Ein Abschied, der keiner ist
Der grausame Tod von Grete Minde in Tangermünde, die Einbecker Bierbraukunst und die Tradition der Halloren – drei Dinge, die auf den ersten Blick nicht viel gemein zu haben scheinen. Auf den zweiten haben sie dies durchaus: Mit ihnen hat sich der hallesche Rechtshistoriker Prof. Dr. Heiner Lück befasst. Er hat untersucht, ob der Gerichtsprozess gegen Grete Minde rechtsfehlerfrei war. Sie soll 1617 Teile der Altstadt von Tangermünde in Flammen gesetzt haben und wurde dafür „geschmöcht“: mit heißem Rauch erstickt, angekettet an einen Pfahl, zuvor mit einer glühenden Zange in Finger und Brust gekniffen. Lück hat auch erfolgreich in die Auseinandersetzung eingegriffen, die der Salzwirker-Brüderschaft im Thale zu Halle 1996 den Fortbestand in der bisherigen Rechtsform sicherte, nachdem Verwaltungsjuristen deren Rechtsfähigkeit in Frage gestellt hatten - nach mehr als 500-jähriger Geschichte! Und er hat auf eine Anfrage aus Einbeck den Entwurf eines Gutachtens ausfindig gemacht, mit dem die Wittenberger Juristenfakultät 1654 der niedersächsischen Stadt im Streit mit ihrem Landesherrn das weitere Braurecht sicherte. „Vielleicht der wichtigste Beitrag der Wittenberger Universität zur Weiterentwicklung der Menschheit gleich nach der Reformation“, wie Lück heute scherzhaft formuliert.
All diese Episoden seines Wissenschaftlerlebens hat der 65-Jährige in einer ebenso erkenntnisreichen wie unterhaltsamen Abschiedsvorlesung in der Aula der Universität zu Gehör gebracht. „Fecit! Was hat der eigentlich gemacht?“, lautete deren Titel – Gliederungspunkte benannte Lück zum Beispiel mit „curiosa“ oder „obscura“. Aber natürlich gab es vorangestellt auch „seriosa“. Darunter fallen die eigentlichen wissenschaftlichen Schwerpunkte des Mannes, der seit 1994 den Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Europäische, Deutsche und Sächsische Rechtsgeschichte in Halle innehat: Sachsenspiegel, Magdeburger Recht, Universitätsgeschichte. Lück ist zum Beispiel Herausgeber der vollständigen Faksimile-Ausgabe der Dresdner Bilderhandschrift des Sachsenspiegels, des um 1225 von Eike von Repgow verfassten bedeutendsten und wohl ältesten deutschen Rechtsbuchs. 924 Bildstreifen mit mehr als 3.000 menschlichen Gestalten sowie Tieren, Naturerscheinungen, Waffen und Gerätschaften waren dafür zu identifizieren, zu beschreiben und mit weiteren erhaltenen Bilderhandschriften zu vergleichen. Lück ist zudem ausgewiesener Experte des Magdeburger Stadtrechts mit tausenden von Schöffensprüchen, die sich von der Elbe aus über ganz Ost- und Mitteleuropa verbreiteten. Das 2004 gestartete Langzeitprojekt an der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig „Das sächsisch-magdeburgische Recht als kulturelles Bindeglied zwischen den Rechtsordnungen Ost- und Mitteleuropas“ steht unter seiner Leitung nun in der Schlussphase. Bis 2024 noch läuft ein weiteres ursprünglich von seinem Lehrer und Vorgänger an der MLU Prof. Dr. Rolf Lieberwirth (1920-2019) begründetes Langzeit-Akademieprojekt zur Edition der Glossen zum Sachsenspiegel für die „Monumenta Germaniae Historica“, die wichtigste wissenschaftliche Organisation für die Edition mittelalterlicher Texte.
