„Next Stop: Brixton Prison“

18.08.2011 von Corinna Bertz in Studium und Lehre, Campus
An der MLU grassiert das Fernweh nicht nur in der Ferienzeit: Die meisten, die über die Uni ins Ausland gehen wollen, bewerben sich um ein Erasmus-Stipendium. Aber es gibt auch andere Wege. Zum Beispiel Leonardo: Katrin Wagner hat die Zeit nach ihrem ersten Staatsexamen, bevor das Referendariat beginnt, genutzt und ist im April für ein Leonardo-Praktikum nach London gegangen. Im Interview erzählt sie von ihrem Arbeitsalltag in der ehemaligen Botschaft der DDR, dem Leben neben Gefängnismauern und der Begegnung mit Barack Obama.
Auch Leonardo-Praktikanten bleibt Zeit zum Relaxen: Katrin Wagner in London.
Auch Leonardo-Praktikanten bleibt Zeit zum Relaxen: Katrin Wagner in London. (Foto: privat)

Wo haben Sie in London Ihr Praktikum gemacht?

Ich habe bei der UK-German Connection gearbeitet, einer Initiative der deutschen und der britischen Regierung, zur Förderung und zum Ausbau deutsch-britischer Jugendbeziehungen. Das Team besteht aus acht jungen deutschen und britischen Kollegen. Zu deren Aufgaben gehören zum Beispiel die Förderung und der Ausbau von Partnerschaften zwischen deutschen und britischen Schulen, die Organisation und Planung von Stipendienprogrammen, durch die britische Schüler für einige Wochen nach Deutschland kommen können sowie eine zweisprachige Internetseite.

Und wie sind Sie zu diesem Praktikumsplatz gekommen?

Ich war schon 2008/09 für ein Jahr als Fremdsprachenassistentin an einem englischen Internat, habe dort Deutsch unterricht und bin viel durchs Land gereist. Ich habe mich in Land und Leute, den britischen Akzent, die ausgeprägte Höflichkeit und den britischen Humor verliebt. Das Fernweh trieb mich dann auch an, nach einer Möglichkeit zu suchen, die Zeit zwischen Studienende und Referendariatsbeginn nochmal in Großbritannien zu verbringen. Nach einiger Recherche habe ich mich bei der UK-German Connection beworben. Eine ehemalige Kollegin aus England hatte mir den Tipp gegeben. Und nach der schriftlichen Bewerbung und einem Telefoninterview hatte ich den Praktikumsplatz sicher!

Beim "Royal Wedding" wurde auf dem Trafalgar Square mitgefiebert
Beim "Royal Wedding" wurde auf dem Trafalgar Square mitgefiebert (Foto: Katrin Wagner)

Wie sah Ihr Arbeitsalltag aus?

Mein Büro lag in einem der ehrwürdigen weißen viktorianischen Häuser am Belgrave Square. Mitten im Zentrum Londons, nah am Hyde Park und dem Buckingham Palast, und – eine Art Ironie der Geschichte – in der ehemaligen Botschaft der DDR, meinem einstigen Geburtsland!

So vielgestaltig wie die Aufgabenbereiche der UK-German Connection, so abwechslungsreich und spannend war auch mein Arbeitsalltag dort. Ich hatte die Möglichkeit, überall hineinzuschnuppern. Das berühmt-berüchtigte Kaffeekochen fiel nur einmal während einer Konferenz in meinen Aufgabenbereich. Da war ich unter anderem auch für die Planung und Organisation des Caterings für alle Konferenzteilnehmer zuständig. Meine Lieblingsaufgabe war es, Themen für neue Artikel und Aktivitäten für die Internetseite zu finden und zu schreiben, weil ich hier endlich wieder meiner journalistischen Ader freien Lauf lassen konnte.

Hat sich der britische Arbeitsalltag sehr vom deutschen unterschieden?

Ich würde sagen, dass es grundsätzlich keine großen Unterschiede in der Arbeitsweise, im Tagesablauf oder in der typischen Büro-Routine gibt. Allerdings sind mir einige kleinere Unterschiede aufgefallen. Auch wenn das natürlich branchenabhängig ist, kam mir zum Beispiel das Miteinander unter den Kollegen weniger hierarchisch-distanziert und viel kollegialer vor, das Team-Gefühl war einfach größer. Ein weiterer Unterschied besteht in der Kleidung, die man im Büro trägt. Da hebt sich der britische Standard oft deutlich vom deutschen ab. In Großbritannien werden bei den Herren meist Stoffhosen, Hemd und teilweise auch Krawatte und Jackett erwartet – und bei den Damen eine Bluse oder ein elegantes Oberteil und Stoffhose oder Rock.

