Arbeiteten AP und das NS-Regime zusammen?
Alles fing mit einer eher kleinen Beobachtung an: Harriet Scharnberg bereiste für ihre Doktorarbeit über Fotoreportagen der NS-Bildpresse mehrere Archive und suchte dort in Zeitungen und Broschüren nach geeignetem Bildmaterial. Ein Blick auf die Urheber der Fotos machte sie stutzig: „Mir ist aufgefallen, dass in den Bildnachweisen immer wieder der Name Associated Press aufgetaucht ist. Das konnte ich mir nicht erklären“, erinnert sich Scharnberg. Die US-Nachrichtenagentur AP hatte offenbar zahlreiche Fotos aus dem Ausland für nationalsozialistische Propaganda-Broschüren geliefert. Ein Fakt, der in der Forschung und auch bei AP selbst bis dato unbekannt war.
Wie sich herausstellte, pflegte die Agentur eine langjährige und intensive Zusammenarbeit mit dem NS-Regime: Für den Bildband „Die Juden in den USA“ hat die Bildagentur zum Beispiel insgesamt 105 Bilder beigesteuert. Auch für das Heft „Der Untermensch“ lieferte der Mediendienst zahlreiche Fotos. Die Schrift erreichte 1943 eine Auflage von 3,8 Millionen Exemplaren.
AP als Bildlieferant und -verteiler der Nationalsozialisten
Diese Beobachtung lasse sich, so die Wissenschaftlerin, über die besondere Rolle von AP Mitte der 1930er Jahre erklären. „1934 trat das sogenannte Schriftleitergesetz in Kraft“, sagt Scharnberg. Mit diesem Gesetz war es allen Redaktionen in Deutschland vorgeschrieben, nur noch Deutsche „arischer“ Abstammung beschäftigen. Auch Angestellte, die mit einem Juden verheiratet waren, sollten entlassen werden. Daraufhin gaben die meisten internationalen Bildagenturen ihre Niederlassungen in Deutschland auf – außer AP. Dort entschloss man sich dazu, das Gesetz zu befolgen und so auch seine redaktionelle Unabhängigkeit aufzugeben: Die Veröffentlichung der Bilder unterlag der Kontrolle durch das Reichspropagandaministerium. Wie stark die Verbindungen zwischen AP und dem NS-Regime waren, zeigt die Personalia um Franz Roth. Roth war als Fotograf bei AP angestellt und zugleich Oberscharführer der SS sowie Mitglied deren Propagandakompanie.
Warum sich die Agentur trotz alledem dazu entschloss, ihre Niederlassung in Deutschland zu behalten, darüber kann Scharnberg nur spekulieren: „AP hatte durch die Entscheidung eine einzigartige Marktstellung gewonnen. Sie hatte als einziger Akteur die Möglichkeit, exklusive und sehr wichtige Bilder aus einem sonst verschlossenen Land liefern zu können.“ Kurz nachdem Deutschland den USA im Dezember 1941 den Krieg erklärt hatte, wurde auch das AP-Büro in Deutschland aufgelöst.
„Man darf sich nicht treiben lassen“
Ihre Erkenntnisse veröffentlichte Scharnberg im Journal „Zeithistorische Forschungen“. Zwei Redakteure der Wochenzeitung „Die Zeit“ wurden so auf die Entdeckungen Scharnbergs aufmerksam und führten ein ausführliches Interview mit der Historikerin. „Das war eine besondere Erfahrung. Wann gelingt es einem schon, dass man seine Forschung in einem so großen Kreis erläutern darf“, berichtet die Münsteranerin.
Nachdem das Interview veröffentlicht wurde, passierte – nichts. Vorerst. Drei Wochen später erhielt Scharnberg eine Anfrage des britischen Zeitung „The Guardian“. Als die Zeitung ihren Artikel veröffentlichte, erhielt die Forschung der Historikerin eine ganz neue Dimension: Im englischsprachigen Raum spielt AP eine wesentlich größere Rolle als in Deutschland. Zahlreiche E-Mails von Journalisten aus aller Welt landeten im Postfach von Harriet Scharnberg, ihr Telefon klingelte ständig. Viele internationale Medien, darunter auch die britische „BBC“, die „New York Times“ und die „Times of Israel“, nahmen sich der Geschichte nun ebenfalls an. „Das Erstaunliche dabei ist, wie schnell es zur Routine wird, dass über die eigene Arbeit berichtet wird. Las ich anfangs noch jeden Artikel, habe ich die Berichterstattung nach einigen Tagen nur noch überflogen“, sagt Scharnberg und lacht. „Dabei ist es einfach großartig gewesen, was in wenigen Tagen alles passiert ist!“
Der Kontakt mit den Journalisten sei sehr unterschiedlich gewesen: Einige der Anfragen waren sehr gezielt und hintergründig, andere dagegen eher oberflächlich und teils überfallartig. Gerade bei einer solchen Thematik komme es aber auf präzise Formulierungen an – schließlich könnte eine falsche Aussage auch juristische Konsequenzen haben. Aus diesem Grund hat Scharnberg die meisten Presseanfragen dann nicht am Telefon, sondern in Ruhe via E-Mail beantwortet. „Auch wenn das mediale Interesse an der eigenen Forschung natürlich immer schön ist, darf man sich nicht treiben lassen. Es müssen auch noch wirklich differenzierte Aussagen herauskommen, nicht nur plakative Zeilen.“
Nach zwei Tagen mit unzähligen Mailwechseln und Anrufen kehrte dann auch wieder etwas mehr Ruhe in den Alltag der Historikerin ein. Seitdem kann sie sich zum Beispiel auch wieder darauf konzentrieren, ihre Promotion abzuschließen. Eine Lehre hat sie aus den vergangenen Wochen gezogen: „Journalismus ist nicht gleich Wissenschaft.“
Zur Publikation:
Harriet Scharnberg, Das A und P der Propaganda. Associated Press und die nationalsozialistische Bildpublizistik, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 13 (2016), H. 1, URL: http://www.zeithistorische-forschungen.de/1-2016/id=5324