb: er „wählt Einzeller, bei denen also eine Regulation der Gewebedifferenzierung noch nicht störend ins Spiel treten kann.“ Die „Darstellung seiner Ideen ist mustergültig und könnte […] als Lehrbeispiel vorgeführt werden, wie man eine große Aufgabe in den Griff bekommen kann.“ Erich Ohmann leistete zwar ausgezeichnete wissenschaftliche Arbeit, er verhielt sich auch dem Staat gegenüber loyal, wie ein Blick in die Akten zeigt, aber er war nicht bereit, sich um der Karriere willen politisch zu engagieren, so dass letztlich die Möglichkeit akademischer Beförderung sehr begrenzt blieb – ein Schicksal, das er mit vielen Gleichgesinnten teilte. Mothes sah das natürlich, doch er wäre nicht Mothes gewesen, wenn er nicht auch in dem Gutachten darauf Bezug genommen hätte: „Er würde in einem allen Formalismen abholden System auf Grund der bereits vorliegenden Publikationen sich durch diese Schrift als geeignet für eine Professur ausweisen.“ – Selbstverständlich war jedem Kundigen klar, was hier mit „Formalismen“ gemeint war. Und er bringt zum Schluss einen Vergleich: „Es müßte doch eigentlich Verständnis dafür zu gewinnen sein, daß – wie man Olympiasieger systematisch durch Jahre hindurch ausbildet […] – mit nur auf die Dauer viel größerem Nutzen wissenschaftliche Begabungen wie die des Dr. Ohmann systematisch gefördert werden sollten.“
Doch die „Formalismen“ zu erfüllen, zu denen nicht zuletzt der Eintritt in die SED und eventuell auch eine Betätigung in der zur Universität gehörigen „Kampfgruppe der Arbeiterklasse“ dienten, war Erich Ohmann nicht bereit – und so endete vorerst seine akademische Karriere mit der 1974 erfolgten, aber bereits 1971 beantragten Berufung zum Dozenten für Zellphysiologie, obwohl es danach mehrfach Versuche gab, eine Berufung auf eine Professur zu erreichen.
Neben der Lehrtätigkeit auf dem Gebiet der „Zellbiologie“, der „Pflanzenphysiologie“ sowie der „Physiologie und Biochemie des autotrophen Stoffwechsels“ konzentrierte er seine Forschungstätigkeit auf das Grenzgebiet Pflanzenphysiologie / Mikrobiologie / Biochemie mit dem Ziel der Aufklärung molekularer Mechanismen der Differenzierung und Regulation des Stoffwechsels. Zunächst ging es um Grundlagenforschung, doch als der Druck, die Forschungsergebnisse auch für die Praxis verfügbar zu machen, immer größer wurde, übertrug er seine Erfahrungen auf die Untersuchung von Herbizid-Resistenzen.
Neben zahlreichen, viel beachteten Originalpublikationen leistete er auch zahlreiche Beiträge in Enzyklopädien und Handbüchern, genannt seien nur das Kapitel „Autotrophic Carbon Dioxide Assimilation in Prokaryotic Microroganisms“ in der renommierten „Encyclopedia of Plant Physiology“ 1979 sowie „Organisation der Photosynthese in Plastidenstrukturen“ in dem Sammelband „Molekularbiologie“ von 1985. Erwähnt werden soll auch die Mitautorschaft in dem 2009 schon in fünfter Auflage erschienenen Lehrbuch „Botanik“ (die ersten Auflagen ab 1981 erschienen als „Kompendium der Botanik“), gedacht als „kurzgefaßtes Lehrbuch […] für Studenten der Biologie und Biochemie, Biologie-Lehrerstudenen“ (aus dem Vorwort der ersten Auflage), das aber auch dem interessierten Laien als eine gut verständliche, kompakte Einführung empfohlen werden kann.
Als mittlerweile ausgewiesener Fachmann wurde Erich Ohmann 1966 in den „Zentralen Arbeitskreis für Pflanzenentwicklung und Ertragsbildung“ beim Ministerium für Wissenschaft und Technik berufen, 1967 wurde er Mitglied und Sekretär der Expertengruppe „Eiweißprognose“ beim „Zentralen Arbeitskreis Biochemie“, doch bereits im folgenden Jahr gab er diese Tätigkeiten auf, da „als Folge zunehmender Verkrustung und Bürokratisierung der Organisationsstrukturen immer geringere Möglichkeit der konstruktiven Einflußnahme“ blieben, wie er rückwirkend in einem Lebenslauf von Ende 1989 feststellte. Er konzentrierte jetzt seine ehrenamtliche Tätigkeit auf die „Biologische Gesellschaft der DDR“, bei der er u. a. seit 1987 den Vorsitz der „Gesellschaft für Physiologie und Biochemie der Pflanzen“ übernahm.
