Von zauberhaften Schriften und ganz irdischen Herausforderungen
Hakob Meghapart ist so etwas wie der armenische Johannes Gutenberg. Denn im Jahr 1512 entstand in seiner Druckwerkstatt in Venedig das erste armenische Buch. Auch wenn "Urbatagirk" (zu Deutsch: Freitagsbuch) zugegebenermaßen kein so schwergewichtiges Werk wie die Gutenbergbibel ist – enthält es neben Gebeten auch Legenden, Geschichten und reichlich Abergläubisches – ist es Anlass dafür, dass in diesem Jahr weltweit das 500. Jubiläum des armenischen Buchdrucks begangen wird. Auch Sachsen-Anhalt und die MLU feiern, stellvertretend für die Bundesrepublik, mit.
Gemeinsam mit Meliné Pehlivanian von der Staatsbibliothek zu Berlin hat die hallesche Armenologie-Professorin Armenuhi Drost-Abgarjan in nur drei Monaten eine 'zauberhafte' Ausstellung im Kunstforum auf die Beine gestellt, die nicht nur eben dieses älteste armenische Buch und weitere Vertreter des frühen armenischen Buchdrucks aus Venedig, Amsterdam, Konstantinopel, Leipzig und Rom zeigt: Erstmals werden hier auch einige der schönsten armenischen Handschriften aus den Berliner Beständen öffentlich präsentiert. Auf rotem Samt gebettet und hinter Glas, des empfindlichen Materials wegen, sind hier kleine Kunstwerke zu bestaunen: prächtige und mit geradezu leuchtenden Miniaturen versehene Gesangbücher, Psalter und Evangeliare aus dem 13. bis 17. Jahrhundert – darunter auch ein Heilungsevangeliar, dessen Wirkung sich einst durch Auflegen entfaltet haben soll.
Zwischen Orient und Okzident
"Wir wollen mit der Ausstellung zeigen, wo die gedruckten Bücher, deren 500. Jubiläum derzeit begangen wird, ihren Ursprung haben", erklärt Armenuhi Drost-Abgarjan. "Zumal die Armenier eine lange und einzigartige Handschriftentradition haben, in der sich Orient und Okzident in einem ganz eigenen Stil verbinden und die Frühdrucke den Handschriften noch wesentlich näher sind, als den 'richtigen' Büchern", fügt Meliné Pehlivanian hinzu. "Es wurde auch bei den Frühdrucken noch sehr großer Wert auf Schönheit, auf die Präsentation des Textes gelegt und das macht die Exponate – neben dem wunderschönen Schriftbild des armenischen Alphabets und ihrem hohen kulturellen Wert – äußerst sehenswert."
Davon kann sich der Besucher am Herzstück der Ausstellung indes ganz aus der Nähe überzeugen, sogar darin herumblättern: Es handelt sich um eine originalgetreue Kopie des berühmten Codex Edschmiatzin, eines kunstvollen Tetraevangeliars, der in Armenien fast Reliquienstatus genießt. "Während der Text aus dem 10. Jahrhundert stammt, sind in die Handschrift auch Miniaturen aus dem 5. und 6. Jahrhundert eingenäht", erläutert Professor Drost-Abgarjan. "Damit zählt der Codex nicht nur zu den ältesten christlich-orientalischen Evangeliaren sondern ist auch ein armenischer Zeuge der nicht erhaltenen frühen Evangeliarhandschriften."
Nicht nur der historische Gehalt macht die Handschrift zu einem wahren Schwergewicht: Der mit zahlreichen Details versehene Prachtdeckel aus Elfenbein tut sein Übriges dazu. Die Faksimilie-Edition hatte das MESROP Zentrum an der MLU unter damaliger Leitung des Theologen und Armenienexperten Hermann Goltz 1999 mit Unterstützung der Stiftung der Saalesparkasse für Forschung und Lehre erstanden. Das Original wird indes im Matenadaran-Archiv in der armenischen Hauptstadt verwahrt.
Kunstvolle Handschriften, seltene Drucke
Mit einer altarmenischen handschriftlichen Fassung des Alexanderromans über Leben und Abenteuer Alexanders des Großen findet sich aber auch ein weiteres volkstümliches Exponat in der halleschen Sammlung. Es handelt sich dabei übrigens um eine der ältesten erhaltenen Fassungen des in über 80 Sprachen übersetzten Werkes. "Das Manuskript unterscheidet sich zudem mit der ungelenken Schrift deutlich von den 'professionellen' Handschriften, die aus den Skriptorien stammen, es wirkt in seiner volkstümlichen Art geradezu anrührend", fügtMeliné Pehlivanian zwinkernd hinzu. Außerdem gehe es in den Illustrationen mitunter recht freizügig zu – in den kirchlichen Schriften undenkbar!
Neben den regionalen Exponaten und Leihgaben aus München und Siebenbürgen konnten die beiden Kuratorinnen zudem weitere Glanzstücke aus armenischen Sammlungen für die hallesche Schau gewinnen: Beispielsweise die drei Handschriftenfaksimilien mit Silberbeschlägen aus dem Matenadaran-Handschriftenarchiv und die mit Inschriften versehenen Wandteppiche aus dem Museum für Volkskunst in Jerewan. Gerade noch pünktlich vor der Vernissage an der Saale eingetroffen.
"Ohne die Beziehungen nach Jerewan und den Namen der MLU in Armenien wäre das wohl kaum möglich gewesen", meint Professor Drost-Abgarjan, die die deutschlandweit einzige Professur für Armenologie inne hat. "Denn immerhin ist diese Universität schon seit rund 30 Jahren auf dem Feld der Armenologie aktiv." Nicht zuletzt soll ja auch schon August Hermann Francke Beziehungen zu einer armenischen Druckerfamilie in Venedig gepflegt haben.
Die Ausstellung "Schriftkunst und Bilderzauber" ist bis zum 20. Mai 2012 Montag bis Freitag von 9:00 bis 17:00 Uhr (Donnerstag bis 19:00 Uhr) und am Wochenende von 11:00 bis 17:00 Uhr zu besichtigen. An jedem Ausstellungssonntag finden begleitende Fachvorträge und Präsentationen zur armenischen Kultur und der Entwicklung des Buchdrucks in Armenien statt. Zum Auftakt am 22. April führen die beiden Kuratorinnen erstmals ausführlich durch die rund 60 Exponate.