Vom Labor bis zum Pferdestall
Einen Großteil ihrer Zeit widmet Gudrun Liebscher derzeit der Betulinsäure – einem Wirkstoff, der aus der Rinde zahlreicher Plantanenpflanzen gewonnen wird. Bereits seit langem ist die Säure als Tumorbekämpfer bekannt: Menschliche Tumorzellen waren mit ihr versetzt worden, die Tumorzellen starben ab und die Hoffnung auf die Entdeckung eines neuen Krebs-Heilstoffes gedieh. Fast zwanzig Jahre ist das her. In Wien dann der erste Hunde-Versuch: Der Hund überlebte, der Tumor nicht.
Doch die Forschung an dem Projekt schlief ein. Anders an der Uni Halle, wo man sich am Gründerzentrum Biowissenschaften weiterführenden Untersuchungen widmete. Mit Grudrun Liebscher nun kann die Frage der praktischen Anwendbarkeit neu gestellt werden. Die 23-Jährige ist eine der besten ihres Fachs: Sie arbeitete als wissenschaftliche Hilfskraft ihres Instituts, erhielt ein Deutschlandstipendium, absolvierte ein dreimonatiges Forschungsgruppenpraktikum an der Universität in Kopenhagen. Nach Ablauf des Stipendiums wurde Liebscher mit 900 Euro von der Vereinigung der Freunde und Förderer (VFF) unterstützt, um in Hannover ihre Forschungsarbeiten zu Ende bringen zu können. Im Oktober bekam sie für ihre Masterarbeit den Martin-Luckner-Preis verliehen, eine Auszeichnung für die beste experimentelle Abschlussarbeit im Bereich der pharmazeutisch-biotechnologischen und biologischen Wissenschaften der MLU.
Für eben diese Masterarbeit untersuchte die junge Wissenschaftlerin eine mögliche zellschädigende Wirkung der Betulinsäure auch auf Pferde-Hautkrebszellen. Diese wurden Monate zuvor in der Tierärztlichen Hochschule Hannover sowie in Wien entnommen und schlummerten seither bei minus 80 Grad Celsius in Flüssigstickstoff vor sich hin. Liebscher erweckte sie zu neuem Leben, gewillt sie zu zerstören. Die Säure allein jedoch würde nicht ausreichen, den Krebs hinreichend zu bekämpfen: Die Stärke der Wirkung und auch die Wasserlöslichkeit ließen zu wünschen übrig. Letztere sei wichtig, um überhaupt in die Blutbahn Betroffener zu gelangen.
Neben der reinen Säure testete sie zwei weitere Präparate. Beide zeigten deutlich verbesserte Ergebnisse – eine Praxisanwendung war damit möglich und eine gute Prise Glück tat ihr Übriges dazu, dass das auch tatsächlich klappte: Die Tierärztliche Hochschule Hannover stellte ein an Hautkrebs erkranktes Pferd für medizinische Tests zur Verfügung. Damit war die Bahn frei für einen ersten Praxistest. Zumindest fast.
„Bevor solche Tests losgehen können, muss zunächst ein Ethik-Antrag gestellt werden“, erzählt die Biochemikerin. Sind die Untersuchungen von ausreichender Relevanz? Kann eine ständige Betreuung des betroffenen Tiers gewährleistet werden? Worin besteht die Notwendigkeit des Tests? Und: Zu welchen Ergebnissen kamen Laborversuche im Vorfeld? Fünf Monate dauerte es, dann erst gab der Ethikrat grünes Licht.
„Seit zwei Wochen spritzt eine Tierärztin dem Pferd seither unser Heilmittel in den Tumor“, erklärt Liebscher. Dabei verhindert die immer noch relativ geringe Wasserlöslichkeit ein zu weites Ausbreiten des Wirkstoffs. Alle sieben Tage wird der Stoff neu angewendet, insgesamt maximal 20 Mal. Dann erst kann die Wirkungsfrage abschließend beantwortet werden. Liebscher aber ist zuversichtlich: Bisher trat keine Nebenwirkung auf und ebenso eine leichte Tumorverkleinerung. Die Biochemikerin setzt große Hoffnungen in das Projekt. Schließlich wäre bei erfolgreicher Behandlung eine Anwendung auf den Menschen ein kleines Stückchen näher gerückt.
Doch auch für die Tiermedizin kann die veränderte Betulinsäure einen Durchbruch bedeuten: Zwar gibt es bereits jetzt einige Präparate zur Bekämpfung der Krankheit. Diese jedoch sind selbst stark krebserregend. Bei einer Ausbreitung über den Tumor hinaus ist eine Anwendung also eher schädlich als heilend.
Die Zahl der erkrankten Pferde, insbesondere diejenige erkrankter Schimmel, ist dabei eine ungeahnt hohe. Liebscher: „Schimmel zeichnen sich durch eine Genmutation aus. Die führt einerseits zu einem schnellen Ergrauen – sonst wären Schimmel ja keine Schimmel – und ist andererseits für eine besonders hohe Hautkrebsgefährdung verantwortlich.“ So leiden acht von zehn der über 15 Jahre alten Schimmel an der Krankheit.
Zuletzt acht bis zehn Stunden widmete Liebscher ihrer Masterarbeit täglich. Sogar am Wochenende ließ sie das Projekt nicht los. Die Labor-Zell-Versuche im Vorfeld reizten sie – wenn auch hin und wieder eine gewisse Monotonie einsetzte. Aber irgendwie lohne sich die Arbeit dann eben doch. Wegen dieses Gefühls, ganz am Ende der Arbeit. Etwas geschaffen zu haben, das irgendwann vielleicht tatsächlich Anwendung finden könnte.
Die Martin-Luckner-Stiftung belohnte diesen Erfolg mit der Verleihung des gleichnamigen Preises. Diese Finanzspritze soll der Ausnahme-Wissenschaftlerin den Besuch einer Forschungskonferenz ihrer Wahl ermöglichen. Liebscher wird diese Möglichkeit begrüßen, ist doch der Gang in die Forschung festes Ziel. Am liebsten in einem Forschungsinstitut. Fraunhofer vielleicht oder Max-Planck. Das wollte sie schon immer.
Als Kind begeisterten sie Heilpflanzen – oder vielmehr Hexen, die mit Heilkräutern den einen oder anderen Heiltrunk kreierten. So stand jahrelang zunächst Pharmazie auf der persönlichen Studienwunschliste. Die geringe Quote der Pharmazeuten jedoch, die nach dem Studium tatsächlich in die Forschung wechseln, schreckte ab. Biochemie kam da deutlich attraktiver daher. Eine Studienwahl, die sich lohnen sollte.
Nun jedoch gilt es, sich nach einer Doktorandenstelle umzuschauen. Erlangen und Heidelberg sind denkbar – diese beiden Städte bieten thematisch passende Forschungsmöglichkeiten. Oder aber ein zweiter Gang nach Kopenhagen. „Die Arbeitsgruppe da war unglaublich sympathisch“, sagt sie. Egal wie Gudrun Liebscher sich auch entscheiden wird: Der halleschen Master-Studentin steht eine vielversprechende Karriere bevor.