Phagen: Nützliche Viren mit unsicherer Rechtslage

18.09.2024 von Wenke Dargel in Wissenschaft, Forschung
Bakteriophagen sind die natürlichen Feinde der Bakterien. Die Viren können Bakterien befallen und töten – ohne Antibiotika. Obwohl das seit vielen Jahren bekannt ist, kommen Bakteriophagen beim Menschen nur selten zum Einsatz. Bisher gibt es noch zu viele rechtliche Unsicherheiten. Welche das sind und wie sich diese auflösen lassen, hat der Biologe und Jurist Dr. Timo Faltus analysiert. Im Interview erläutert er die Hintergründe.
Ein Bakteriophage auf einem Bakterium. Die Viren können einzelne Bakterienstämme befallen und töten.
Ein Bakteriophage auf einem Bakterium. Die Viren können einzelne Bakterienstämme befallen und töten. (Foto: peterschreiber.media / stock.adobe.com)

Was sind Bakteriophagen und was machen sie?
Timo Faltus: Es handelt sich um Viren, die Bakterien befallen können. Bildlich gesprochen machen Bakteriophagen, oder kurz Phagen, Bakterien krank und töten sie so. Ein Vorteil der Phagen ist, dass bestimmte Phagentypen nur jeweils eine Art von Bakterien befallen. Es gibt also Phagen, die gezielt nur für den Menschen schädliche Bakterien ausmerzen. Im Gegensatz dazu wirken Antibiotika gegen gute und schädliche Bakterien gleichermaßen. Normalerweise denkt man ja: Viren, bloß weg damit. Phagen hingegen sind Viren, die uns in vielen Fällen gar nicht aktiv genug sein können.

Timo Faltus
Timo Faltus (Foto: studioline Leipzig)

Welche Vorteile bietet der medizinische Einsatz von Phagen?
Phagen sind eine Ergänzung und vielleicht auch einmal eine Alternative zur Antibiotikatherapie. Immer mehr Bakterien entwickeln Resistenzen gegen gängige und selbst gegen noch nicht so häufig genutzte Antibiotika. Antibiotikaresistente Bakterien sind ein riesiges Problem, eine stille Pandemie, an der schätzungsweise jährlich weltweit 1,3 Millionen Menschen sterben. Diese Resistenzen werden weiter zunehmen. Neue Antibiotika zu finden, ist bisher ein wenig lukratives Geschäft. Außerdem verschieben wir damit das Problem nur, bis die Bakterien auch gegen diese Substanzen Resistenzen gebildet haben. Deshalb sollten wir gegen bakterielle Infektionen einen neuen Ansatz verfolgen, der eigentlich ein alter ist.

Wie würde der Einsatz von Phagen konkret aussehen?
Bestimmte Phagentherapeutika sind das Lehrbuchbeispiel für eine individualisierte Therapie: Dabei setzen Ärztinnen und Ärzte oder Apotheken nicht auf industriell hergestellte Fertigarzneimittel, sondern stellen die Medikamente speziell für einzelne Patienten her. Das würde konkret bedeuten, dass der Arzt zunächst herausfinden muss, welches Bakterium die Infektion ausgelöst hat. Dann wird der passende Phagentyp für die Behandlung bestimmt. Die benötigten Phagen werden in Phagenbanken vorrätig gehalten und dann entweder dort oder in darauf spezialisierten Einrichtungen in der für die Behandlung benötigten Menge vermehrt. Vor der eigentlichen Behandlung müssen die Phagen zum anwendungsfertigen Arzneimittel aufbereitet werden. Dann könnte das Medikament verabreicht werden.

Bislang kommen Phagen in der Medizin – zumindest in Deutschland – nicht oft zum Einsatz. Was braucht es, damit Phagen als Medikament zugelassen werden?
Ihre Frage hat zur Bedingung, dass wir überhaupt eine Zulassung brauchen.

