Selbstversuch in den halleschen „Bergen“
Auf in die „Berge“
Am Testtag packe ich das erste Mal seit meinem Schulabschluss Sportsachen in meine Tasche. Ich hatte bei der Terminabsprache mit Prof. Dr. Kuno Hottenrott, dem zuständigen geschäftsführenden Direktor des Departments für Sportwissenschaft an der MLU und gleichzeitig Institutsdirektor des ILUG, vereinbart, dass ich den Test auf dem Radergometer durchführen werde. Im Department Sportwissenschaft angekommen, treffe ich wie vereinbart auf Herrn Stephan Schulze. Seines Zeichens Diplom Sportwissenschaftler und Mitarbeiter am ILUG. Später erfahre ich, dass der Schwerpunkt seiner Forschung auf dem Thema Adaptation bei Ausdauerbelastungen unter Normoxie und Hypoxie liegt. Was das genau bedeutet, bleibt mir allerdings noch eine Weile verborgen. So viel sei an dieser Stelle aber gesagt: Ich befand mich in guten Händen. Ich könne mich schon einmal umziehen, sagte er freundlich. Er selbst müsse noch einiges aufbauen. In der Umkleidekabine wage ich einen Blick in den Spiegel. Selbst mit Turnhose und T-Shirt sehe ich irgendwie nicht nach Sportler aus. Warum besitze ich überhaupt eine Turnhose, frage ich mich in diesem Moment. Ich habe den Grund vergessen. Na gut, denke ich und gehe ins Labor. Herr Schulze ist mit dem Aufbau fertig. „Als erstes werden wir den Höhentest durchführen“, erklärt er mir. Ich bin verwirrt. War das nicht der Grund, warum ich hier bin? „Ja nicht ganz“, lautet seine Antwort, „der Höhentest wird in Ruhe durchgeführt.“ Später kämen wir dann wohl noch zu einem Höhentraining und dieses findet dann in einem anderen Raum statt. In einer so genannten Höhenkammer, in welcher sportliche Aktivität in unterschiedlichen Höhen simuliert werden kann. Simulieren gefällt mir. Allerdings finde ich eine halbe Stunde später heraus, dass mit dem Simulieren nur die Höhe und nicht die sportliche Aktivität gemeint ist. Aber von Anfang an!
Der Höhentauglichkeitstest
Der Test selbst ist recht unspektakulär. „Durch diesen Generator können wir eine Höhe von 4000 Metern simulieren“, erklärt mir Schulze, „während er mir eine Atemmaske aufsetzt.“ Vorher habe ich einen Herzfrequenzmesser angelegt und an meinem Zeigefinger wird ein Pulsoximeter angeschlossen. „Dieser misst die Sauerstoffsättigung, also wie gut die roten Blutkörperchen den Sauerstoff im Blut aufnehmen. Im Normalfall, wenn man Nichtraucher ist und in gesundheitlich guter Kondition, dann sollte dieser Wert unter Ruhebedingungen zwischen 95 und 99 Prozent liegen“, erfahre ich. Die Luft, die ich nun einatme, hat einen Sauerstoffanteil von 15 bis 16 Prozent. Im Normalfall läge der Wert bei 20,9 Prozent.
Ich bin guter Dinge. Am Anfang liegt der Wert noch bei 96. „Das ist ganz gut“, erklärt Schulze. Während des Gesprächs sinkt er auf unter 90. Das Gerät piepst. Ich bräuchte mir keine Sorgen machen, kommt es prompt, das sei ganz normal. „Erst unter 80 könnte es besorgniserregend sein, aber bisher ist noch keiner umgekippt – es sitzen ja alle auf einem Stuhl.“ Ein guter Witz. Lachen kann ich aber leider noch nicht. Das Gerät piept wieder und ich sehe, dass wir bei 76 sind. Allerdings steigt der Wert schnell wieder an. „Das liegt vor allem daran, dass wir uns unterhalten. Normalerweise wird der Test in Ruhe durchgeführt und der Proband spricht in der Zeit auch nicht“, lautet die beruhigende Antwort. Ich merke ein leichtes Schwindelgefühl und frage mich, ob das ein erstes Anzeichen für eine Unverträglichkeit ist. Nein, lautet die Antwort, das sei ganz normal. Der Körper müsse sich erst langsam an die neue Situation gewöhnen. „Der Sauerstoffmangel hat eine systemische Wirkung auf den gesamten Organismus und löst eine Kaskade von Reaktionen und Kompensationsmechanismen aus. Bei mehrfach wiederholter Anwendung kommt es zu funktionellen Adaptationen“, erklärt Schulze. Vor allem hinsichtlich der Regulation von Atmung und Blutbildung, da der Transport von roten Blutkörperchen erhöht wird. „Es sind eine ganze Reihe weiterer Anpassungen und Umstellungen, die sich auch im Bereich der Präventivmedizin und Gesundheitsförderung nutzen lassen, so zum Beispiel die Regulation des Blutdrucks und die günstige Beeinflussung bei Adipositas.“
Am Ende des Tests haben sich meine Werte stabilisiert. 88 zeigt die letzte Messung und mir wird bescheinigt, dass ich im nächsten Urlaub sicherlich auch mal die Alpen erklimmen kann. „Wenn man empfänglich für Höhenkrankheit ist, liegt der Wert am Ende der Testphase bei circa 80. Normal wäre ein Wert von 85 bis 87“, interpretiert Schulze die Ergebnisse für mich. Aus diesem Grund dauere der Test auch 25 Minuten, da der Körper eine Weile braucht, bis es zu einem Sauerstoffmangel kommt. Die Todeszone von 8000 Metern sollte ich dennoch nicht versuchen zu erklimmen, da man ab diesem Punkt automatisch extrem abbaut – egal ob höhentauglich oder nicht, wird mir erklärt.
