„Schäden werden in Kauf genommen“
Sie beobachten und erforschen die ostdeutsche Hochschullandschaft seit über 20 Jahren. Haben Sie die aktuellen hochschulpolitischen Entwicklungen in Sachsen-Anhalt noch überrascht?
Ja und Nein. Vor dem Hintergrund der Haushaltsentwicklungen ist das nicht sehr überraschend. Es ist immer schwierig, außerhalb der Hochschulen und der Hochschulpolitik Verständnis für die Anliegen der Hochschulen zu erzeugen. Diese Schwierigkeit der Kommunikation begleitet Hochschulpolitik fortwährend. Die Wirkungsintervalle von Hochschulen sind relativ lang und haben die Eigenschaft, über Legislaturperioden hinauszugehen. Eine langfristige Hochschulentwicklung ist nur möglich, wenn berücksichtigt wird, dass bei Forschung und Lehre kurzfristige Effekte größtenteils nicht möglich sind.
Zurzeit stehen die Hochschulen in allen ostdeutschen Ländern, außer in Mecklenburg-Vorpommern, unter starkem Druck. Überraschend ist allenfalls die Kommunikation, wie so etwas in die politische Debatte eingespeist wird. Sie ist derzeit sehr stark von Polarisierung und Zuspitzung geprägt.
Ist der Einspardruck auf die Hochschulen ein spezifisch ostdeutsches Phänomen?
Nein, in nahezu allen Bundesländern ist das zu beobachten. Im Augenblick fokussiert sich die bundesweite Diskussion darauf, dass der Bund unterstützend eingreifen müsste, weil die Länder mit ihren Steueraufkommen bei der Hochschulfinanzierung überfordert seien. In Ostdeutschland verschärft sich die Situation dadurch, dass sich die Probleme der Landeshaushaltsentwicklungen bis 2020 extrem zuspitzen werden. In allen ostdeutschen Landeshaushalten werden Minderungen von 20 bis 30 Prozent der Haushalte entstehen, aber lediglich bis zu zehn Prozent des gesamten Haushaltes sind disponibel – also nicht durch gesetzliche oder vertragliche Verpflichtungen fest verplant.
Wir wirkt sich das auf die Hochschulen aus?
Insofern, dass politisch sehr offensiv nach Argumenten gesucht wird, warum die ostdeutschen Hochschulen gar nicht so viel Geld benötigen würden, wie sie derzeit erhalten. Das führt zu Diskussionen, in denen gern Vergleichszahlen zitiert werden, die nach genauerer Prüfung so nicht haltbar sind. Oder es werden Tatbestände nicht berücksichtigt, die tatsächliche oder vermeintliche Schwächen im Leistungsprofil erklärbar machen. Zum Beispiel wird kritisiert, dass an den Hochschulen in Sachsen-Anhalt die Zahl der Studienabbrecher höher liegt als im Bundesdurchschnitt. Das muss man einorden: Seit 2000 hat es im Land einen deutlichen Zuwachs an Studierenden und eine Steigerung der Studienbeteiligung innerhalb der relevanten Alterskohorten gegeben. Diese Zunahme hat jedoch nicht dazu geführt, dass sich die Zahl der Studienabbrecher erhöht hat. Das ist der entscheidende Punkt, wenn man bedenkt, dass der Deutsche Lernatlas Sachsen-Anhalts Schulsystem auf Platz 13 von 16 Bundesländern platziert. Vor diesem Hintergrund müsste man eigentlich erwarten, dass bei einer Steigerung der Studierneigung die Zahl der Abbrecher steigt. Das dies nicht passiert ist, ist ein immenser Erfolg.
Am 12. Juli wird nun der Wissenschaftsrat das Gutachten zur Entwicklung der Hochschullandschaft und zur Universitätsmedizin in Halle vorlegen. Was kann ein solches Gutachten leisten?
Es kann keine politischen Entscheidungen abnehmen. Das Gutachten wird sich evaluativen Fragestellungen zu einzelnen Fächern und strategischen Aspekten des Hochschul- und Wissenschaftssystems des Landes widmen. Es wird sicherlich auch zu Qualitätsaussagen gelangen. Wenn diese zum Beispiel lauten ‚Das Fach X erfüllt bestimmte Standards nicht’, dieses Fach für die Lehrerausbildung aber unabdingbar ist, dann bedarf es einer politischen Entscheidung: Müssen wir dieses Fach ertüchtigen, damit es aus seiner unterdurchschnittlichen Qualitätssituation herauskommt, oder stellen wir das Fach zur Disposition? Dann müsste zugleich politisch beantwortet werden, wo zum Beispiel die entsprechenden Lehrer künftig herkommen sollen. Ich vermute, dass beim Wissenschaftsrat vor dem Hintergrund der jüngsten Debatten sehr genau an Formulierungen gefeilt wurde, um zu vermeiden, dass sich unmittelbar aus diesen Empfehlungen politische Entscheidungen ableiten lassen.
Wenn die Landesregierung die Einsparungen im Hochschulbereich im derzeit genannten Umfang von 50 Millionen bis zum Jahr 2020 umsetzt, was würde das für die Hochschulen im Land bedeuten?
