Nomaden in Hamburg
Zehn Jahre lang haben die über 140 Forscher aus Leipzig und Halle untersucht, wie Nomaden in den vergangenen 5000 Jahren lebten und wie sich ihre Beziehungen zu sesshaften Kulturen gestalten. In Europa ist der SFB der einzige Forschungsverbund, der sich exklusiv mit dieser Thematik beschäftigt. „Unsere Fragestellung war nicht neu, aber in dieser Konsequenz wurde ihr bislang noch nie nachgegangen“, sagt Prof. Dr. Jürgen Paul, stellvertretender Sprecher des SFB.
Auf einer internationalen Tagung diskutieren die Wissenschaftler im Museum für Völkerkunde Hamburg seit heute ihre Ergebnisse mit Nomadenforschern aus Europa, den USA, Neuseeland, dem Sudan und Aserbaidschan. Zugleich geben sie mit der Ausstellung „Brisante Begegnungen: Nomaden in einer sesshaften Welt“ am selben Ort Einblick in ihre Projekte und in die Lebenswelt der Nomaden in Marokko, dem Sudan, dem Iran, China und Usbekistan. An vielen Orten sind neue Kooperationen entstanden, die auch nach dem Ende des SFB weitergeführt werden sollen.
Manche Ethnologen und Geographen sind dafür selbst zu „Teilzeit-Nomaden“ geworden. „Diejenigen, die das Leben der heutigen Nomaden erforschen, begeben sich mit ihnen auf die Wanderung. Sie begleiten und beobachten“, erzählt Professor Jürgen Paul, der sich als Islamwissenschaftler vor allem in historischen Quellen auf Spurensuche begeben hat. Viele der 400 Exponate, die jetzt auf 1000 Quadratmetern im Museum für Völkerkunde zu sehen sind, haben die Forscher selbst von ihren Reisen mitgebracht.
„Wir wollen in dieser Ausstellung den Standpunkt der Nomaden einnehmen, nicht den der Sesshaften“, sagt Prof. Dr. Annegret Nippa, die gemeinsam mit Dr. Andreea Bretan die Ausstellung kuratiert und konzipiert hat. „Gehen Sie durch die Ausstellung und hören die Geschichten. Haben Sie wie die Nomaden den Horizont im Blick. Schauen Sie genau hin, beobachten Sie und tauschen Sie sich aus“, fordert sie die Besucher bei der Ausstellungseröffnung auf.
Außergewöhnlich sind nicht nur der Umfang der Ausstellung und die Zusammenarbeit der beiden Universitäten mit einem Museum. Der SFB 586 ist in vielerlei Hinsicht ein echtes Schwergewicht: Über 100 Publikationen sind im Laufe der zehn Jahre bereits entstanden. Auch die Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft ist in ihrem Umfang und ihrer Dauer für die beteiligten kulturwissenschaftlichen Fächer eine Besonderheit. Allein die Ausstellung wurde mit 980.000 Euro gefördert.
„Es ist ein besonderes Projekt, weil es die kleinen Fächer zusammenbringt“, sagt die Leipziger Rektorin Prof. Dr. Beate Schücking in ihrem Grußwort zur Ausstellungseröffnung. Genau das war auch die Intention des Initiators, Prof. Dr. Stefan Leder. „Ich war der Überzeugung, dass die kleinen Fächer zwar einzigartig, aber eben auch zu vereinzelt sind. Es war notwendig, hier integrativ zusammen zu arbeiten“, erzählt der Orientwissenschaftler der MLU.
Ende der neunziger Jahre diskutierte er mit Kollegen über die Steppenforschung, als ihm der Gedanke zu einem solchen Forschungsverbund kam: „Damals beschäftigte uns die Frage, was sozial und politisch in der Steppe passierte.“ Die Fragestellung verband Archäologen, Historiker – und bald auch Leipziger Ethnologen wie Prof. Dr. Bernhard Streck. „Halle und Leipzig bieten kulturwissenschaftlich ein Fächerspektrum, das in dieser Dichte und Breite in Deutschland einzigartig ist. Und die Zusammenarbeit lief immer sehr gut“, erzählt Stefan Leder, der bis 2007 Sprecher des SFB war. „An allen Arbeitsgruppen waren stets Mitarbeiter beider Universitäten beteiligt. Der SFB lebt von einer Diskussion unter Anwesenden.“
Zwar sind nicht alle Mitarbeiter aus den drei verschiedenen Förderphasen auch auf der Abschlussveranstaltung des SFB anwesend. Aber in einer Publikation sind sie alle vereint: „Das ABC des Nomadismus“ ist ein Taschenbuch, das anstelle des üblichen Ausstellungskatalogs erscheint. Die Autoren führen den Leser darin in die nomadische Kultur ein und bilden ein faszinierendes Puzzle der verschiedenen Teilprojekte ab.