Sportler einmal im Nachteil!
Im anschließenden Gespräch mit Professor Hottenrott erfahre ich, dass er selbst nicht höhentauglich ist. Er habe das vor etwa 15 Jahren herausgefunden, als er versucht hat, im Urlaub auf Teneriffa einen Berg zu besteigen. „Die letzten 300 Meter waren eine Qual. Ich kam kaum vom Fleck“, so der Professor. Damals habe er es vor allem auf die Tatsache geschoben, dass er, als aktiver Leistungssportler, zu rasch aufgestiegen sei. Allerdings habe er im letzten Urlaub, trotz intensiver Vorbereitung, den Aufstieg wieder nur unter Qualen geschafft, während seine Frau keine Probleme mit der Höhe hatte. „Das unterscheidet sich halt von Mensch zu Mensch. Bei einigen gibt es so etwas wie eine angeborene Höhenunverträglichkeit“, so der Professor. Woran das liege, können die Experten allerdings auch noch nicht einwandfrei sagen.
Das Höhentraining
Der zweite Teil meines Selbstversuchs findet dann auch in der Höhenkammer statt. „Die Anlage haben wir vor vier Jahren für 40.000 Euro angeschafft“, erklärt mir Professor Hottenrott. Das Training selbst findet bei einer simulierten Höhe von 2500 Metern statt. „Hier geht es vor allem darum, den Körper an die Höhe zu gewöhnen“, so Schulze. Wieder werde ich an den Pulsoximeter angeschlossen, während ich mich auf den Radergometer setze. Ich werde angewiesen, meine Trittfrequenz konstant bei 75 U/min zu halten und beginne bei einem Schwierigkeitsgrad von 75 Watt mit dem Training. „Angenehm“, denke ich. Während des Trainings hake ich noch etwas nach. Das System setze auf normobare Hypoxie, erfahre ich. „Der Sauerstoffanteil in der Luft wird verringert und durch eine Erhöhung des Stickstoffanteils ausgeglichen,“ so Schulze. Hierdurch wird die Situation in großen Höhen simuliert. Allerdings finde man in der Natur eine hypobare Hypoxie. „Normal bleibt der Sauerstoffanteil gleich, nur der Luftdruck verringert sich“, erklärt mir Schulze. Allerdings seien die Auswirkungen auf den Körper annährend gleich. Mein Training absolviere ich also bei 15,3 Prozent Sauerstoffanteil, wodurch eine Höhe von 2500 Metern simuliert wird.
In kleinen Schritten wird die Wattzahl erhöht. Bei 100 W merke ich schnell, dass ich langsamer werde. Aber noch bin ich guter Dinge. „Bei einem normalen Ergometertest ohne Höhe beginnen wir bei 100 Watt und erhöhen in bestimmten Abständen die Leistung“, so Schulze. Ich selbst müsste wohl etwa 250 Watt unter diesen Bedingungen schaffen. „Abgebrochen wird, wenn die gemessenen Werte auf eine übermäßige Beanspruchung hinweisen oder der Sportler sein Leistungsniveau erreicht hat“, wird mir erklärt. Das Training, so wie ich es gerade absolviere, sei eine Vorbereitung für Sportler, die in bestimmten Höhenlagen Trainingscamps besuchen. Hohe Belastungen unter Höhe werden aber auch als zusätzlicher Reiz bei intensiven Trainingsphasen genutzt. Er selbst habe für seine Doktorarbeit diese Anpassungsleistungen erforscht. „Es hat sich gezeigt, dass sich die Atemregulation nach dem Absolvieren einiger Trainingseinheiten schneller anpasst“, so Schulze.
Aber auch Otto-Normalverbraucher kann nach dem Höhentauglichkeitstest, welcher mit 50 Euro zu Buche schlagen würde, ein Training absolvieren. Und so können neben Leistungssportlern, die sich auf Wettkämpfe vorbereiten wollen, auch Bürger ins ILUG kommen, um sich auf die nächste Tour in luftigen Höhen einzustimmen. „Es ist ja besser, wenn ich hier erfahre, dass ich nicht für bestimmte Höhen tauge und mich entsprechend vorbereiten sollte, als wenn ich dann auf dem Weg zur Zugspitze nicht mehr weiterkomme“, so Schulze.
Die 250 Watt schaffe ich, allerdings nur kurz. Der Sauerstoffsättigung sinkt auf einen Wert von 85 und meine Herzfrequenz zeigt eine sehr hohe Beanspruchung. Allerdings schiebe ich das nicht auf die 2500 Meter, sondern auf meine Unsportlichkeit. Am Ende habe ich wieder meine normalen Sachen an. Etwas verschwitzt sitze ich auf meinem Fahrrad vor dem Institut und habe einen Entschluss gefasst, der gleich auf meine „Gute-Vorsätze-für-das-Neue-Jahr-Liste“ kommt: Neben dem alljährlichen Aufhören mit Rauchen kommt nun ein mir bisher völlig neuer Vorsatz hinzu: Trainieren, um bald mit dem Rennrad über die Alpen zu fahren – höhentauglich bin ich ja ...