Seinen Vorgängern an der Uni Halle widmete Heiner Lück im Übrigen seine Abschiedsvorlesung. Angefangen von Guido Kisch, der 1922 nach Halle kam und wegen seiner jüdischen Herkunft entlassen wurde, über Gerhard Buchda, Gertrud Schubart-Fikentscher und Rolf Lieberwirth bis hin zu ihm selbst stehen die Gelehrten für eine Schule hallescher Rechtsgeschichte, in der das Werk des jeweiligen Vorgängers inhaltlich bewusst fortgesetzt wurde. Alle waren eng mit dem mitteldeutschen Raum verbunden und machten die von hier ausgegangenen Impulse der Rechtsentwicklung national wie international sichtbar. Bis auf Kisch waren die Forscher Ordentliche Mitglieder der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, teilweise freie Mitarbeiter oder Mitglieder der Zentralredaktion der „Monumenta Germaniae Historica“ und seit Buchda Autoren für das renommierte "Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte".
Lücks Leistungen abzubilden, erfordert mehr als wenige Sätze. Die Rechtsgeschichte sei in Halle seit 1994 hell erleuchtet, befand Laudator Prof. Dr. Michael Stolleis. Lück sei „zum Inbegriff des Hallenser Rechtshistorikers“ gewachsen, sagte der Dekan seiner Fakultät Prof. Dr. Henning Rosenau. Und: Er zeige das „Leben eines Gelehrten in der Universität, über die Universität und immer für die Universität“, so Rektor Prof. Dr. Christian Tietje. Rund 690 wissenschaftliche Veröffentlichungen stehen in Lücks Publikationsverzeichnis, darunter 200 Artikel im genannten Handwörterbuch. Fast 20 Ämter und Mitgliedschaften sind in seiner Vita gelistet, darunter neben der Sächsischen Akademie (1998) seit 2016 die korrespondierende Mitgliedschaft in der Andalusischen Akademie für historisch-juristische Wissenschaften zu Córdoba und von 2011 bis 2015 der Vorsitz des Internationalen Fachbeirats des Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt am Main. Seit 2006 ist Lück zudem Ombudsman der MLU.
An Halles Universität hat der gebürtige Nauendorfer (Saalkreis) von 1975 bis 1979 Rechtswissenschaften studiert, wurde 1983 promoviert und habilitierte sich 1988. Sechs Jahre und einige Lehraufträge an anderen Universitäten später hat er einen Ruf an die MLU auf seinen heutigen Lehrstuhl angenommen. Rufe gab es auch nach Greifswald (1993) und Passau (1998) – beide hat er abgelehnt. Die hallesche Uni habe ihm 1999 ein attraktives Bleibeangebot unterbreitet, begründet er sein Bleiben. „Entscheidenden Anteil hatten aber auch die Akademieprojekte in Leipzig.“
„Von was wollen Sie eigentlich Abschied nehmen?“, fragte nun Akademie-Präsident Prof. Dr. Hans Wiesmeth in der voll besetzten Aula im Kreis vieler nationaler wie internationaler Gäste der Abschiedsvorlesung. Vom akademischen Leben insgesamt? Das wäre nicht nur unvorstellbar, sondern mit den Worten eines Volkswirts formuliert – Wiesmeth ist Wirtschaftswissenschaftler – auch eine „Verschwendung von Humankapital“. Nun, so viel ist klar: Die wird es nicht geben. Lück wird zwar mit seinem Ruhestand nicht mehr in die Lehre involviert sein. In die Forschung, kündigte er aber bereits an, will er sich dafür noch stärker einbringen als bisher. „Ich werde auch Stammkunde im Universitätsarchiv bleiben, wie ich es schon seit 1978 gewesen bin“, sagte er. Die Universitätsgeschichte von Wittenberg bleibt eines seiner großen Themen. Aktiv widmen will sich Lück zudem vor allem den beiden laufenden Langzeitprojekten an der Sächsischen Akademie der Wissenschaften. Ein drittes zum sächsischen Weichbild (Magdeburger Stadtrecht) bringt er gerade mit auf den Weg. Falls also jemand fragen sollte „Was macht der eigentlich?“, lautet die Antwort: Immer noch einiges.
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