Detektivarbeit im Bundeskriminalamt
Herr Professor Wagner, Ihr Projekt erregte große Aufmerksamkeit in der Fachwelt und in den Medien. Wie entstand es?
Patrick Wagner: Angestoßen wurde es im BKA selbst. Zunächst wurden dort wissenschaftliche Kolloquien veranstaltet, die das Thema NS-Vergangenheit auf die Agenda hoben. Damit sollten die Mitarbeiter sensibilisiert werden, außerdem wollte man die Akzeptanz dem Thema gegenüber innerhalb der Belegschaft erhöhen.
Ist das gelungen?
Ja. Zwar haben viele BKA-Mitarbeiter ein Projekt zur Geschichte ihres Amtes zunächst kritisch gesehen, getreu dem Motto: Damit haben wir doch nichts mehr zu tun. Doch es gelang schließlich, die Kritiker einzubinden, weil sie die Möglichkeit erhielten, sich zu äußern.
Wieso erhielten ausgerechnet Sie den Zuschlag für ein weiterführendes Projekt?
Es wird eine Rolle gespielt haben, dass ich viel zur Geschichte der Polizei in der NS-Zeit geforscht habe. Außerdem wollte man jemanden, der der Polizei als Institution eher fern steht und von außen auf das System BKA schaut.
Wie wurde Ihre Arbeit finanziert?
Das Geld, etwa 238.000 Euro, kam vom BKA selbst. Für einen Zeitraum von zwei Jahren gab dafür jede Abteilung einen bestimmten Prozentsatz ab. Davon konnten wir anderthalb Mitarbeiterstellen und einen Werkvertrag finanzieren. Anfang 2009 konnte es losgehen.
Wie sind Sie vorgegangen?
Zunächst mussten wir uns einen Überblick über die Quellenlage verschaffen. Die Frage, welche Akten wo gelandet sind, war nicht einfach zu beantworten. Das lag daran, dass das BKA von anfangs 300 Mitarbeitern auf heute 5000 gewachsen ist. Eine Behörde in der Größe wird regelmäßig umorganisiert. Einzelne Referate wurden anderen Abteilungen zugeschlagen oder zogen um.
Dadurch konnte es passieren, dass Akten verlegt oder sogar vernichtet wurden. Auch galt es zu klären, ob Mitarbeiter bei Versetzungen innerhalb des BKA „ihre“ Akten mitgenommen haben. Unsere Recherchen waren sehr aufwändig und glichen oft einer Detektivarbeit.
Was war die zentrale Fragestellung Ihrer Arbeit?
Wir haben nicht gefragt: Sind viele NS-Polizisten beim BKA gelandet? Das stand bereits fest. Interessiert hat uns, welche Folgen das für die Arbeit des BKA hatte. Außerdem wollten wir klären, ob das Wissen um die Vergangenheit ehemaliger NS-Polizisten in der Behörde überhaupt ein Thema war.
Was haben Sie herausgefunden?
Es wurde deutlich, dass man in den fünfziger Jahren intern viel über die NS-Zeit sprach – und zwar recht positiv. In den schriftlichen Quellen findet man das aber oft nur angedeutet oder zwischen den Zeilen. Etwa, wenn ein Beamter sich in einer Weihnachtsansprache aus dem Jahr 1952 daran erinnerte, dass man früher in der SS statt Weihnachten das Julfest so schön gefeiert habe – wobei er das Wort „SS“ selbst nicht aussprach, aber alle den Bezug verstanden haben müssen.
Wie wirkte sich die Anwesenheit der ehemaligen NS-Polizisten in den fünfziger Jahren auf die direkte Arbeit im BKA aus?
Ein Beispiel: 1957 wurde in Salzgitter ein jüdischer Friedhof geschändet. Das BKA nahm Ermittlungen auf. Wir konnten nachweisen, dass zwei der drei dafür abgestellten Beamten vor 1945 in Osteuropa bei Polizeieinheiten gewesen waren, die am Judenmord teilgenommen hatten.
Die zentrale Frage für uns war, wie sie nun 1957 eine antisemitische Friedhofsschändung bewertet und ermittelt haben. Insgesamt haben wir – einem Puzzle gleich – viele Details gefunden, die sich schließlich zu einem nicht lückenlosen, jedoch erkennbaren Bild fügten.
Und wie sieht das aus?
Die NS-Vergangenheit vieler Beamter hat in den fünfziger Jahren beim BKA eindeutige Spuren hinterlassen. Viele dieser Polizisten glaubten noch nicht, dass das neue System lange hält. Daher hielten sie es nicht für nötig, ihre Gesinnung zu ändern. Im Alltagshandeln mussten sie sich den neuen Rahmenbedingungen anpassen, aber sie bezogen sich intern doch recht offen auf vermeintlich positive Seiten der NS-Diktatur. Das änderte sich erst Ende der fünfziger Jahre.
Zum einen wurde zu dieser Zeit klar, dass die Bundesrepublik stabil bleiben, und – für Beamte ganz wichtig – Pensionen zahlen würde. Zum anderen setzte nun eine ernsthaftere Strafverfolgung von NS-Verbrechen ein.
1959 wurde erstmals ein BKA-Beamter wegen Kriegsverbrechen verhaftet. Dadurch änderten die noch im Dienst befindlichen Beamten ihr Verhalten. Selbst, wenn sie mit dem NS-System innerlich nicht brachen, so galt es fortan wenigstens nicht aufzufallen. Dadurch wurde altes Gedankengut nicht mehr weitergegeben.
Ab 1961 gab es dann beim BKA sogar interne Ermittlungen gegen alle, die vor 1945 im Polizeidienst waren. Im Zuge dessen wurden einige Beamte in andere Behörden „entsorgt“. Zum Beispiel ins Bundesamt für Geodäsie. Dort fielen sie nicht auf. In den 70er Jahren gab es dann beim BKA einen massiven Neuanfang. Es kamen viele neue und gut ausgebildete junge Leute und sie bildeten schnell die Mehrheit. Doch mit dem Neuanfang gab es in der Behörde zugleich ein großes Vergessen.
Mit welchen Folgen?
Dass man sich vieler Aspekte des NS-Erbes einfach nicht mehr bewusst war. Ein Beispiel dafür ist die Kategorisierung von Angehörigen ethnischer Gruppen in polizeilichen Datensammlungen. Das Bewusstsein dafür, dass diese Sortierung aus der Nazizeit her rührt, ging nach 1970 verloren. Zwar änderte sich alle paar Jahre die Sprachregelung, wie man zum Beispiel Sinti und Roma bezeichnet, jedoch ihre spezielle Kennzeichnung in den Akten blieb noch lange Zeit bestehen.
Wie ging das BKA mit Ihren Forschungsergebnissen um?
Die Reaktionen waren positiv. Schon unsere ersten Zwischenberichte flossen in die Ausbildung des Nachwuchses ein.
Ihr BKA-Projekt hat bundesweit großes Medieninteresse hervorgerufen. Nun steht Ihnen bereits das nächste große Vorhaben ins Haus.
Ja. Gemeinsam mit Wissenschaftlern anderer deutscher Universitäten sowie Forschern aus Yale und Oxford beteiligen wir uns an einem Projekt zur Geschichte des Reichsfinanzministeriums. Das wird sicher genauso spannend.