Erich Ohmann nahm auch rege am internationalen Wissenschaftsaustausch teil. So ohne Probleme in östlicher Richtung mehrfach mit der CSSR, mit Polen und mit der Sowjetunion, hier u. a. 1973 zu einem sechsmonatigen Forschungsaufenthalt an das Timirjasew-Institut für Pflanzenphysiologie der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften in Moskau, aus dem auch gemeinsame Veröffentlichungen hervorgingen. In den 1960er Jahren waren auch kurze Forschungsaufenthalte in Neapel, in Köln und in Göttingen möglich, doch dann wurde es notwendig, dafür den Status eines „Reisekaders“ zu erhalten. Es gab mehrfach Anträge dafür, doch wurde das nie genehmigt, so entstand die paradoxe Situation, dass, als Erich Ohmann im Zusammenhang mit seiner Herbizid-Forschung eine „genetische Strukturaufklärung“ in Bochum vornehmen wollte, da in der DDR dafür nicht die technischen Voraussetzungen bestanden, er das „wegen des fehlenden Reisekaderstatus nicht realisieren“ konnte, so dass das „von dem syrischen Aspiranten mit Erfolg wahrgenommen“ wurde. „Damit wurde erstmals für die DDR ein Herbizid-Resistenzgen in seiner Sequenz aufgeklärt“ – wie es stolz in der „Beurteilung über Doz. Dr. Erich Ohmann“ vom Juni 1989 heißt. Zu dieser Zeit befand sich eine größere Gruppe Syrer zu postgradualen Studien – selbstverständlich gegen Devisen! –, in der Regel mit dem Ziel Promotion, in der DDR, auch in verschiedenen Fachrichtungen an der hallischen Universität, die natürlich mit ihrem Pass reisen konnten.
Als sich im Herbst 1989 die „Initiativgruppe zur Erneuerung der Universität“ bildete, gehörte Erich Ohmann zu denen, die sich sofort anschlossen und sich aktiv beteiligten. Es ging darum, Ziele zu formulieren und in der Universitäts-Öffentlichkeit auf eine Erneuerung zu drängen, wozu in erster Linie gehörte, die alten Strukturen zu brechen, d. h. der SED-Parteileitung ihre privilegierte und dominierende Stellung streitig zu machen, die Führungseliten abzulösen, letztendlich die bis dahin herrschende ‚Kommandowirtschaft‘ durch Selbstverwaltung und akademische Freiheit zu ersetzen.
Als ein erster Schritt wurden – zunächst gegen starken Widerstand aus Rektorat und Senat – Neuwahlen gefordert. Im Frühjahr 1990 war der Druck, nicht zuletzt auch ‚von der Straße‘, so groß geworden, dass die Wahlen an den Sektionen nicht mehr zu umgehen waren. Natürlich muss hier beachtet werden, dass die personelle Zusammensetzung noch unverändert war – und selbstverständlich den Ausgang bestimmte. An den naturwissenschaftlichen Sektionen kam der Wahlmodus den Erneuerungskräften entgegen, denn es wurde nicht in Statusgruppen gewählt – bei den Hochschullehrern war die klare Mehrheit bei den SED-Mitgliedern bzw. ehemaligen SED-Mitgliedern, traten doch viele um diese Zeit aus der Partei aus –, sondern alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen wählten die Sektionsleitung einschließlich des Sektionsdirektors, der auch nicht aus der Gruppe der Professoren kommen musste. Da in den Naturwissenschaften von der Anzahl her die technischen Mitarbeiter dominierten, von denen wesentlich weniger als im Wissenschaftlerbereich mit der SED verbunden waren, wurden dort Personen gewählt, die sich bis dahin bereits sehr aktiv für die Erneuerung eingesetzt hatten. Bei der Sektion Biowissenschaften wurde Erich Ohmann damit erster frei gewählter Direktor, in Chemie und Physik war es ähnlich. Noch der alte Rektor Prof. Dr. Horst Zaschke übergab die Ernennungsurkunde zum 1. März 1990. Im Laufe des März gab es dann auch Neuwahlen zu Rektorat und Senat, die Sektionen wurden in Fachbereiche umgewandelt und aus den Direktoren wurden Sprecher bzw. Dekane. Die Universität gab sich eine neue Grundordnung, wobei mit Absicht die Amtszeiten aller Funktionsträger mit zwei Jahren festgelegt und nur eine einmalige Wiederwahl zugelassen wurde. Es sollte einer personellen Erstarrung vorgebaut werden.
