Venedig: Zur Tagung in die "Stadt des Auges"
Herr Professor Fajen, wie organisiert man von Halle aus eine Tagung in Italien?
Robert Fajen: Ganz einfach ist das nicht. Als Veranstalter braucht man Ortskenntnisse und Kontakte. Meine Kollegin Barbara Kuhn aus Eichstätt und ich beschäftigen uns beide schon sehr lange mit Venedig. Wir kennen die Stadt gut und haben sehr enge Kontakte zum Deutschen Studienzentrum vor Ort, das uns in der Organisation unterstützt.
Inwiefern war Venedig als Veranstaltungsort wichtig?
Venedig ist durch seine Topographie und Geschichte eine Stadt mit einer ganz besonderen Sichtbarkeit – und eben dieses Visuelle ist unser Tagungsthema. Darum ist es natürlich sehr reizvoll, die Tagung an dem Ort selbst stattfinden zu lassen, um den es geht. Uns war zudem wichtig, auch Forscher aus Venedig zu beteiligen und ein breiteres Publikum in der Stadt zu erreichen. So können wir Verbindungen zwischen dem 18. Jahrhundert, mit dem wir uns auseinandersetzen, und der Gegenwart herstellen. Wenn wir in Venedig tagen, blicken wir zwar auf die Vergangenheit, entwickeln aber auch einen Blick auf aktuelle Zustände, die sowohl Parallelen als auch Unterschiede erkennen lassen. Denn der Mythos von Venedig als „Stadt des Auges“ wird permanent weiterentwickelt. Vielleicht haben wir heute selbst ein festgefahrenes, verfälschendes Bild von der Stadt. Die Tagung soll dazu beitragen, dieses festgefahrene Bild aus einer historischen Perspektive aufzubrechen.
Titel der Tagung ist „die Stadt des Auges“. Was ist damit gemeint?
Dieser Begriff geht auf den russisch-amerikanischen Autor Joseph Brodsky zurück, der in Venedig gelebt hat. Er nannte die Lagunenstadt in einem Essay „die Stadt des Auges“, weil es in Venedig eine „Privilegierung des Sehens“ gebe. „Die anderen Sinne spielen eine schwache, zweite Geige“, schrieb er. Barbara Kuhn und mir ist aufgefallen, dass das Sehen bereits im 18. Jahrhundert in der venezianischen Literatur und in Gemälden immer wieder auf ganz verschiedene Arten thematisiert wird. Deshalb gehen wir auf der Tagung gemeinsam mit Historikern, Kunst- und Medizinhistorikern sowie Literaturwissenschaftlern der Frage nach: Wie ist dieser Bildmythos Venedigs in der Zeit zwischen 1700 und 1800 geprägt worden?
Können Sie Beispiele nennen, in welcher Form das Sehen damals eine besondere Rolle spielte?
Keine Stadt wurde im 18. Jahrhundert wohl so oft gemalt. In vielen Gemälden, die Ansichten von Venedig zeigen, sind Figuren dargestellt, die im Akt des Sehens begriffen sind, die etwa dem Betrachter den Rücken zuwenden und in einen Guckkasten schauen. Auch Masken, die mit der Stadt untrennbar verbunden sind, ziehen die Blicke auf sich. Wer aber durch die Maske hindurch blickt, verweigert sich zugleich diesen Blicken. Ein anderes prominentes Beispiel ist der Maler Canaletto, der mit seinen Stadtansichten das Bild von Venedig im Ausland prägt und gleichzeitig auch manipuliert. Venedig ist außerdem ein bedeutender Ort der Optik. Es ist ebenso bekannt für seine Linsen- und Glasindustrie wie für die Herstellung von Geräten, die mit dem Sehen spielen, etwa die Camera Obscura. Es gab damals eine regelrechte Bildindustrie, eine Inszenierung der Stadt mit Hilfe von optischen Medien. Und das wirkte sich auch auf die Literatur und andere Diskurse aus. Uns bietet das heute eine ungemein große Vielfalt von Perspektiven auf das Phänomen des Visuellen.
Wieso kam der Stadt im 18. Jahrhundert so eine besondere Bedeutung zu?
Das 18. Jahrhundert war das letzte autonome Jahrhundert, in dem Venedig die Hauptstadt eines bedeutenden Staates war. Venedig war gut 1.000 Jahre unabhängig und schon sehr früh eine Stadt der Globalisierung und des Tourismus. Eine Zeit lang, allerdings sehr viel früher, im 16. Jahrhundert, war Venedig wohl sogar die reichste und in gewisser Weise auch modernste Stadt der Welt.
Wie lange erforschen Sie die Stadt bereits?
Seit mehr als zwölf Jahren. Venedig bietet unerschöpflich viele Forschungsthemen. Man könnte ein ganzes Leben in den dortigen Bibliotheken verbringen und hätte noch immer nicht alle Literatur gelesen. Venedig ist etwas Besonderes – eine Stadt in einer Umwelt, die eigentlich gar keine menschlichen Bewohner vorsieht. Sie ist wie ein Labor, ein großes, urbanes Experiment. Sehr artifiziell und durch die Fülle an Materialien unglaublich interessant. Da hört die Arbeit für einen Literaturwissenschaftler niemals auf.