Tausende Hallenser entdecken den Steintor-Campus
„Wir fühlen uns zwar ein bisschen überrannt“, gibt Bibliotheksmitarbeiterin Melanie Heimbach zu. „Aber natürlich ist es toll, dass sich so viele für die Bibliothek interessieren.“ Im Zehn-Minuten-Takt führen die Mitarbeiter am Tag der offenen Tür immer neue Besuchergruppen durch das Gebäude – bis zu sieben Gruppen sind zeitgleich unterwegs.
Viele Hallenser, die über die vergangenen Jahre die Baufortschritte auf dem Campus verfolgt oder darüber in der Zeitung gelesen hatten, nutzen die Gelegenheit, die Uni-Gebäude jetzt erstmals von Innen zu besichtigen. Und wer bislang den „Würfel mit den kleinen Fenstern“ von außen skeptisch beäugt hatte, wurde von der Helligkeit im Inneren des Bücher-Kubus positiv überrascht.
„Wenn man das hier so sieht, möchte man fast nochmal studieren“, sagt Arthur Messerschmidt, der gemeinsam mit seiner Frau aus dem Saalekreis angereist ist. „Wir sind ganz begeistert“, bestätigt Margit Messerschmidt. „Es ist auch interessant bei der Gelegenheit zu sehen, wie sich die Forschung durch die Digitalisierung verändert hat.“
Dr. Ralf-Torsten Speler, Präsident der Vereinigung der Freunde und Förderer der Uni Halle, führt Besuchergruppen über das Gelände. Auf dem Campus sorgt der Studierendenrat für ein abwechslungsreiches Bühnenprogramm mit Poetry Slammern und Schauspielern. Daneben präsentieren sich viele Hochschulgruppen und Uni-Einrichtungen.
Im Institutsneubau an der Emil-Abderhalden-Straße steht zwar nicht jede Bürotür offen. Wer durch die langen Flure läuft, trifft dennoch auf jeder Etage Soziologen, Psychologen oder Historiker – oft in Gespräche über ihre Forschung oder den Campus vertieft. „Wir wollen zeigen, was allgemeine Psychologie umfasst und was wir erforschen. Davon hatte nicht jeder, der heute schon vorbeikam, eine konkrete Vorstellung“, erzählt Dr. Stephanie Malek vom Institut für Psychologie. Gedächtnis- und Wahrnehmungstest sowie eine psychologische Kurzberatung bieten sie und ihre Kollegen an diesem Samstag an.
Nebenan zeigen die Soziologen in Drei-Minuten-Referaten, zu welcher Bandbreite von Themen ihre Disziplin aufschlussreiche Erkenntnisse liefern kann. In den Etagen darüber begutachten die Besucher indessen mittelalterliche Urkunden aus der Paläographischen Sammlung und suchen in halleschen Sterberegistern aus dem 18. Jahrhundert nach ihren Vorfahren. „Wir haben über 500.000 Personen, die einmal in Sachsen-Anhalt gelebt haben, in unseren Datensätzen“, sagt Dr. Katrin Moeller vom Historischen Datenzentrum Sachsen-Anhalt. „Die Studierenden lernen hier, in unserem digitalen Archiv zu recherchieren, Statistiken auszuwerten und alte Handschriften zu lesen.“
Im Altbau in der Ludwig-Wucherer-Straße 2 steht Ulrich Wenner neben einem vollem Büchertisch: „Wir haben unsere aktuellen Publikationen ausgelegt, damit die Besucher eine Vorstellung davon bekommen, was wir hier eigentlich machen“, so der Germanist, der zurzeit das letzte Buch des Mittelelbischen Wörterbuchs fertigstellt. In drei Bänden haben die Wissenschaftler den Mundart-Wortschatz des mittleren und nördlichen Sachsen-Anhalts gesammelt. Ein Großteil der Besucher, mit denen Wenner ins Gespräch kam, hat einst selbst in dem Altbau gearbeitet, als hier noch die Agrarwissenschaftler saßen. „Sie wollen wissen, was aus den alten Gebäuden geworden ist. Vom Ergebnis sind alle ganz angetan.“
„Wir haben viele Alumni zu Besuch, die hier früher gearbeitet oder studiert haben“, bestätigt Heike Braunsdorff, Geschäftsführerin der Gesellschaft zur Förderung der Agrar- und Ernährungswissenschaften an der Uni Halle. „Manche trauern dem alten Standort auch noch ein wenig nach“, so die Agraringenieurin, die an diesem Tag ihre Kollegen im Museum für Haustierkunde Julius Kühn unterstützt.
2.541 Besucher haben die Mitarbeiter des Zentralmagazins Naturwissenschaftlicher Sammlungen (ZNS) am Tag der offenen Tür im Museum gezählt. Unzählige präparierte Schafe, Schweine, Pferde und andere Haustiere sind in dem flachen, unsanierten Bau zu sehen. Wer will, kann einen Blick in das Innere eines Huhns oder eines Fischs werfen und anhand von Fotos die Geschichte des Standorts nachvollziehen. Die Sammlung ist weltweit einzigartig. Tausende Skelette von Schafen, Rindern, Eseln und anderen Großwirbeltieren lagern hier.
„Niemand sonst hat über 140 Jahre hinweg Generationen von Haustieren gesammelt. Nicht nur für die Zuchtkunde sind diese Präparate heute von unschätzbarem Wert“, sagt ZNS-Leiter Dr. Frank Steinheimer. Von der Zooarchäologie bis zur noch vergleichsweise jungen Disziplin der Naturschutzgenetik – die Bandbreite der Forschung, die mit Hilfe der Sammlungen betrieben wird, ist groß. Gegen 15 Uhr schließen das Museum und die Institute allmählich ihre Türen. Nur die drei Bands, die der Studierendenrat auf die Bühne eingeladen hatte, spielen im Anschluss noch gegen Kälte und Nieselregen an.