Als das Wissenschaftsministerium von Sachsen-Anhalt 1991 an allen Hochschulen Personalkommissionen zur Überprüfung der persönlichen Integrität der Hochschulangehörigen einrichtete, war es für Erich Ohmann selbstverständlich, sich für die Arbeit in der Personalkommission Natur- und Landwirtschaftswissenschaften zur Verfügung zu stellen, eine Tätigkeit, die sehr differenzierte Entscheidungen erforderte und für die Kommissionsmitglieder häufig mit nicht leicht fallenden Gewissensentscheidungen verbunden war.
Erich Ohmann gehörte zu den Ersten, für die eine Rehabilitierung als selbstverständlich erschien. Bereits am 21. 2. 1990 gab es einen Beschluss des Rates der Sektion – wohlgemerkt vor der Neuwahl, aber auch den ‚alten Kadern‘ war natürlich die Benachteiligung nicht entgangen – die Verdienste von Erich Ohmann als „führenden Pflanzenphysiologen unseres Landes“ durch Verleihung einer außerordentlichen Professur anzuerkennen. Das geschah dann auch zum 15. September 1990 in der noch bestehenden DDR, die Urkunde überreicht nun allerdings schon der neu gewählte Rektor Prof. Dr. Günther Schilling.
Wenn auch die Gutachter durchgängig zum Ausdruck brachten, dass sie angesichts der Verdienste von Erich Ohmann eine ordentliche Professur eigentlich für angemessen gehalten hätten – „auf Grund […] des hohen wissenschaftlichen Ansehens von Herrn Dr. Ohmann im In- und Ausland ganz dringend erforderlich“, wie es beispielhaft in einem heißt –, so war das zu dem Zeitpunkt nicht möglich, weil sich gerade die Erneuerungsgruppe dafür eingesetzt hatte, solche Berufungen auszusetzen, denn Listen dafür lagen schon vor – bezeichnenderweise zunächst von der Universitätsparteileitung genehmigt und dann im Senat bereits 1989 bestätigt, wobei das jeweilige Deckblatt für die Senatsvorlage noch ungeniert als Vorlage für die SED-Leitung gekennzeichnet war. Hier mussten erst ordentliche Berufungskommissionen, nun durch die gerade erst ins Amt gekommenen Regierungen der neu konstituierten Bundesländer berufen, tätig werden. Selbstverständlich gehörte dann Erich Ohmann mit zu der ersten Gruppe, die im Frühjahr 1992 durch Minister Prof. Dr. Rolf Frick berufen wurde, Erich Ohmann auf die C4-Professur für Pflanzen- und Zellbiologie an der Martin-Luther-Universität.
Im Jahr 1992 stellte er sich auch erfolgreich zur Wiederwahl als Dekan des Fachbereichs Biologie, wieder für eine zweijährige Amtszeit, war Mitglied im Senat der Universität und in dessen Kommission für Finanz- und Personalangelegenheiten sowie in derjenigen für Strukturerneuerung und Studienreform. Unter seiner Leitung und aktiver Mitwirkung z. B. in Berufungskommissionen gelang die Umgestaltung des Fachbereiches Biologie, wobei er sehr darauf bedacht war, auch die traditionell in Halle gut vertretenen klassischen organismischen Disziplinen neben dem Neuaufbau moderner molekularbiologischer Berufungen in vertretbarem Sinn zu erhalten. Sehr intensiv hat er sich auch persönlich um die Erarbeitung der neuen Studienpläne gekümmert.
Die bemerkenswerten heutigen Erfolge der Lebenswissenschaften und die Attraktivität des Biologiestudiums an unserer Alma mater gehen in einem nicht geringen Maße auch auf die Aufbauarbeit Erich Ohmanns zurück. So war auch sein Fazit in einem Brief nach seinem 80. Geburtstag: „Was aber die akademischen Einrichtungen betrifft, ist in Sachsen-Anhalt – und insbesondere in Halle – mehr erreicht worden, als in anderen Regionen. Damit meine ich auch Gerechtigkeit.“ – wobei es ihm zu allen Zeiten sehr auf diese angekommen war. Er war sehr glücklich darüber, die friedliche Revolution miterlebt und in einem nicht unwesentlichen Teil auch mitgestaltet zu haben, wie er häufig in Gesprächen zum Ausdruck gebracht hat. Er hatte ein erfülltes Leben! Wir werden ihm ein ehrendes Angedenken bewahren.
Karin Keller und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vom Universitäts-Archiv Halle-Wittenberg sei herzlich für die Bereitstellung der Unterlagen sowie der Unterstützung bei der Recherche gedankt.
Prof. Dr. Dr.-Ing. Gunnar Berg ist Vize-Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Der Physiker war von 1992 bis 1996 Rektor der Martin-Luther-Universität.