Von Bildern, Ringen und der richtigen Religion
Noch vor dem wissenschaftlichen Streitgespräch gab es auf dem Wittenberger Marktplatz eine kleine Premiere: Zum ersten Mal zogen nicht nur die Mitglieder des Akademischen Senats der Martin-Luther-Universität vom Rathaus zur Leucorea – in diesem Jahr wurden sie vom Wittenberger Stadtrat bei ihrem traditionellen Festzug begleitet. Für MLU-Rektor Udo Sträter war das ein wichtiges Zeichen: „Das stärkt auch die Verbindung zwischen den Bewohnern der Stadt und ihrer Universität.“ Außerdem freute er sich, dass die Senatsmitglieder beim Umzug wieder ihre Talare trugen. Schließlich hätten sie eine besondere Bedeutung: „Die Talare sind ein Symbol für die wieder gewonnene akademische Freiheit.“ In der DDR waren sie 1968 mit der dritten Hochschulreform verboten worden.
Der Heidelberger Kulturwissenschaftler Jan Assmann eröffnete mit seinen fünf zugespitzten Thesen die Disputation. Erst durch die Einführung des Monotheismus, also der Annahme eines allumfassenden Gottes, sei in die Religionen die absolute Wahrheit eingeführt worden. Diese könne man nur als Gläubiger und nur durch Offenbarung erfahren, aber nicht durch Erfahrung in der Welt. Die großen drei Schriftreligionen - also Christentum, Judentum und Islam - würden alle davon ausgehen, jeweils für sich die absolute Wahrheit erkannt zu haben. Dies sei die Grundlage für die Unterscheidung und den Konflikt von Gläubigen und vermeintlichen Ungläubigen.
Diesen Punkt nahm Jacob L. Wright von der Emory University in Atlanta auf. Für den Professor der hebräischen Bibelwissenschaft ging mit der Disputation ein Traum in Erfüllung: „Ich habe großen Respekt für Jan Assmann und seine Arbeit“, sagte Wright. Schon lange habe er davon geträumt, ihn einmal zu treffen. Und trotzdem ließ Wright es sich nicht nehmen, die Aussagen von Assmann teilweise zu kritisieren. Eine zentrale Aussage des Alten Testaments sei: „Wir sind ein Volk, wir sind das Volk.“ Assmann habe mit seinen Thesen nicht wirklich über Religionen an sich gesprochen, sondern über deren politische Dimension.
In eine etwas andere Richtung lenkte Professor Jörg Dierken vom Institut für Theologie der MLU die Debatte. Er kritisierte Assmanns Vorstellung einer Theologie der Differenz. Anstelle eines Freund-Feind-Schemas wolle er die „heilsame Kraft der Unterscheidung“ in den Vordergrund stellen. Außerdem merkte er auch Zweifel bei der These an, Religionen wären per se auf Frieden und Versöhnung ausgerichtet: „Religionen sind viel komplexer.“
Professor Ralf Elger, Islamwissenschaftler an der MLU, ging der Frage nach, was die vorgestellten Thesen für Muslime heißen könnten. Schließlich würde die Behauptung, in allen Religionen sei ein Element der Gewalt enthalten, alle Muslime unter eine Art Generalverdacht stellen. Er wies auf den dynamischen Charakter von Religionen hin: Zwar seien die Gebote an sich ewig. Ihre Interpretation verändere sich aber im Laufe der Zeit immer wieder.
Nach einer lebhaften Debatte stellten die Disputanten gemeinsam fest, dass man die Frage nach der richtigen Interpretation der Heiligen Schrift nicht beantworten kann. Wie bereits durch die Ringparabel in Lessings „Nathan der Weise“ bekannt ist, könne man von den einzelnen Religionen nicht sagen, welche nun die einzig Wahre sei. Dies sei eine Chance, so Dierken. Alle Religionen sollten deshalb gleich behandelt werden. Laut Assmann müsse die Toleranz für andere Religionen aber immer wieder neu erkämpft und verteidigt werden. Denn schließlich, und damit neigte sich die Diskussion ihrem Ende zu: „Sind wir alle eins, wir haben es nur noch nicht erkannt.“