Die Fliege mit dem Fisch-Namen
Sie ist ein unscheinbares Insekt von der Größe einer Fruchtfliege. Für den Fliegen-Experten Dr. Andreas Stark, Projektmitarbeiter am Zentralmagazin Naturwissenschaftlicher Sammlungen (ZNS), ist dieses kleine Lebewesen dennoch einzigartig. „Das sind ganz wunderbar anzuschauende Tiere“, sagt er schwärmerisch. Auch wenn er verstehen könne, dass nicht jeder beim Anblick der Fliege so begeistert wie er „Oh, eine tolle Antenne!“ denke. Diese winzige Besonderheit der Fliege entfaltet sich auch erst unter dem Mikroskop.
Die seinerzeit noch namenlose Eucoryphus piscariviverus wurde erstmals 1993 von einer deutschen Wissenschaftlerin im Hochgebirge Korsikas gefangen. Aber erst 2018 schickte sie die Fliege an Stark, der sie untersuchte und erkannte, dass es sich um eine neue Art handelt. Im Jahr 2019 fanden Brüsseler Wissenschaftler sie schließlich an ähnlichen Orten auf Korsika im Rahmen umfassender europaweiter Studien zur Artenvielfalt wieder und schickten weitere Exemplare an Stark. Vor kurzem veröffentlichten die Forschenden ihre Erkenntnisse zu der bisher unbekannten Fliege.
Als derjenige, der die neue Art zuerst beschrieben hatte, durfte Stark ihr auch einen Namen geben. Er schlug „piscariviverus“ vor, was so viel wie „vom Fischfang lebend“ bedeutet. Also fängt diese winzige Fliege Fische? Natürlich nicht. An der Antenne der Fliege gibt es jedoch einen kleinen geknickten Auswuchs, eine Borste. „Das sieht genau aus wie die Antenne von einem Anglerfisch“, sagt Stark. Anglerfische wiederum leben vom Fischfang. Daher einigten sich die Forschenden auf den Namen „vom Fischfang lebend“ für eine Fliege, die weder mit dem Fischen etwas zu tun hat noch mit dem Anglerfisch verwandt ist.
Aus wissenschaftlicher Sicht hat die Fliege aber noch etwas mehr zu bieten: Eucoryphus piscariviverus lebt nur auf Korsika, sie ist also eine sogenannte endemische Art, die nur an einem Ort weltweit vorkommt. Sie muss irgendwann einmal aus den Alpen herübergeflogen sein, denn dort leben ihre nächsten Verwandten. Etwas weit für eine kleine Fliege, was laut Stark darauf hindeutet, dass es damals eine Landbrücke gegeben hat. „Solche Isolationsprinzipien beobachten wir bei vielen Tieren“, erklärt der Forscher.
Neue Arten zu beschreiben ist für den Insektenkundler auch mit Blick auf die Biodiversität wichtig. „Nur, wenn wir wissen, welche Arten es an einem Ort gibt, können wir sehen, was sich verändert“, sagt er. Während bei Säugetieren nur noch selten bisher unbekannte Arten gefunden werden, geschieht das bei Kleintieren häufiger. Das ZNS erhält jedes Jahr Tausende Tiere, meist Insekten, um sie zu bestimmen und so zum Beispiel zur Erstellung von Roten Listen gefährdeter Arten beizutragen. Auch die korsische Fliege sei als Hochgebirgstier durch den Klimawandel gefährdet, so Stark. Die Verwandten aus den Alpen jedenfalls vertragen zu hohe Temperaturen nicht gut.