Phagen müssen gar nicht zugelassen werden?
Aktuell werden individualisierte Phagentherapeutika typischerweise in einer Krankenhausapotheke hergestellt und nicht wie üblich industriell, als in einer Fabrik hergestellte Fertigarzneimittel. Das Zulassungserfordernis mit der daran gekoppelten Voraussetzung erfolgreicher klinischer Studien gilt aber nur für Fertigarzneimittel. Für individualisierte Arzneimittel aus Apothekenherstellung ist das nicht der Fall: Grundsätzlich braucht es dafür nach dem Arzneimittelrecht keine Zulassung. Eine ganz andere Frage ist aber, ob auch der Arzt oder der Apotheker bei individualisierter Herstellung für Phagentherapeutika eine Herstellungserlaubnis brauchen. Diese Frage ist unabhängig von der Frage der Zulassung zu klären.

Woher weiß man ohne Zulassung dann, ob individualisierte Therapeutika wirken – und ob sie sicher sind?
Dass sie wirken, sieht man daran, ob sich der gewünschte therapeutische Erfolg zeigt. Ob sie sicher sind, ist eine andere Frage ... Bevor ein neuer Arzneimitteltyp, ob individualisiert oder industriell hergestellt, erstmalig am Menschen angewendet wird, muss es präklinische Untersuchen geben: Versuche mit Zellkulturen und auch an Tieren. So lassen sich unerwünschte Nebenwirkungen feststellen. Zudem ist die Phagentherapie seit circa 100 Jahren in Osteuropa in der Anwendung, namentlich in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Weltweit – auch in der EU und in Deutschland – laufen klinische Studien sowie dokumentierte individuelle Heilversuche mit Phagen, also begründete Einzelfallbehandlungen, die vom medizinischen Standard – bei uns Antibiotika – abweichen. Phagen kommen auch natürlicherweise auf und im Menschen vor, ohne dass das aber so schon therapeutisch nutzbar ist. Aus diesen Beobachtungen wird der Schluss einer hinreichenden therapeutischen Sicherheit von Phagen – auch in der individualisierten Anwendung – gezogen.

Warum werden Phagentherapeutika dann nicht vermehrt angewandt, wenn sie so viele Vorteile bieten?
Ein Hindernis ist die unbeantwortete Frage, wer für die Kosten aufkommt: Da apothekenbasiert hergestellte individualisierte Phagen arzneimittelrechtlich nicht zugelassen sind, können sie zwar angewendet werden, gehören aber nicht zum Leistungskatalog der Krankenkasse. Zudem ist die individualisierte Herstellung im Vergleich zur industriellen Herstellung kostenintensiver und daher nicht etwas, was sich jeder Patient als Selbstzahler leisten kann, wenn die Kasse die Kosten nicht doch ausnahmsweise erstattet. Dieses Problem ist typisch für apothekenbasiert hergestellte individualisierte Therapie. Hier muss sich etwas ändern, damit es für Start-ups und die pharmazeutische Industrie interessant wird, auch individualisierte Phagentherapeutika zu entwickeln und herzustellen. Die Europäische Union reformiert zwar gerade ihr Arzneimittelrecht, allerdings sind im bisherigen Reformvorschlag individualisierte Phagentherapeutika meines Erachtens nicht adäquat erfasst.

Wie wollen Sie weiter zu dem Thema forschen?
Bisher habe ich mich eher zur Analyse des rechtlichen Ist-Zustandes geäußert. Jetzt ist die Frage: Wie kann man den regulatorischen Rahmen für Phagentherapeutika – auch in Anbetracht der schon laufenden Gesetzgebungsverfahren auf EU-Ebene – für die Zukunft gestalten? Also es gibt da noch viele Detailfragen, zu denen ich in Zukunft arbeiten möchte.

Studie: Faltus, T. The Medicinal Phage – Regulatory Roadmap for Phage Therapy under EU Pharmaceutical Legislation. Viruses (2024). doi: 10.3390/v16030443  

 

 

Schlagwörter

Jura

Kommentar schreiben

Auf unserer Webseite werden Cookies gemäß unserer Datenschutzerklärung verwendet. Wenn Sie weiter auf diesen Seiten surfen, erklären Sie sich damit einverstanden. Einverstanden