Dessau-Wörlitz: Ein Gartenreich und Kleinod der Aufklärung
Er studierte an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Germanistik und Altphilologie, war anschließend an dieser Universität Lektor für Latein und Griechisch und schließlich Leiter des Lateinlektorats. Seine wissenschaftlichen Bemühungen galten jedoch vornehmlich dem ,deutschen Aristides‘, wie ihn seine Zeitgenossen nannten, dem ,besten Fürsten‘. Bereits 1958 legte Hirsch eine Studie mit dem Titel Der deutsche Aristides vor, die in DDR-Zeiten jedoch nicht gedruckt werden durfte. Erfolgreicher war er dann mit dem 1966 publizierten Eintrag im Dessauer Kalender (Der Erdmannsdorff-Friedhof in Dessau im Spiegel der zeitgenössischen Literatur) und dem dreißig Seiten umfassenden Aufsatz Halberstadt und Dessau – Zwei Kulturkreise der Goethezeit in ihren Wechselbeziehungen, der 1969 in der Festschrift zur 250. Wiederkehr der Geburtstage von Johann Wilhelm Ludwig Gleim und Magnus Gottfried Lichtwer erschien. Im gleichen Jahr wurde Hirsch an der Philosophischen Fakultät der Martin-Luther-Universität mit der Dissertation "Progressive Leistungen und reaktionäre Tendenzen des Dessau-Wörlitzer Kulturkreises in der Rezeption der aufgeklärten Zeitgenossen (1770-1815). Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Ideologie im Zeitalter der französischen Revolution promoviert."
Der etwas sperrige Titel der Arbeit verweist auf deren problematischen Denkansatz: Entgegen der marxistischen These, derzufolge sämtliche deutsche Fürsten im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert als Sachwalter des reaktionären Spätabsolutismus zu gelten hätten, wies Hirsch nach, dass sich in dem Kleinfürstentum Anhalt-Dessau unter der Ägide des Fürsten und dem Banner der Aufklärung Vorformen einer politisch-sozialen Moderne herausbilden konnten, die, neben absolutistischen, durchaus auch progressive bürgerliche Züge aufwiesen. Die Titelgebung sollte offenbar ,besänftigend‘ auf misstrauische Ideologen wirken. Die erst 2003 erfolgte Druckfassung der Arbeit erschien denn auch, durch neuere Forschungsergebnisse ergänzt, unter dem Titel Die Dessau-Wörlitzer Reformbewegung im Zeitalter der Aufklärung. Personen – Strukturen – Wirkungen.
Neben einer nahezu unüberschaubaren Anzahl von Aufsätzen aus der Feder von Erhard Hirsch erschien 1985 in Leipzig die Monographie Dessau-Wörlitz. Aufklärung und Frühklassik, die im gleichen Jahr in München mit dem Titel Dessau-Wörlitz. „Zierde und Inbegriff des 18. Jahrhunderts“ herauskam und 1987 bzw. 2006 Nachauflagen erfuhr. 1992 habilitierte er mit der Schrift Ein Garten für Menschen: Praktizierter aufgeklärter Humanismus.
Nun also liegen Erhard Hirschs Kleine Schriften zu Dessau-Wörlitz vor, eine Auswahl von Publikationen, die der Forscher an verschiedenen Orten im Zeitraum von 1966 bis 2009 veröffentlicht hat. 51 Aufsätze, die in elf Kapiteln untergebracht sind, geben dem Leser auf 646 Seiten einen Überblick davon, was den Reiz der Forschungsleistung Hirschs ausmacht: die Darstellung der Dessau-Wörlitzer Aufklärung in ihrem Gesamtumfang, ihren Strukturen. Zur Debatte stehen Fragen der philanthropistischen, auf Körper und Geist gerichteten Pädagogik, deren Neuansätze der Fürst in seinem Philanthropinum, aber auch in seinem Wörlitzer Gartenreich durchzusetzen suchte, der Ökonomisierung von Stadt und Land, der Sammlungstätigkeit des Aufklärers, der Landschaftskultur im weiteren und der Gartenkultur im engeren Sinne. Die Bautätigkeit des Fürsten und seines Architekten Friedrich Wilhelm v. Erdmannsdorff findet ebenso Erwähnung wie dessen Sozial-, Toleranz-, Religions- und Konfessionspolitik, ja insgesamt seine Friedenspolitik, die seinem Staatswesen und speziell der Stadt Dessau den Beinamen Irenopolis (Friedensstaat bzw. -stadt) einbrachten.
Von hier aus werden Bezüge deutlich gemacht, die das Ausmaß der Tätigkeit des Fürsten im Kontext der europäischen Kultur widerspiegeln. Auf der einen Seite ließ sich Franz durch intensiv geführte Reisen nach England (1763/64 bzw. 1766/67) oder Italien (1765/66; leider hat sich in der Überschrift zu dieser Reise die Jahreszahl 1992 eingeschlichen) geistig anregen, andererseits jedoch vermittelte seine Reformtätigkeit in Dessau und Umgebung wichtige Impulse in die verschiedensten Länder und Regionen Europas.
Vorgestellt werden Personen, die regen Anteil nahmen an den Fortschritten, die sich in Anhalt-Dessau abzeichneten, die gern gesehene Gäste waren und ihre Eindrücke zu Hause weiter vermittelten bzw. Anregungen zu eigenen Gestaltungen erhielten. Goethe und sein Fürst Carl August von Sachsen-Weimar sind hier zu nennen, Carl Christoph v. Hoffmann, der seinen Garten in Dieskau in enger Korrespondenz zur Wörlitzer Anlage einrichten ließ, Johann Reinhold und Georg Forster, die an der zweiten Weltumsegelung James Cooks teilgenommen hatten und damit ,Weltanschauung‘ im besten Sinne bei häufigen Besuchen in Dessau und Wörlitz zu vermitteln vermochten.
Insgesamt werden die Studien durch eine reiche Bebilderung dem Leser auch sinnlich erfahrbar gemacht. Das gilt ebenso für die im Anhang mitgeteilten Fotoimpressionen von Janos Stekovics, die das Dessau-Wörlitzer Gartenreich in seiner heutigen Gestalt künstlerisch zu erkunden suchen, eine Gestalt, die nicht zuletzt Erhard Hirsch zu verdanken ist, der neben seiner Forschungstätigkeit auch unermüdlich um den Erhalt dieses Kleinods aufklärerischen Bemühens Sorge trug – und dabei nicht immer auf das Wohlwollen seitens politischer Institutionen stieß. 1964 übernahm er die Funktion des Sekretärs der neu gegründeten Kommission zur Erforschung und Pflege des Dessau-Wörlitzer Kulturkreises, die seit 2000 ihren Sitz im Interdisziplinären Zentrum für die Erforschung der Europäischen Aufklärung der Martin-Luther-Universität hat.
Hirsch, Erhard: Kleine Schriften zu Dessau-Wörlitz. Mit Fotoimpressionen von Janos Stekovics.
[Wettin-Löbejün OT Dößel] 2011. 710 S. mit Abb., 58,00 Euro.