Zocken, ohne zahlen zu müssen? Einblicke in die Welt der Spiele

Spielen Sie selbst Free-to-play-Spiele?
Lies van Roessel: Ja, gerade ist es „Text Express: Word Adventure“. Da löst man Rätsel, indem man aus vorgegebenen Buchstaben Wörter bildet. Die Rätsel sind dabei eingebettet in eine Geschichte, in der eine junge Frau einen Zug repariert und mit diesem die Welt entdeckt.
Haben Sie bei „Text Express“ schon einmal etwas gekauft?
Ich habe Geld bezahlt, um keine Werbung mehr sehen zu müssen. Die ist in Free-to-play-Spielen so wahnsinnig nervig – mit Absicht. Und es ist wirklich kniffelig, die Werbung durch Klicken der richtigen Stellen zu beenden und nicht aus Versehen daneben zu drücken.
Ein Schwerpunkt Ihrer Arbeit als Wissenschaftlerin sind Game Production Studies. Was ist das überhaupt?
Game Production Studies befassen sich mit der Frage, wie Spiele erstellt werden. Es geht also darum, wie sie entwickelt werden, aber auch um ihre Märkte und wie die Spiele veröffentlicht werden. In den Game Production Studies schaut man hinter die Kulissen, betrachtet die Menschen, die dort arbeiten, ihre Arbeitsbedingungen, die Rahmenbedingungen und auch die technischen Entwicklungen, die viele Spiele erst ermöglichen. Beispielsweise, dass heute fast jeder ein Handy mit mobilem Internet besitzt.
Was fasziniert Sie an diesem Forschungsgebiet?
Die Branche ist unglaublich vielfältig. Es gibt große Unternehmen, die vor allem versuchen, möglichst viel Geld zu verdienen; aber auch die unabhängigen Entwickler, die sich eher an Kunst orientieren. Oft wird in Debatten über die Games-Branche über die Köpfe der Menschen hinweggeredet, die da arbeiten – was auch daran liegt, dass die Branche sehr verschlossen ist. Ich finde es spannend, sich mit den Menschen selbst auseinanderzusetzen.
Zurück zum Thema Geld: Wie viele Nutzer geben Geld in Free-to-play-Spielen aus und wofür?
Es ist nur ein geringer Anteil an Spielern, die Geld für Mikrotransaktionen ausgeben – das sind meist kleine Beträge, mit denen man im Spiel etwas kaufen kann. Wie viel ein durchschnittlicher Nutzer einsetzt, machen die Unternehmen nicht öffentlich. Oft ist in der Debatte von sogenannten Walen die Rede. So bezeichnet man Menschen, die sehr viel Geld ausgeben. Die Mikrotransaktionen kann man in zwei Gruppen unterteilen: Einmal geht es um reine Kosmetik, wie schönere Spielfiguren oder besondere Kleidung. Zum anderen gibt es Mikrotransaktionen, mit denen man im Spiel einen Vorteil erhält, wie spezielle Waffen oder kürzere Wartezeiten für Verbesserungen.
Manchmal erwirbt man diese aber nicht gezielt, sondern ein Zufallsmechanismus bestimmt, was man bekommt. Dieser Zufallsmechanismus ist vergleichbar mit Glücksspiel, ähnlich dem eines Spielautomaten. Das kann zu Abhängigkeiten führen. Die Glücksspielbranche ist im Unterschied zu Mobile Games sehr stark reguliert. Vielleicht wäre es gut, gesetzliche Höchstbeträge festzulegen, die pro Tag für solche Spiele ausgegeben werden können.
Sie haben für Ihre Dissertation Interviews mit den Spiele-Entwicklern geführt. Was denken diese über Mikrotransaktionen?
Die Entwicklerinnen und Entwickler haben eigene Argumente, um sie zu rechtfertigen, insbesondere, weil diese in der Öffentlichkeit umstritten sind. Sie vergleichen Mikrotransaktionen zum Beispiel mit Ausgaben für andere Hobbys. Ein Entwickler sagte mir auch, dass man eben für seine Unterhaltung arbeiten müsse. Wer zu faul sei, könne zahlen.
Neben der Kritik und Gefahren: Was sind positive Aspekte von Free-to-play-Spielen?
Man kann sie ausprobieren und anschließend entscheiden, ob und wie viel Geld man ausgeben möchte. Dies ist ein großer Vorteil gegenüber Vollpreistiteln, bei denen man vor dem ersten Spielen teilweise hohe Beträge bezahlen muss. In meinen Interviews haben manche Entwicklerinnen und Entwickler sich deshalb als eine Art Robin Hood betrachtet, die wenige Wale dazu bringen, mit ihrem Geld das Spiel für alle zu finanzieren. Free-to-play-Spiele sind zudem sehr niederschwellig – man braucht in der Regel nur ein Smartphone, um anzufangen.
Sie haben auch zu frühkindlicher Medienerziehung publiziert. Sollten Kinder solche Spiele spielen?
Kinder lernen, indem sie spielen. Es gehört grundsätzlich zur kindlichen Entwicklung dazu und wird nicht deshalb auf einmal falsch, weil es mit einem Bildschirm verknüpft ist. Eltern sollten aber wissen, was ihre Kinder am Bildschirm machen. Ob man sein Kind Videospiele – egal welche – spielen lassen sollte, hängt vom Inhalt des jeweiligen Spiels und vom Entwicklungsstand des Kindes ab. Vor kurzem habe ich mit meiner fünfjährigen Tochter ein Prinzessinnen-Spiel auf einer Konsole gespielt. Es ging darum, passende Kleider anzuziehen und anschließend für das gewählte Outfit Komplimente von anderen Charakteren zu bekommen. Dieses Spiel bedient meiner Meinung nach Stereotype, und es ist doch sehr oberflächlich. Deshalb werden wir es nicht mehr spielen. Aber ich halte nichts davon, Computer- oder Handyspiele grundsätzlich zu verteufeln. Es kommt immer auf den Einzelfall an. Kinder können durch Videospiele Selbstwirksamkeit erfahren, problemlösendes Denken trainieren, Muster erkennen oder räumliches Denken und ihre Hand-Augen-Koordination trainieren.