Zwischen Forschung und Ferien: Ethnologen-Alltag in Australien
Herr Wergin, Sie haben schon viele Regionen um den Indischen Ozean bereist. Zurzeit sind Sie in Australien. Wie sieht dort ein typischer Arbeitstag für Sie aus?
Obwohl meine Feldforschungen immer viele Monate dauern – zuletzt 15 Monate in der Kimberley-Region – ist doch kaum ein Arbeitstag wie der andere. Ich mache im Verlauf viele Interviews mit Politikern, Unternehmern, Künstlern, aber auch Nachbarn und anderen Personen, die nicht in der Öffentlichkeit stehen. Dann nehme ich natürlich an zahlreichen Veranstaltungen teil. In der Kimberley waren das zum Bespiel das Perlenfestival „Shinju Matsuri“ und der „Lurujarri Heritage Trail“. Und nicht zuletzt schreibe ich viel. So kommen am Ende Hunderte Seiten mit Aufzeichnungen und Tausende Fotos zusammen.
Was beeindruckt Sie in Australien am meisten?
Die besondere Verbindung der indigenen Bevölkerung mit ihrer Umwelt. Einige Aborigines verwenden dafür das Konzept „living country“. Damit beschreiben sie ihre fundamentale Beziehung zur Natur. Diese Verbindung zwischen Mensch und Umwelt besteht schon immer, „since day one“, wie die Indigenen sagen. Gleichzeitig ist sie hochaktuell, weil sie von den Menschen in der Gegenwart gelebt wird.
In einer Welt, die von Industrie und Massentourismus geprägt ist, ist es sicher nicht einfach eine solch enge Verbindung zur Natur aufrechtzuerhalten?
Das stimmt. Auch die Kimberley-Region steht vor großen Veränderungen. In Zukunft sollen dort enorme Mengen Öl, Eisenerz, Kohle und Gas abgebaut werden. Besonders Letzteres ist ein Problem, das bei Umweltorganisationen und Teilen der Bevölkerung auf massiven Widerstand stößt. Denn das Gas müsste durch die umstrittene Technologie des Fracking gewonnen werden. Daraus ergeben sich schwere Konflikte zwischen der Rohstoff gewinnenden Industrie und der Bevölkerung. Auch für die Tourismusbranche könnte das zum Problem werden, wenn etwa Teile der „unberührten Natur“ der Kimberley-Region zur Industrielandschaft werden.
Was ist die größere Bedrohung für die Kultur und die Landschaft einer Region: Der Massentourismus oder die Industrialisierung?
Wenn Sie daran denken wie Halle zu Zeiten der Chemieindustrie aussah, wird klar wie zerstörerisch die Industrialisierung sein kann. Wir leben heute im Anthropozän, dem geochronologischen Zeitalter, in dem der Mensch nachweislich verheerenden Einfluss auf die biologischen und geologischen Prozesse der Erde nimmt. Seit Erfindung der Dampfmaschine haben Menschen das Schicksal der Welt in die Hand genommen, mit desaströsen Auswirkungen: Klimawandel, Zerstörung der Umwelt, Ausrotten von Tier- und Pflanzenarten, Hungersnöte. Da ist ein Umdenken absolut notwendig und ein Konzept wie „living country“ würde für ein besseres Verhältnis zu unserer Umwelt hilfreich sein.
Als Tourist will man viel von der Welt sehen, das Fremde soll aber unberührt bleiben. Wie stellen Sie sich den idealen Touristen vor?
Wenn Sie den deutschen Pauschalurlauber meinen, dann würde ich sagen, versucht er offen, aufgeschlossen und neugierig zu sein. Er verlässt auch mal die Halbpension und ist dabei idealerweise respektvoll und beim Geldausgeben besonders darauf bedacht, dass es im Gastland den Menschen zugute kommt, die es brauchen. Es ist gar nicht so einfach, ein idealer Tourist zu sein.
Lassen sich Tourismus und Umweltschutz überhaupt vereinbaren?
In jedem Fall. Vielen Touristen ist ein ungetrübtes Naturerleben doch wichtig. Sie wollen saubere Strände oder auch eine schöne Altstadt, dazu blauen Himmel, freundliche Menschen, eine reiche Fauna und Flora. Natürlich gibt es auch viele Pauschaltouristen, die ihren Urlaub in Resorts verbringen. Doch auch Resorts müssen darauf achten, nachhaltig zu arbeiten. Auf Mauritius etwa sind sie verpflichtet eigene Wasseraufbereitungsanlagen zu betreiben.
Verbinden Sie Ihre Forschungsreisen mit Urlaub?
Es fällt schwer, während der Feldforschung einen Tag Urlaub zu machen. Das liegt daran, dass es immer etwas Interessantes zu beobachten und spannende Gespräche zu führen gibt. Als ich meine erste längere Feldforschung auf einer subtropischen Insel machte, damals La Réunion, flog ich zum Urlaub auf die benachbarte Insel Rodrigues, um dem Feld zu entkommen. Aber so richtig hat das nicht funktioniert, denn daraus entstand ein neues Forschungsprojekt.
Wann trifft man Sie wieder in Halle an?
Meine Familie und ich sind ab Oktober wieder in Halle. Im Wintersemester biete ich am Seminar für Ethnologie die Veranstaltung „Australien im Zeitalter globaler Krisen“ an, in der es um viele der angesprochenen Themen gehen wird. Ansonsten hat mich die Uni-Bigband wieder als Saxophonist aufgenommen. Kommen Sie doch mal bei einem Konzert vorbei.