Rückstände von Cannabis in Sedimenten erlauben Einblick in die Geschichte
Hanf ist aktuell wieder im Kommen, nicht als Rauschmittel, sondern als Öl-, Protein- und Faserlieferant. Sorten mit wenig Tetrahydrocannabinol (THC) – und damit ohne berauschende Wirkung – werden für die Lebensmittel- und Kosmetikherstellung verwendet oder zu Kleidung verarbeitet. Ein Blick in die Geschichte zeigt, was alles mit Hanf gemacht werden kann: Die Pflanze wurde lange als Heilpflanze geschätzt und beispielsweise als Entzündungshemmer oder auch für spirituelle Zwecke genutzt. Vor allem aber war sie ein Rohstoff für die Herstellung von Papier und Kleidung oder Baumaterial. Beispielsweise wurde eine Mischung aus Hanf, Lehm und Kalk in Tempeln wie den indischen Ellora-Höhlen aus dem 6. - 11. Jahrhundert nach Christus, welche zum UNESCO-Weltkulturerbe gehören, als Grundierung für Wandgemälde verwendet.
Die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. René Csuk am Institut für Chemie beschäftigt sich seit Jahren mit der Faser- und Farbstoffanalyse von historischen Textilien. Darunter ein Kleidungsstück aus China, welches auf 900 bis 1.300 vor Christus datiert werden konnte, und präkolumbianische Materialien. „Bei einigen textilen Objekten konnten wir den Einsatz von Bastfasern wie Hanf nachweisen“, sagt Csuk. Um Informationen über Verfügbarkeit und Verarbeitung der Hanfpflanze zu erhalten, haben die Chemiker ihren Untersuchungsgegenstand nun erweitert: In Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern von der Freien Universität Berlin haben sie Sedimentproben aus dem Himalaya auf Cannabinoide untersucht. Diese Substanzklasse, zu der auch THC gehört, ist charakteristisch für Hanf. „Die Proben stammen aus einem kleinen See im Norden Indiens und sind zwischen 600 und 4.000 Jahre alt“, sagt Csuk.
Die Forscher hatten die Vermutung, dass in dem See Hanfstängel für die Gewinnung von Fasern verarbeitet wurden. Bei diesem Vorgang, der als Rotten oder Röste bezeichnet wird, werden Stängel von Hanfpflanzen für einige Tage in stille oder fließende Gewässer gelegt. Dabei wird durch mikrobiologische Prozesse vornehmlich Pektin, welches ähnlich wie ein Klebstoff Fasern und holzige Bestandteile verbindet, abgebaut. Anschließend werden die Fasern der getrockneten Stängel durch mechanische Bearbeitung von den holzigen Anteilen getrennt. So erhaltene Bastfasern sind sehr widerstandsfähig. „Während des Rottens gelangen Pflanzenteile und somit auch die für Hanfpflanzen charakteristischen Inhaltsstoffe wie Cannabinoide ins Wasser“, erklärt der Chemiker. Sie setzen sich anschließend im Sediment ab. Cannabinol ist ein Abbauprodukt der Cannabinoide und könne daher bei Sedimentproben als Biomarker für eine Wasserröste von Hanf dienen, so Csuk. Die Forscher haben ein neues Analyseverfahren entwickelt, mit dem sich die Verbindung in Sedimentproben einfach nachweisen lässt. Mit Hilfe einer speziellen Form der Chromatographie, welche die Proben in ihre Bestandteile auftrennt, und einem Massenspektrometer ist es ihnen gelungen, den Cannabinol-Gehalt zu ermitteln. Außerdem wurde das Alter der jeweiligen Sedimentproben mithilfe der Radiokarbonmethode bestimmt.
„Die erhaltenen Daten deuten auf eine Verarbeitung von Hanfpflanzen in dem See hin“, so Dr. Annemarie Kramell, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Csuk und Leiterin des Projekts. Über einen Zeitraum von mehreren Tausend Jahren seien in dem See offenbar Hanffasern aufbereitet worden. Die Berliner Forscher haben zudem untersucht, wie viele Hanfpollen in den Proben vorkommen. So stellten sie fest, dass der verwendete Hanf offenbar auch vor Ort angebaut und nicht nur zur Weiterverarbeitung an den See transportiert wurde. Die Kombination der neuen Analysemethode mit Pollenanalysen, historischen Daten und anderen geochemischen Untersuchungen sei ein vielversprechender Ansatz, historische Hanfverarbeitungsprozesse zu rekonstruieren und somit Einblicke in die Geschichte einer der ältesten Kulturpflanzen der Welt zu erhalten, so Kramell. Auch historische Handelsrouten könnten besser rekonstruiert werden, wenn mehr über die Orte der Hanfverarbeitung bekannt ist.
Der Blick auf Hanf, um Erkenntnisse über die Geschichte zu erhalten, ist dabei relativ neu. Systematische Forschung zu Hanf als Faserlieferant habe es bisher nur vereinzelt gegeben, so Csuk. Zur medizinischen Verwendung gibt es hingegen mittlerweile eine ganze Reihe Studien. „Die Art Cannabis sativa L. enthält zum Beispiel über 100 Cannabinoide und zahlreiche Verbindungen aus den Substanzklassen der Terpene, Stilbene oder Flavonoide. Viele dieser Verbindungen haben therapeutisch interessante Eigenschaften“, so der Chemiker. In Deutschland werde seit einer Gesetzesänderung 2017, die die Möglichkeiten zur Verschreibung von Cannabis für den medizinischen Einsatz erweitert hat, vermehrt zu Hanf geforscht. Die Untersuchung der Sedimentproben sei indes nicht allein aus historischer Sicht interessant. „Neue Einsatzgebiete bringen auch neue analytische Fragestellungen mit sich. Wir planen, die entwickelte Methode auch für eine qualitative und quantitative Bestimmung von Cannabinoiden in anderen Materialien und Produkten einzusetzen“, sagt Csuk. Das Potential der schnellwachsenden Hanfpflanze als Rohstoff- und Energielieferant sei sicherlich noch nicht gänzlich erschlossen.