Topic Explorer: Japans digitaler Kultur auf der Spur
Unübersichtlicher könnte eine Software auf den ersten Blick kaum sein: Beim Aufrufen des Topic Explorers laden sich viele große und kleine bunte Fenster – mit japanischen Schriftzeichen gefüllt. Was für den ungeübten Laien ohne Japanischkenntnisse ein Buch mit sieben Siegeln ist, stellt für den halleschen Japanologen Prof. Dr. Christian Oberländer einen sehr großen Forschungsschatz dar. Hier laufen bis zu einer Million japanischer Blogposts zusammen, die darauf warten analysiert zu werden.
„Meine Mitarbeiter und ich haben nach einer Anwendung für Internetforschung gesucht“, erinnert sich Oberländer an den Beginn des Projekts. Sie wollten ihren Studenten die Möglichkeit bieten, kleinere Forschungsprojekte zu Japans Kultur über das Internet zu realisieren. „Schließlich ist Japan relativ weit entfernt und das Internet entspricht ohnehin der Erfahrungswelt der Studierenden.“ Während ihrer Recherche stellten die Japanologen fest, dass hier in Halle Informatiker an einer Software arbeiten, die genau das bewerkstelligen kann: der Topic Explorer.
Der computergesteuerte Textmarker
Mit seiner Arbeitsgruppe hat der Informatiker Dr. Alexander Hinneburg das Programm entwickelt. Es kann aus großen Textbeständen automatisiert so genannte topic models erstellen. „Die Software versucht, Wörter zu finden, die gemeinsam auftreten“, erklärt Hinneburg das Prinzip. Dafür zählt das Programm, welche Wörter häufig in Kombination vorkommen und ordnet den Texten dann selbstständig Themen zu. „Das Tool geht quasi mit verschiedenen Farbstiften durch einen Text und markiert Wörter nach bestimmten Regeln. Zum einen soll etwa das Wort Haus immer mit der gleichen Farbe unterstrichen werden. Eine Farbe entspricht also immer einem Thema.“ Der Vorteil daran: Die Nutzer müssen die Artikel vorher nicht lesen und auch keine Wörter oder Themen festlegen. All‘ das wird durch Algorithmen gelöst.
Nach der Computer-Analyse geht es dann an die eigentliche Arbeit: „Das System hat zwar Modelle für die Themen erstellt. Welche das aber sind, muss der Anwender danach selbst herausfinden“, fasst Hinneburg zusammen. Gut also, wenn man sich mit dem Thema bereits auskennt. Den Kontakt zwischen Oberländer und Hinneburg hatte ein ehemaliger Informatik-Student vermittelt, der inzwischen als Programmierer am Institut für Japanologie arbeitet. Nach einigen Gesprächen war klar: Hier gibt es viel Potential für eine Kooperation. Durch eine Förderung der Klaus-Tschira-Stiftung konnte der Topic Explorer dann weiterentwickelt und auf die Bedürfnisse der Japanologen angepasst werden.
Nicht auf Japan beschränkt
Für ihre Forschung zu Japan haben Oberländer und seine Mitarbeiter sich auf japanische Blogbeiträge zur Nuklearkatastrophe in Fukushima konzentriert. „Wir wollten über die Blogs verstehen, was die Menschen in Japan über Fukushima denken“, sagt Oberländer. In den deutschen Medien sei häufig das Bild von Japanern vermittelt worden, welche die Zustände im Land schweigend hinnehmen würden. „Das konnte aber nicht stimmen. Schließlich haben die Menschen in Japan ein sehr hohes Bildungsniveau und werden deshalb auch eine Meinung dazu haben“, fasst der Regionalwissenschaftler die Überlegungen von damals zusammen. Heute weiß er: Das Thema wurde und wird in der japanischen Blogosphäre breit diskutiert. „Häufig werden in den Beiträgen alltagsbezogene Themen verhandelt, zum Beispiel machen sich Mütter Sorgen, ob die Nahrungsmittel ihrer Kinder verseucht sind.“ Auch die Frage nach der Verantwortung, also ob sie beim Staat oder bei den beteiligten Unternehmen liege, werde häufig debattiert.
Die Forschung zu den japanischen Blogs sei noch nicht abgeschlossen. Studenten können das Textkorpus für Abschlussarbeiten verwenden. „Wir haben viele Themen, die noch realisiert werden wollen“, sagt Oberländer zufrieden. Außerdem sei geplant, die Software auch anderen Fächern zur Verfügung zu stellen. „Gerade ein Vergleich der japanischen Kultur mit dem arabischen Raum oder Europa wäre sehr spannend.“