Räume, Flächen, Wissen schaffen
1. Wie kommt die Wissenschaft ins Gebäude?
Auch Wissenschaftsbauten sind letztlich „nur“ Gebäude, könnte man meinen. Wer sich jedoch mit Verantwortlichen der für diese Gebäude zuständigen Abteilung 4 („Bau, Liegenschaften und Gebäudemanagement der MLU“) unterhält, wird schnell eines Besseren belehrt: Da können schon mal die magnetischen Felder vor einem Labor eine alles entscheidende Rolle spielen. Oder der Wunsch nach „erschütterungsfreien Versuchen“ verlangt ein spezielles Fundament. Und wo stellt man bloß die Bienenstöcke der Zoologen auf, ohne dass die Bienen jemanden stechen? „Das sind alles Grenzbereiche, mit denen man meist nur einmal im Leben zu tun hat – dafür aber sehr intensiv“, erzählt Horst-Dieter Foerster, der seit 17 Jahren die Abteilung leitet.
Aus der Vielfalt einer Universität ergibt sich für die A 4 eine Vielfalt von Herausforderungen. Jeder neu ausgerichtete Lehrstuhl verlangt neue Lösungen. „Das ist wie ein Knallbonbon“, sagt Foerster. Die Interessen der Nutzer müssen mit Gesetzen und Vorgaben abgestimmt werden. „Wir moderieren zwischen den verschiedenen Akteuren und müssen dabei immer wieder Kompromisse machen.“
In vier Referaten kümmert sich die A 4 um den gesamten Liegenschaftsbetrieb der Universität. Das Baureferat der Abteilung darf „kleine“ Bau- und Sanierungsmaßnahmen bis zu 850.000 Euro selbst durchführen. Kostenaufwändigere Vorhaben, wie etwa das Geistes- und Sozialwissenschaftliche Zentrum, übernimmt das Land. Auch die Grundreinigung leergezogener Uni-Gebäude ist eine Aufgabe der A4. „Wir müssen sie dem Land besenrein übergeben“, erklärt Foerster. Das kann auch heißen: Schadstoffe klassifizieren, eingestaubte Lager entrümpeln oder Spezialfirmen beauftragen, die wertvolle Sammlungsschränke auseinander- und wieder zusammenbauen. „Die A4 macht gute Planungen und erledigt oft die große Drecksarbeit“, meint dazu Dr. Frank Steinheimer anerkennend. Als Leiter des Zentralmagazins der Naturwissenschaftlichen Sammlungen hat er schon mehrere Sammlungsumzüge gemeinsam mit der Abteilung bewältigt.
Das Referat Technik kümmert sich u.a. um Heizung, Energie, Klima- und sanitäre Anlagen der Universität. Geht irgendwo etwas kaputt, laufen hier in der „zentralen Störungsannahme“ die Beschwerden auf. „Aus Sicht der Nutzer dauert es oft zu lange, bis ein solcher Reparaturauftrag erledigt ist“, gibt Foerster zu und schiebt zwei Gründe gleich hinterher: „Es gibt keine Eingreiftruppe, alle im Referat bearbeiten viele Themen parallel.“ Und wenn zur Schadensbehebung mehrere Referate gebraucht werden, müsse erst einmal die Abstimmung organisiert werden. „Aber manchmal könnte man die Zeit noch reduzieren. An dieser Organisation arbeiten wir zurzeit.“
2. Wo im Stadtraum steckt die Wissenschaft?
In Halle kann die Antwort nur lauten: Überall! Sei es die Universität, die Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle, die außeruniversitären Forschungseinrichtungen von Fraunhofer bis zu Max-Planck-Instituten oder die Leopoldina – die Wissenschaft ist an vielen markanten Orten der Stadt zu finden. „Genau darin drückt sich für mich auch die Verbindung zwischen Stadt und Universität aus“, sagt Rektor Udo Sträter. „Wir sind keine Campus-Universität im typischen Sinne, stattdessen sind wir städtebaulich prägend mitten in Halle vertreten.“
Die lange gemeinsame Geschichte von Wissenschaft und Saalestadt lässt sich bis zur Gründung der Universität Halle im Jahr 1694 zurückverfolgen. Damals fand die Hochschule im städtischen „Hochzeits- und Waagehaus“ neben dem Rathaus Platz. Hier wurden Marktwaren gewogen, Hochzeiten besiegelt – und parallel dazu wurde auf einigen Etagen studiert und gelehrt. „Im 18. Jahrhundert prägte die Universität das Stadtbild dann vor allem durch die Stadthäuser der Professoren. Das waren regelrechte Paläste, in denen sie lehrten und auch ihre Lehrmittelsammlungen untergebracht hatten“, erzählt Dr. Ralf-Torsten Speler von der Zentralen Kustodie. Einige dieser Häuser gehören auch heute noch zum historischen Erbe der Stadt, etwa das Christian-Wolff-Haus oder das Riesenhaus am Großen Berlin, in dem die berühmte Anatomenfamilie Meckel Medizingeschichte schrieb.