Das kommt auf die Umsetzungsweise an. Wenn nächstes Jahr mit den Einsparungen begonnen wird, dann wird eine Hochschulstruktur das Ergebnis sein, die sich aus dem Pensionierungsgeschehen ergibt. Von einer systematischen Hochschulstrukturentwicklung könnte dann keine Rede mehr sein. Oder es wird ein langfristigerer Einsparpfad eingeschlagen, der Schwerpunktsetzungen in der Hochschulentwicklung zulässt.
In jedem Fall werden die Hochschulen am Ende einer solchen Entwicklung nicht unbeschädigt bleiben. Es werden Professuren und – wenn Fachbereiche nicht mehr vorhanden sind – auch Studiengänge wegfallen. Diese Beschädigungen werden politisch in Kauf genommen und sind somit von der Politik auch dahingehend zu tragen, dass die Hochschulen bestimmte Effekte für das Land nicht mehr erzielen können. Wenn es beispielsweise darum geht, Studierende außerhalb Sachsen-Anhalts in das Land zu holen oder junge Leute hier zu halten, weil sie in Wohnortnähe ihren Wunschstudienplatz vorfinden. So etwas ist im derzeitigen Umfang dann nicht mehr zu realisieren. Diese politische Entscheidung muss auch in ihren Konsequenzen getragen werden.
Wenn es Aufgabe der Hochschulen ist, das Verständnis für die langfristige Wirkungsweise der Hochschulen zu verbessern – wie könnte so eine verbesserte Kommunikation aussehen?
Die Hochschulen müssten ihre Kommunikationspolitik sehr viel stärker, als sie es bisher tun, als Doppelstrategie fahren: Wir können aufgrund unserer Funktionsspezifik gar nicht anders eingerichtet sein als überregional und international orientiert. Genau dies versetzt uns aber in die Lage, auch regional wirksam werden zu können. Diese regionale Wirksamkeit müsste mit offensiver Kommunikation verbunden werden. Es gibt sehr viele regional bezogene Aktivitäten an den ostdeutschen, auch an den sachsen-anhaltischen Hochschulen, die aber ungenügend kommuniziert werden, weil sie nicht in eine übergreifende Strategie eingebunden sind. Das betrifft die Zusammenarbeit mit Schulen, Kinderunis, das Seniorenstudium oder die Fragen des Transfers von wissenschaftlichem Wissen in außerwissenschaftliche Anwendungskontexte. Es gibt sowohl sehr viele Strukturen als auch Aktivitäten und Transferstellen, die sich um diese Dinge kümmern. Aber für sich genommen erscheinen sie eher zufällig und sind weitgehend vom Engagement Einzelner abhängig. Das, was man ohnehin tut, stärker offensiv und strategisch zu kommunizieren, das scheint mir bei den meisten ostdeutschen Hochschulen ein Defizit zu sein.
Bevor die Gespräche zwischen Land und Rektoren abbrachen, gab es von Seiten der Rektoren das Zugeständnis, unter bestimmten Voraussetzungen zu sparen. Gibt es aus Ihrer Sicht Einsparpotenziale an den Hochschulen und wie kann man diese benennen?
Einsparpotenzial gibt es in zweierlei Hinsicht. Das betrifft gar nicht den Bereich von Studium, Lehre und Forschung, sondern die Unterstützungsbereiche. Sachsen-Anhalt scheint mir kein Vorreiter der Entbürokratisierung zu sein. Die radikale Vereinfachung von bürokratischen Abläufen ist eine Aufgabe, die bundesweit ansteht. An Hochschulen, die unter Druck stehen, sollte sie besonders intensiv in Angriff genommen werden. Das muss aber nicht dazu führen, dass in Verwaltungsbereichen tatsächliche Abbaupotenziale entstehen. Vielmehr können dort Leistungsmöglichkeiten freigesetzt werden, die es bislang nicht gibt und dazu führen, dass die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen einen erheblichen Teil ihrer Arbeitszeit mit ihnen eigentlich rollenfremden bürokratischen Tätigkeiten verbringen. Wenn es gelänge, Wissenschaftler von solchen Aufgaben radikal zu entlasten, dann hätte man auch im Bereich von Forschung und Lehre Potenziale freigesetzt.
Was Einsparpotenziale in den Fachbereichen selbst betrifft, bedarf es politischer Entscheidungen. Die Hochschulen sind dort immer überfordert, da sie kollegial verfasst sind. Sie müssen Konsense oder Mehrheitsentscheidungen erzeugen können. Diese sind ausgesprochen schwierig zu erreichen, wenn es darum geht, beispielsweise einzelne Fächer abzuschaffen oder zu fusionieren. Wenn es etwa bestimmte Fächer an der MLU nicht mehr geben sollte, muss das eine politische Entscheidung sein. Dann muss, wie gesagt, z.B. beantwortet werden, wo die Lehramtsanwärter in diesen Fächern in Sachsen-Anhalt künftig her kommen sollen, oder es muss klar benannt werden, dass bestimmte Studienwünsche regional nicht mehr zu befriedigen sind, also die einheimischen Interessenten für diese Studiengänge zur Abwanderung gedrängt werden. Fächer kann man immer erst dann zur Disposition stellen, wenn diese Fragen vorher politisch beantwortet ist. Die Hochschule kann sie nicht beantworten.