Rezension: Alles Öko – oder was?
Lohnt es sich denn dann überhaupt, Bücher zu diesem Thema zu lesen? Ja, auf jeden Fall! Denn obgleich das oben bemühte Ideal nie erreicht werden wird, kann man ihm zumindest näher kommen. Vielmehr: man muss sich unbedingt mit diesen Problemen auseinandersetzen, wenn die Menschheit auf dieser Erde eine Zukunft haben will.
So wie Eltern und Lehrer darauf achten sollten, dass Stadtkinder nicht lebenslang glauben, Milchkühe kämen mit lila Fell zur Welt, muss manchen naturfern Aufwachsenden erklärt werden, dass Brot nicht im Backshop wächst. Und falls sie sich nach Abitur, Weltreise und sozialem Jahr für einen umweltaffinen Beruf entscheiden, womöglich Agrarwissenschaft studieren, wird Diepenbrocks neue Publikation Pflichtlektüre für sie sein.
Der Autor stammt aus Deutschlands hohem Norden, wo die (Natur-)Rohstoffe Wind und Sonne fast immer zu haben sind. Studium, Promotion und Habilitation absolvierte er zwischen 1970 und 1984 an der Universität Kiel, wo er auch danach (ab 1989 als Professor) lehrte und forschte. 1993 folgte er dem Ruf an die Alma Mater Halensis. Hier wirkte er bis zur Emeritierung 2012 als Professor für Speziellen Pflanzenbau. Von 1996 bis zum Jahr 2000 war er Dekan der damals (und bis 2005) noch eigenständigen Landwirtschaftlichen Fakultät – sie wurde 1864 gegründet und war somit die älteste ihrer Art in Deutschland überhaupt. Experten ist sie durch den bis heute existierenden Langzeitversuch „Ewiger Roggen“ bekannt. Zwischen 2006 und 2010 war Diepenbrock Rektor der Martin-Luther-Universität.
Nach zahlreichen Veröffentlichungen zum Themenkomplex Kulturpflanzen und Pflanzenbau wählte er nunmehr mit Bedacht das vergleichsweise moderne Konzept nachwachsender Rohstoffe als Thema und Titel für sein jüngstes Buch. Was nachwachsende Rohstoffe sind – „organische Stoffe aus der Land- und Forstwirtschaft, die energetisch oder stofflich genutzt werden“ – und warum der Mensch sie unbedingt braucht, das ist erst mit der Ölkrise in den 1970er Jahren ins (öffentliche) Bewusstsein gerückt. Nach und nach wurde klar, dass die seit der industriellen Revolution ausgebeuteten fossilen Ressourcen nur begrenzt zur Verfügung stehen. Wissenschaftler berechneten ziemlich genau, wie lange die Vorräte an Kohle, Gas und Erdöl noch reichen werden. Die Ergebnisse (164, 67 und 41 Jahre) schreckten nicht nur Umweltaktivisten und Politiker auf.
Gegliedert in die Kapitel Photosynthese und Stoffwechsel, Ertragsbildung und Anbau der Kulturpflanzen, Die Energie- und Kulturpflanzen, Energie aus Biomasse, Die Öko- und Energiebilanz, Stoffliche Nutzung von Biomasse, Das Konzept der Bioraffinerie und Die Flächenkonkurrenz – oder dürfen wir nachwachsende Rohstoffe erzeugen, wenn Menschen hungern? wird ein weiter Themenbogen gespannt: Vom photosynthetischen Ursprung allen Lebens auf der Erde über Risiken von Klimawandel und Treibhauseffekt nebst Chancen und Grenzen der Nutzung biogener Materie bis hin zur Konkurrenz zwischen nachwachsenden und regenerativen Rohstoffen sowie konkreten Auswirkungen auf globale Landnutzung und europäische Agrarpolitik.
Tabellen, grafische Darstellungen und Merksätze erleichtern auch Laien das Verständnis; Kernfragen regen zur Diskussion an, weiterführende Literaturempfehlungen am Ende jedes Kapitels lenken das Augenmerk auf die Hauptprobleme und heben den Lehrbuchcharakter hervor. Das Sachregister hilft bei der Orientierung im vorliegenden Buch; ein umfängliches Literaturverzeichnis führt vor allem Fachleute zu vertiefender Lektüre hin.
► Wulf Diepenbrock: Nachwachsende Rohstoffe, Stuttgart 2014, UTB, 304 S., mit 43 Abbildungen, 43 Tabellen, 29,99 Euro, ISBN 978-3-8252-4189-6