„Die ersten Institutsgebäude entstanden dann mit der Aufteilung der Lehre in einzelne Fachdisziplinen“, sagt Speler. Der große Bauboom begann im 19. Jahrhundert, als u.a. das Institut für Physik am Friedemann-Bach-Platz, das Robertinum und das Löwengebäude entstanden. Die meisten der heute von der MLU genutzten Gebäude wurden jedoch im 20. Jahrhundert gebaut, wie die Grafik auf Seite 17 zeigt. Daneben hat die Universität so einige städtische Gebäude als Mieter genutzt. Gelehrt und geforscht wurde z. B. in der Neuen Residenz (Klinik für Geburtshilfe, später Geologie), im neuen Leopoldina-Hauptgebäude (Geschichte, später Staatbürgerkunde) und sogar in der Moritzburg (Institut für Körpererziehung).
3. Wo wird zurzeit gebaut?
Die prominenteste Baustelle für die Wissenschaft ist derzeit zweifellos das Geistes- und Sozialwissenschaftliche Zentrum (GSZ) am neu entstehenden
Steintor Campus. Über zehn Jahre lang war von einem Campus für Institute der Philosophischen Fakultäten I und II die Rede. Im April 2012 begann schließlich der Bau, unter Regie des Landesbetriebs Bau und Liegenschaftsmanagement Sachsen-Anhalt. Seitdem stand das Vorhaben häufiger in der Kritik: Etwa als wegen des Kostendeckels die geplante Bibliothek verkleinert wurde. Studierende kritisierten zudem fehlende Räume für Fachschaften und Institutsgruppen. In diesem Punkt haben sich Uni-Kanzler und studentische Vertreter im Dialog geeinigt: Eines der drei Gebäude vor Ort, die zurzeit saniert werden, baut die MLU nun für eine Nutzung durch Fachschaftsrat und Studierendenschaft aus. Im Mai schließlich wiesen die Behindertenvertreterin der MLU und der Personalrat darauf hin, dass die geplanten Neubauten gegen technische Normen der Barrierefreiheit verstießen. Flure und Treppen waren ursprünglich zu eng ausgelegt, die Pläne wurden inzwischen entsprechend angepasst. An allen Baubereichen wird nun parallel gearbeitet. Für den 18. Juli ist die Grundsteinlegung geplant – gemeinsam mit einem Sommerfest für alle am Projekt Beteiligten sowie für die Anwohner. 2014 sollen die Bauten am Steintor Campus bezugsfertig sein.
Das zweite große Bauprojekt für die Universität entsteht ab 2013 am Weinberg Campus, in direkter Nachbarschaft zum Institut für Biochemie und Bio-technologie. Das Proteinzentrum Halle soll dort Arbeitsgruppen der Zellbiologie, der Proteinchemie und der Medizin zukünftig unter einem Dach zusammenführen. „Ich hoffe, dass wir 2015 die Projekte GSZ und Proteinzentrum abschließen können und damit die Flächen vorfinden, die zu unserer Universität gehören. Es bleiben dann die Sanierungsprojekte Chemie, Biochemie, Pharmazie, Geobotanik und Wirtschaftswissenschaften“, sagt Kanzler Martin Hecht.
Fast fertiggestellt ist hingegen das Internationale Begegnungszentrum (IBZ) an der Emil-Abderhalden-Straße 7a. Gastwissenschaftler der Universität und aller anderen wissenschaftlichen Einrichtung in Halle werden hier gemeinsam mit ihren Familien wohnen und arbeiten können. Die Einweihung ist noch in diesem Jahr geplant. Und auch am Weinberg Campus wird gerade fleißig gebaut: Im März feierte das Fraunhofer-Center für Silizium-Photovoltaik (CSP) an der Otto-Eißfeldt-Straße Richtfest. Im kommenden Jahr soll das Forschungsgebäude bereits bezogen werden.
