"Die Schuldigen": Studententheater lädt ein ins Laboratorium
Hin und wieder unterbricht Tanzpädagogin Ellen Brix die Probe und bespricht die Feinheiten der Büßer-Choreografie mit der Gruppe. Die Choreografie ist Teil der neuen Aufführung „Die Schuldigen“ des Studententheaters Halle, die zur Langen Nacht der Wissenschaften am 3. Juli ihre Premiere feiert. Bereits ab heute Abend kann jeder den Darstellern beim Proben zuschauen: Bis Mittwoch dieser Woche lädt das Studententheater jeweils ab 18 Uhr zum „öffentlichen Laboratorium“ in den Räumen des alten Instituts für Physik am Friedemann-Bach-Platz 6 ein.
Zwei Tage vor Eröffnung des Laboratoriums sitzt Helen Schumann auf der großen Steintreppe im Eingangsbereich des Backsteinbaus. Die Figurenspielerin begrüßt Nachzügler, bespricht und entwickelt einzelne Szenen mit den studentischen Darstellern, geht Einkaufslisten durch. Kein klassisches Theaterstück stellen die drei Leiter des Studententheaters, Helen Schumann, Elsa Weise und Tom Wolter, hier auf die Beine, sondern eine theatralische Auseinandersetzung zum Thema Schuld.
Die Szenen und Bilder entstehen im Austausch mit den Studierenden. Jeder bringt seine Ideen ein, überlegt sich, wie er Ideen und Stichworte in konkrete Bilder, Sätze und Gesten umsetzen kann. Wie kann ich große Katastrophen bildlich darstellen? Wie gebe ich mich als Wahrsagerin und was hat Wahrsagen überhaupt mit Schuld zu tun? Gibt es jemanden, der keine Schuld trägt?
Schuld – ein Thema, das zwar überall präsent und stets aktuell ist, zu dem aber dennoch jeder einen ganz individuellen Zugang hat. „Allein wenn ich an die Vergangenheit denke, fühle ich mich als Westeuropäer schuldig“, sagt einer der Darsteller. „Und heute machen wir uns schuldig, indem wir eine Mauer um Europa ziehen“, ergänzt er. So vielseitig, wie sich die Thematik gestaltet, so vielseitig sind die Szenen, die Schumann in ihrem Skizzenbuch festhält: Ein Büro für Moralinsolvenz wird es geben, eine Galerie der schuldigen Dinge, Experimente im Labor, Bilder des Künstlers Lukas Adolphi, Begegnungen mit dem dänischen Philosophen Søren Kierkegaard und mit einer Wahrsagerin.
Die Besucher werden auch Gelegenheit haben, sich auf Szenen einzulassen, in denen sie einem Darsteller allein gegenüberstehen. Weniger als einen Monat hatten die Studierenden Zeit, um die Inhalte, die bereits ab kommenden Donnerstag voraufgeführt werden sollen, zu entwickeln. Erst seit einer Woche proben sie am Aufführungsort.
Vieles passiere aus dem Stegreif, erzählt ein Student, der seit anderthalb Jahr beim Theater mitspielt: „Man wird in eine Situation geschmissen, in der man erstmal gar nicht genau weiß, was man tut. Genau das macht Riesenspaß.“ Durch zwölf Räume des alten Instituts soll das Publikum von Szene zu Szenen geführt werden. Insgesamt 50 Personen sind an der Inszenierung beteiligt. Eine Schuld-Karaoke, selbstgebaute Schuldenberge und kurze Vorträge, etwa von einer Richterin, sind ebenfalls geplant.
„Der Besucher hat immer die Wahl. Er kann die Ausstellungen anschauen und sich in Stille mit dem Thema auseinandersetzen. Er kann sich aber auch aktiv beteiligen“, sagt Helen Schumann. „Wir suchen den Dialog mit dem Publikum.“ Denn gerade bei der Thematik Schuld reiche es nicht aus, sich bloß etwas auszudenken: „Schuld ist ein Regelbruch und Regeln werden in der Gesellschaft, im Austausch miteinander, etabliert – und auch hinterfragt. Es braucht immer den, der zuschaut und sich darüber austauscht. “
„Die Schuldigen“ am Friedemann-Bach-Platz 6
Öffentliches Laboratorium: 4. bis 6. Mai ab 18 Uhr. Mehr zum Programm
Voraufführungen: 7. bis 9. Mai, ab 20 Uhr geführte Besichtigungen von circa zwei Stunden
Premiere zur Langen Nacht der Wissenschaften am 3. Juli
Im Vorfeld der Besichtigung können sich Interessierte an dem Projekt beteiligen. Anfragen an kontakt@wolter-und-kollegen.de.
Aktuelles im Blog: http://dieschuldigen.wordpress.com