Neu erschienen: DDR-Literatur – eine Fundgrube für die Wissenschaftsgeschichte

14.11.2024 von Katrin Löwe in Rezension, Wissenschaft
In regelmäßigen Abständen wirft „campus halensis“ ab sofort einen Blick auf die im vergangenen Quartal neu erschienenen Publikationen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universität und stellt eine davon ausführlicher vor. Diesmal: ein Handbuch zur Literatur, die sich seit 1952 mit dem Thema Wissenschaft in der DDR auseinandersetzt. Prof. Dr. Peer Pasternack sieht in der Literatur auch eine bedeutende zeithistorische Quelle.
Ein Stapel neu erschienener Bücher
Ein Stapel neu erschienener Bücher (Foto: Leka / stock.adobe.com)

Historiker können aus der Belletristik viel über die tatsächlichen Zustände der Wissenschaft zu DDR-Zeiten lernen – sie tun es bislang aber zu wenig. Zu diesem Schluss kommt Prof. Dr. Peer Pasternack, der Direktor des Instituts für Hochschulforschung (HoF), eines An-Instituts der MLU. Vor diesem Hintergrund steht auch eines der neuesten von ihm verfassten Bücher. „Von Campus- bis Industrieliteratur. Eine literarische DDR-Wissenschaftsgeschichte“ wirft einen ausführlichen Blick auf rund 160 Werke, die sich seit 1952 mit dem Wissenschaftsbetrieb und -milieu in der DDR befasst haben. Beschrieben werden nicht nur deren wissenschaftsbezogene Inhalte. Pasternack analysiert die Werke – vom Roman über Novellen bis zu Erzählungen – auch auf den Informationswert hin, den sie für die zeithistorische Forschung bieten.

Das Buchcover
Das Buchcover (Foto: Tectum-Verlag)

Gemeinhin, so konstatiert der Zeithistoriker und Hochschulforscher in seiner Einleitung, speisen sich wissenschaftliche Texte, die seit 1990 zur DDR entstanden sind, aus Archiven, der Analyse von  politischen, journalistischen und wissenschaftlichen Texten jener Zeit, Statistiken und Zeitzeugeninterviews. All diese Quellen seien aber nur bedingt zuverlässig, weil sie aus verschiedenen Gründen ein verzerrtes Abbild der Realität liefern – sei es durch politische Interessen der Zeit, die Logik der Aktenführung oder die menschlichen Schwächen von Erinnerungen. Pasternack hält die Quellen keineswegs für verzichtbar, plädiert aber eindringlich dafür, die DDR-Belletristik stärker in der Forschung zu berücksichtigen. Ihr sei damals vielfach die Funktion einer Ersatzöffentlichkeit zugeschrieben worden, so sein Argument. Pasternack zitiert den Historiker Jürgen Kuczynski (1904-1997) mit den Worten: „Willst du etwas über unsere Menschen im Alltag erfahren, dann lies Romane, die bei uns erschienen sind …“. Auch die Schriftstellerin Christa Wolf (1929-2011) bemerkte, dass Literatur mangels anderer Gelegenheiten als „Vehikel für öffentliche Auseinandersetzungen“ benutzt werden musste. Darin sieht der HoF-Forscher heute die Stärke dieser Quellen, wenngleich auch bei ihnen nicht auf Deutungen verzichtet werden könne.

DDR-Literatur wurde zwar grundsätzlich auch bisher schon wissenschaftlich aufbereitet, die Studien seien aber ausschließlich in der Germanistik verortet, so Pasternack. In dem nun im Tectum-Verlag erschienenen Buch wurde die einschlägige Literatur in einer Art Romanführer aufbereitet, in dem die einzelnen Werke nach dem Zeitpunkt ihrer Handlung sortiert sind und so eine Art „fiktiven Vielbänder“ ergeben, als hätten sich sämtliche Autorinnen und Autoren zusammengefunden, eine literarische Chronik der DDR-Wissenschaftsgeschichte zu verfassen. Tatsächlich habe die Belletristik nur wenig von dem ausgespart, was in der Wissenschaftsgeschichte relevant war, schreibt Pasternack. Im Nachwort ordnet er die Werke unter anderem nach Orten, Fächergruppen und Disziplinen ein – die MLU ist übrigens in fünf Werken Handlungsort. Und auch wenn der Autor am Ende festhält, dass die von ihm analysierten Werke überwiegend vom Fortschrittspathos getragen sind: Wie häufig Satire und Groteske als Stilmittel eingesetzt wurden, sei beachtenswert. Sie reichen von zunehmender Ironie seit Hermann Kants „Aula“ (1965) über offensiv satirische Plots in den Erzählungen von Helga Königsdorf bis hin zum bissigen „Saiäns-fiktschen“ von Franz Fühmann (1981).

Peer Pasternack: Von Campus- bis Industrieliteratur. Eine literarische DDR-Wissenschaftsgeschichte. Baden-Baden 2024, 640 Seiten, 99 Euro, ISBN: 978-3828849266

Weitere Neuerscheinungen:

  • Friedemann Stengel: Genealogie des Humanismus.Debatten – Kritik – Neue Perspektiven. Bielefeld 2024, 108 Seiten, 25 Euro, ISBN: 978-3-8376-7486-6
     
  • Thomas Ruhland und Friedemann Stengel (Hrsg.):  Von der Physikotheologie zum Vitalismus? Transformationen des Verhältnisses von Naturforschung und Religion im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert. Göttingen 2024, 638 Seiten, 120 Euro, ISBN: 978-3-525-50096-5
     
  • Jörg Echternkamp: Langeoog – Biographie einer deutschen Insel. Berlin 2024, 1.040 Seiten, 29,95 Euro, ISBN:  ‎ 978-3111331287
     
  • Christine Kämpfer, Stefan Knost, Kristin Victor,Frank H. Hellwig, Hanne Schönig, Christoph U. Werner (Hg.): Die Reisetagebücher des Botanikers Carl Haussknecht. Bamberg 2024, 385 Seiten, 27 Euro, online Open Access, ISBN: 978-3-86309-934-3
     
  • Christine Kämpfer, Stefan Knost, Kristin Victor,Frank H. Hellwig, Hanne Schönig, Christoph U. Werner (Hg.): Die Reisetagebücher des Botanikers Carl Haussknecht. Band 2: Persien, 1867–1869. Bamberg 2024, 387 Seiten, 24 Euro, online Open Access, ISBN: 978-3-86309-936-7
     
  • Goerg H. Michler:  Mechanik – Mikromechanik – Nanomechanik. Vom Eigenschaftsverstehen zur Eigenschaftsverbesserung. Heidelberg 2024, 124 Seiten, 19,99 Euro, ISBN: 978-3-662-66965-5
     
  • Andreas Pečar und Marian Füssel (Hg.): Aufklärungsuniversitäten im Alten Reich? Halle, Göttingen und der Wandel der deutschen Universität im 18. Jahrhundert. Berlin/Boston 2024, 317 Seitem, 109,95 Euro, ISBN: 978-3111474687
     
  • Katrin Berndt/Andrew Wells (eds).: The ‘Second World’ in Contemporary British Writing. Göttingen 2024, 253 Seiten, 50 Euro, online Open Access, ISBN 978-3847117575
     
  • Cathleen Grunert, Merle Hummrich, Katja Ludwig, Reutlinger, Verena Schreiber: Lebensräume. Friedrich Schülerheft 2024, Hannover 2024, 96 Seiten, 19,95 Euro,

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Geschichte

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