4. Das Löwengebäude: Vorzeigebau oder Sorgenkind?
Wer heute das Löwengebäude betritt, den mag es überraschen, aber damals – 1843, als es eröffnet wurde – war das Gebäude „eine große Katastrophe“, sagt Dr. Ralf-Torsten Speler von der Zentralen Kustodie der MLU. 40.000 Taler wollte der preußische König Friedrich III. für den ursprünglich dreiteilig geplanten Bau ausgeben. „Aber schon der Mittelteil allein – das heutige Löwengebäude – kostete 64.000 Taler!“, erzählt Speler. Das Baugeld war bereits aufgebraucht, noch bevor der Innenausbau fertig gestellt war. „Also wurden die Wände nur geweißt und in die Nischen stellte man schnell noch ein paar Philosophenbüsten.“ Viel schlimmer noch: Weder die Universitätsverwaltung noch die Toiletten hatten in dem Gebäude mit dem „unverhältnismäßig großen Treppenhaus“ Platz. Eine Senatskomission entschied sich dagegen, den knappen Raum für Pissoirs zu verschwenden. Die Studenten waren lange gezwungen, die Büsche im umliegenden Park zu nutzen.
Bis heute hat das Hauptgebäude der Universität die meisten „Umstände“ gemacht. Es wurde am häufigsten saniert, ist mit den strengsten Denkmalschutzvorschriften belegt und muss einer Unmenge verschiedener Nutzerwünsche gerecht werden: „Dort läuft der Studentenbetrieb parallel zu einer Ausstellung und außerhalb der Dienstzeiten unserer Hausmeister wird eine Orgel betrieben ... Es ist nun mal das repräsentativste Gebäude der Universität“, sagt Horst-Dieter Foerster mit ein wenig Nachsicht in der Stimme. Denn solange der Bau von Ernst Friedrich Zwirner, dem letzten Architekten des Kölner Doms, seine Besucher immer wieder aufs Neue in Erstaunen und Entzücken versetzen kann, solange sei ihm seine kleine Sonderrolle unter den MLU-Gebäuden gegönnt.
5. Schrumpft die Uni?
Die Uni schrumpft – zumindest in der Fläche: Schon vor acht Jahren haben Land und Hochschule vereinbart, die Flächen der Martin-Luther-Universität um sechs Hektar zu reduzieren. „Wir bewirtschaften derzeit etwa 210.000 Quadratmeter Fläche und haben im letzten Jahr in Zusammenarbeit mit der HIS GmbH auf Basis einer Bedarfsberechnung festgestellt, dass für unsere Universität die Zielzahl von 150.000 Quadratmeter mit den erwähnten Ergänzungen realistisch ist“, sagt Uni-Kanzler Dr. Martin Hecht.
Aber wie passt eine Flächenreduktion zu den steigenden Studierendenzahlen? „Die Studierendenzahlen machen sich fachspezifisch unterschiedlich bemerkbar“, sagt Martin Hecht. Für die experimentellen Naturwissenschaften werde grundsätzlich ein höherer Flächenbedarf angesetzt. Die Überlast in geisteswissenschaftlichen Fächern wie Soziologie, Politik- oder Wirtschaftswissenschaften ist dem Uni-Kanzler jedoch bewusst. „Die Universität muss gut überlegen, ob sie die Überlast, die wir derzeit besonders in den Geisteswissenschaften fahren und die wir durch die Forderungen aus dem Hochschulpakt und damit aus dem politischen Umfeld erhalten, dauerhaft so weiter tragen können. Wenn, dann müssen wir auch gebäudeseitig etwas tun.“
Auf zwei Wegen soll die universitäre Fläche bis 2015 verkleinert werden: Ungenutzte Flächen will die MLU an das Land zurückgeben. Außerdem wird die Hochschule einen Großteil ihrer über die Stadt verteilten Institute zusammenführen. „Wir werden im Wesentlichen an vier Standorten im Stadtgebiet vertreten sein. Das sind der Universitätsplatz, der Steintor Campus, die Franckeschen Stiftungen und der Weinberg Campus.“ Den Vorteil dieser Entwicklung sieht der Kanzler vor allem in der neu geschaffenen räumlichen Nähe: „Ich denke, es ist nicht nur ein Sprichwort, dass gemeinsames Arbeiten beim Kaffee auf dem Flur beginnt. Räumliche Nähe ist ein wichtiger Eckpfeiler kooperativer Forschung und gemeinsam organisierter Lehre“.
Interview mit Uni-Kanzler Martin Hecht
Im Interview mit dem Unimagazin spricht MLU-Kanzler Dr. Martin Hecht über Flächenplanung, das Leitprinzip der räumlichen Nähe und den neuen Steintor Campus. Besondere Bedeutung hat für ihn das Jahr 2015. “Ich hoffe, dass wir dann die Projekte GSZ und Proteinzentrum abschließen können.”
Informationen zur räumlichen Verteilung der universitären Einrichtungen liefert das Campus-Informationssystem, entwickelt im Rahmen eines Gemeinschaftsprojektes des Instituts für Geowissenschaften mit der Stabsstelle des Rektors (Bereich Hochschulmarketing).