Auf der Suche nach dem Tumorprotein
Es hat einen etwas sperrigen Namen, das Protein IGF2BP1. Im Körper hat es aber für die Entwicklung eine zentrale Bedeutung: Es sorgt dafür, dass Zellen von Embryonen schnell wachsen, sich teilen können und dass sie mobil sind. „Diese Eigenschaften sind für Embryonen von zentraler Bedeutung“, sagt Stefan Hüttelmaier. Der Professor für Molekulare Zellbiologie ist Leiter einer der 14 Arbeitsgruppen im neuen Charles-Tanford-Proteinzentrum.
Im ausgewachsenen Körper gibt es das besagte Protein nicht mehr – außer in Krebszellen. „In früheren Studien haben wir IGF2BP1 zum Beispiel in den Zellen von Leber-, Haut-, Eierstock- und Schilddrüsenkrebs gefunden“, so Hüttelmaier. Warum die Zellen das Protein wieder produzieren, ist nicht vollständig geklärt. Nur so viel ist bekannt: „IGF2BP1 findet man vor allem in bösartigen Tumoren, die auch Metastasen im restlichen Körper bilden können.“ Wie in Embryonen sorgt es in Krebszellen dafür, dass diese rasant wachsen und sich vermehren.
Da das Protein nur in Tumorzellen und Metastasen vorkommt, ist es das optimale Ziel für einen präzisen Angriff: „Wir wollen einen Wirkstoff entwickeln, der gezielt die Funktion von IGF2BP1 blockiert“, fasst Hüttelmaier zusammen. Die Forscher suchen in der Struktur des Proteins nach bestimmten Stellen, die anfällig für Angriffe von außen sind. Für diese speziellen Strukturabschnitte entwickeln sie dann eine Substanz, die nur an dieser Stelle passt. Dockt der molekulare Schlüssel an der gewünschten Stelle an, soll er das Protein ausschalten. Die Idee: Kein funktionierendes IGF2BP1, keine oder weniger neue Tumorzellen. Gleichzeitig lässt sich so sicherstellen, dass die Stoffe, die die Krebszellen bekämpfen, nur dort wirken.
Für diesen speziellen Wirkstoff müssen Hüttelmaier und seine Arbeitsgruppe die Struktur und Funktion von IGF2BP1 extrem genau erforschen und verstehen. Seit dem Umzug ins Proteinzentrum erhalten sie dabei auch Unterstützung von Prof. Dr. Andrea Sinz und Prof. Dr. Milton Stubbs. Beide sind Experten für die Strukturaufklärung von Proteinen und mit ihren Arbeitsgruppen ebenfalls in das neue Gebäude gezogen. „Das eröffnet uns ganz neue Möglichkeiten der interdisziplinären Zusammenarbeit“, sagt Hüttelmaier und verweist nicht nur auf die kurzen Wege, sondern auch auf einen vereinfachten Erfahrungsaustausch und die im Endeffekt kürzeren Zeiten bei Versuchen.
Die ersten Kandidaten für neue Wirkstoffe hat die hallesche Arbeitsgruppe bereits gefunden. „Aktuell müssen wir beweisen, dass die Wirkstoffe nicht nur im Reagenzglas funktionieren, sondern auch in Zellen und später im Körper“, so Hüttelmaier. Daran schließen sich viele weitere Studien und später die mehrjährige Entwicklung eines konkreten Medikaments an, die dann von der Industrie vorgenommen werden müsste. Aber bereits ein geeigneter, passgenauer Wirkstoff wäre ein großer Schritt für die Krebsforschung.
Prof. Dr. Stefan Hüttelmaier
Institut für Molekulare Medizin
Telefon: +49 345 557-3959
E-Mail: stefan.huettelmaier@medizin.uni-halle.de
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