Schreiben unter Freunden
Kurznachrichtendienste, wie WhatsApp oder Telegram, sind aus dem Alltag von Jugendlichen nicht wegzudenken. Aktuellen Erhebungen zufolge verfügen mehr als 97 Prozent der Zwölf- bis 19-Jährigen über ein Smartphone. „Häufig beginnt und endet ihr Tag mit dem Blick auf das Telefon – und damit auch mit den Messengerdiensten“, sagt Dr. Florian Busch vom Germanistischen Institut. Bislang gebe es jedoch noch wenige Untersuchungen dazu, welche Rolle Sprache und Schrift für Schülerinnen und Schüler in diesen digitalen Kommunikationsmöglichkeiten spielen.
Diese Wissenslücke sorgt für Unsicherheiten: Eine gängige Befürchtung lautet etwa, dass WhatsApp und Co. dazu verführen, sämtliche sprachlichen Gepflogenheiten über Bord zu werfen, und dass die Apps so einen Sprachverfall herbeiführen. Hier setzt die Promotionsarbeit des Sprachwissenschaftlers an: Darin befragt er rund 200 Schülerinnen und Schüler, analysiert mehr als 19.000 Textnachrichten und vergleicht diese mit Schultexten derselben Jugendlichen. Außerdem fließen Erkenntnisse aus Befragungen zum Mediennutzungsverhalten und umfangreichen Interviews mit einigen der Jugendlichen in die Arbeit ein. Das Material gibt einen tiefen Einblick in die kommunikative Welt der Schülerinnen und Schüler.
Tempo schlägt Regeln
Thematisch gesehen sind die Chats wenig überraschend: Sie handeln zum Beispiel von Schulaufgaben, Treffen mit Freundinnen und Freunden und der Liebe. Allerdings interessierte sich Busch auch weniger für den Inhalt der digitalen Kommunikation, sondern dafür, wie Jugendliche Schrift und Zeichen in verschiedenen Situationen einsetzen und wie sie darüber denken. „Schrift ist ein sehr variables Werkzeug, um soziale Beziehungen zu definieren“, sagt er. Bestimmte Ausdrucksweisen werden nur unter engen Freunden genutzt.
Und tatsächlich fand Busch große Unterschiede zwischen den Chatnachrichten und den Schulaufsätzen: Während Letztere stark an Rechtschreib- und Zeichensetzungsregeln orientiert sind, wird in Chats häufig auf Groß- und Kleinschreibung sowie Kommata verzichtet. „Es zeigt sich, dass Jugendliche oft über eine hohe Rechtschreibkompetenz verfügen, in der digitalen Kommunikation aber andere Normen gelten, die ein persönlicheres, adressatengerechtes Kommunizieren ermöglichen. Groß- und Kleinschreibung spielen hier keine große Rolle, sondern werden zu Gunsten der Schnelligkeit beim Tippen ignoriert“, erklärt Busch. Dabei sei den Jugendlichen beim digitalen Schreiben sehr bewusst, wer ihr Empfänger ist: In den Interviews erklären sie zum Beispiel, dass für Mailwechsel mit Lehrerinnen und Lehrern andere Regeln gelten als bei WhatsApp. Völlig unwichtig sei Rechtschreibung im Digitalen ohnehin nicht. „Schreibfehler – zum Beispiel in Social-Media-Postings – werden als peinlich wahrgenommen. Darauf weisen sich die Jugendlichen gegenseitig hin und korrigieren einander. Ihnen ist wichtig, nicht ungebildet zu wirken“, sagt Busch.
Eine Ausnahme für den legereren Umgang bei Textmessengern gibt es übrigens: Streit. „Wenn die Stimmung in einem Chat umschlägt, orientieren sich viele Jugendliche wieder am Schriftstandard mit korrekter Groß- und Kleinschreibung. Hier wird Standardsprache für Prestige und Autorität verwendet, um klarzumachen: Wir verlassen jetzt die freundschaftliche Ebene.“
Helfen Emojis beim Verstehen?
Den Einsatz von Emojis, wie Smileys oder Herzen, hat der Forscher ebenfalls untersucht. Diese nehmen eine wichtige Rolle in der digitalen Kommunikation ein – sie waren in knapp einem Viertel aller Nachrichten enthalten. „Entgegen zahlreicher Behauptungen werden Emojis aber in der Regel nicht dafür genutzt, ganze Wörter oder Sätze zu ersetzen“, so Busch. Vielmehr seien sie eine Interpretationshilfe, wie eine Nachricht zu verstehen ist. „An die Stelle von klassischen Satzzeichen tritt hier eine große Zeichenvielfalt, die eine erfolgreiche digitale Kommunikation ermöglicht.“ In geschriebenen Nachrichten sei es zum Beispiel schwierig, Ironie oder andere Untertöne zu erkennen, sagt Busch. Emojis, wie ein zwinkerndes Gesicht, könnten dabei helfen, dass eine Nachricht so verstanden wird, wie sie gemeint war. „Insofern könnte man sogar sagen, dass Emojis die Ausdrucksmöglichkeiten im Digitalen bereichern“, meint der Wissenschaftler.
Emojis erfüllen indirekt noch eine weitere Funktion: Sie zeigen den Grad der Verbundenheit zwischen den Chatpartnerinnen und -partnern an: „Enge Freunde verzichten mitunter ganz auf den Einsatz von Emojis, weil sie nicht nötig sind, um einander richtig zu verstehen. In weniger engen Beziehungen werden sie verwendet, um die Bedeutung einer Nachricht zu illustrieren“, sagt Busch.
Diese unterschiedlichen Ausdrucksmöglichkeiten sind für Jugendliche Segen und Fluch zugleich: „Das Schreiben in der Schule wird von manchen als eindimensionaler und in diesem Sinne als einfacher wahrgenommen, weil es mit der Standardsprache nur ein Regelwerk gibt, an dem sie sich orientieren müssen“, sagt Busch. Schriftliche Konversationen über WhatsApp seien da deutlich komplexer: „Hier gibt es viel mehr Möglichkeiten und Nuancen, mit denen Bedeutung transportiert werden kann.“ Das mache es deutlich schwieriger, immer den richtigen Ton zu treffen.
Einen Sprachverfall kann Busch anhand seiner Daten insgesamt nicht ausmachen. Allerdings geht dieser Gedanke für den Linguisten ohnehin am Kern des Themas vorbei: „Viel interessanter ist, dass die Schülerinnen und Schüler in meiner Untersuchung über ein sehr hohes Maß an Reflexionskompetenz verfügen. Sie nehmen die Unterschiede zwischen den verschiedenen Situationen sehr bewusst wahr und haben eine genaue Vorstellung davon, welche Sprachmittel in welcher Situation angemessen sind.“ Dieses Bewusstsein geht im Einzelfall sogar so weit, dass es zu einem gewissen Sprachpurismus führt: Einige wollen sich durch den Verzicht auf Emojis und Co. ganz bewusst von der Jugendsprache abgrenzen. Die Studie belege zudem, so der Forscher, wie stark Smartphones, Schrift und Sprache den Alltag der Jugendlichen prägen. Deshalb sei es wichtig, die Nutzung besser zu verstehen.
Florian Busch: Digitale Schreibregister. Kontexte, Formen und metapragmatische Reflexionen. Berlin 2021, 618 Seiten, 119,95 Euro, ISBN: 978-3110728743
Dr. Florian Busch
Germanistisches Institut
Tel.: +49 345 55-24164
E-Mail: florian.busch@germanistik.uni-halle.de