Eine typischen Feierabendaktivität der Briten ist auch der pub after work. Gerade an Freitagen kann man dieses Phänomen beobachten. Manche treffen sich schon in der Mittagspause auf ein erstes Bier draußen vor dem Pub! Und dann, nach dem Feierabend füllen sich die Pubs und die Fußwege davor mit Massen an Menschen - schick gekleidet in Anzug und Kostüm.

Wo haben Sie in London gelebt?

Es war schwierig, überhaupt ein halbwegs bezahlbares Zimmer in London für nur zwei Monate zu finden: Entweder es gab eine Mindestmietdauer von sechs Monaten, oder das Zimmer war zu teuer oder viel zu klein oder die Sauberkeit ließ zu wünschen übrig. Ich habe dann bei einem ganz netten kroatischen Ehepaar gewohnt, die zwei Zimmer ihrer Wohnung in Brixton, einem Stadtteil mit mehrheitlich schwarzer Bevölkerung mit jamaikanischen Wurzeln, untervermieten.

Tea Time in England: Sandwiches, Scones und Fruit Cake
Tea Time in England: Sandwiches, Scones und Fruit Cake (Foto: Katrin Wagner)

Und wie war das Leben in Brixton?

Den ersten kleinen Schock bekam ich gleich bei der Ankunft, als ich aus dem Bus aussteigen wollte und meine Haltestelle vom Busfahrer als Jebb Avenue/Brixton Prison angekündigt wurde. Mein Zimmer befand sich also in einem Wohnblock, der direkt neben dem örtlichen Gefängnis von Brixton stand. Vom Küchenfenster aus konnte ich die Gefängnismauern sehen, die nur zu hoch waren, um direkt in den Hof hineinschauen zu können.

Seit meiner Zeit in Brixton kann ich gut nachvollziehen, wie man sich als Minderheit fühlt. Noch nie zuvor war ich in der so eigenartigen Situation, die einzige Weiße, noch dazu die einzige blonde Weiße im Bus, im Supermarkt oder auf dem Markt zu sein, so wie es mir dort oft passiert ist. Da wird man plötzlich zu einer Art Attraktion mit all seinen Vor- und Nachteilen. Allerdings musste ich mir nie böse Sprüche anhören oder fühlte mich irgendwie bedroht, da gab es eher Neugier und interessierte Blicke.

Wie haben Sie sich Ihren London-Aufenthalt finanziert?

Da mir meine Praktikumsorganisation kein Gehalt zahlen konnte, die Lebenshaltungskosten in London aber sehr hoch sind, hätte ich eigentlich große Probleme gehabt, mir diese zwei Monate ganz allein zu finanzieren. Nur Dank des Tipps eines Dozenten bin ich auf das Leonardo-Programm der EU zur Förderung von Auslandspraktika aufmerksam geworden.

Was waren Ihre persönlichen Höhepunkte während des Aufenthalts?

In Bezug auf prominente Persönlichkeiten war ein Highlight sicher der Staatsbesuch von Barack Obama und seiner Frau Michelle. Aus der Presse wusste ich, dass er an seinem ersten Tag vormittags in den Buckingham Palast eingeladen war zum offiziellen Empfang durch die Queen und die königliche Familie. Also beschloss ich, in meiner Mittagspause mal dort auf gut Glück vorbeizuschauen, schließlich waren es nur circa zehn Minuten Fußweg. Als ich von einer Polizistin erfuhr, dass Mr. President sich in einer halben Stunde auf den Weg vom Buckingham Palast Richtung Westminster Abbey machen würde, beschloss ich, diese einmalige Chance zu nutzen und zu warten, was auch belohnt wurde. Nicht nur Barack und Michelle Obama, sondern vorher auch Prinz Charles und seine Camilla fuhren in ihren Limousinen langsam an mir vorbei. Nicht schlecht für eine Mittagspause!

Informationen zum Leonardo Programm

Das Programm "Leonardo da Vinci" wurde von der EU ins Leben gerufen, um jungen Menschen die Möglichkeit zu geben, im europäischen Ausland ein Praktikum zu absolvieren. Es können sich sowohl immatrikulierte Studierende sowie auch Uni-Absolventen bewerben. Für Studierende und Absolventen in Sachsen-Anhalt ist das Leonardo-Büro ComEAST Ansprechpartner für sämtliche Fragen zum Leonardo-Stipendium und für Bewerbungen.

Praktikum über "Leonardo Da Vinci"   Ausführliche Informationen auf Career-Contact.de

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Karriere

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