Einblicke in das Privatleben eines Professors

30.08.2017 von Ines Godazgar in Varia
Einer spät entdeckten und unvermuteten Verwandtschaft verdankt das Universitätsarchiv der Uni Halle einen interessanten Neuzugang: Briefe, Reiseberichte und private Dokumente aus dem Nachlass des halleschen Philologen und ehemaligen Rektors Prof. Dr. Gottfried Bernhardy bereichern seit Kurzem den Fundus der Einrichtung.
Eva und Helge Haun übergaben dem Leiter des Uniarchivs Dr. Michael Ruprecht (Mitte) unter anderem eine Mappe mit Briefen an und von Gottfried Bernhardy.
Eva und Helge Haun übergaben dem Leiter des Uniarchivs Dr. Michael Ruprecht (Mitte) unter anderem eine Mappe mit Briefen an und von Gottfried Bernhardy. (Foto: Markus Scholz)

Archivleiter Dr. Michael Ruprecht nahm die historischen Quellen aus dem Privatbesitz des Ehepaars Eva und Helge Haun aus Wolfen entgegen. Der ehemalige Polizeibeamte Haun ist ein direkter Nachfahre Bernhardys. „Das sind tolle Einblicke in die privaten Lebensverhältnisse eines Professors im 19. Jahrhundert“, sagt Ruprecht, dem die Freude über das Material im Gesicht steht. Der Grund: Üblicherweise erhält ein Universitätsarchiv vor allem Quellen, die als Belege für wissenschaftliches Arbeiten oder die damit zusammenhängende Verwaltung dienen. Private Quellen, wie in diesem Fall, gehören eher nicht dazu.

Zahlreiche Originaldokumente wie Quittungen, Briefe und Urkunden aus dem Nachlass Bernhardys geben einen Einblick in sein Leben.
Zahlreiche Originaldokumente wie Quittungen, Briefe und Urkunden aus dem Nachlass Bernhardys geben einen Einblick in sein Leben. (Foto: Markus Scholz)

Und genau das macht die Neuzugänge so interessant. Taufscheine, eine Heiratsurkunde und sogar ein selbst verfasstes Gedicht finden sich darunter ebenso wie rund 50 Briefe, die der 1875 in Halle gestorbene Bernhardy an Kollegen, seine Töchter Therese, Sophie, Luise und Wilhelmine oder an seine Frau Henriette schrieb – oder von ihnen erhielt. Der älteste stammt aus dem Jahr 1840.

Was sofort auffällt: Der ausgesprochen freundliche Ton, in dem sich der Gelehrte mit seiner Familie austauscht. Oft wird das schon in der Anrede deutlich: „Mein liebes Jettchen“ – so richtet er das Wort an seine Frau, die sich mit der Wendung „Mein lieber Bernhardy“ revanchiert.

Berichte über Alltäglichkeiten finden sich ebenso wie die Ankündigung freudiger Ereignisse. So etwa als Bernhardys Schwiegersohn Emil wortgewandt und nicht ohne Komik die Geburt des zweiten Kindes mit den Worten „Die Katastrophe hat keine vier Stunden gedauert“ mitteilt. Kurios liest sich auch die von Bernhardys Schwägerin geäußerte Sicht auf die Stadt Halle. Am 3. Oktober 1841 schrieb sie an ihn: „Von Halle haben wir nicht viel gesehen. Und ich glaube es ist besser, wenn man so wenig wie möglich davon kennt. Der Geruch macht mir Kopfschmerzen. Ich glaube, dass ich mich nur sehr schwer daran gewöhnen würde.“

Auch Reiseberichte werden minutiös zu Papier gebracht, zum Beispiel als Bernhardy mit zwei seiner Töchter nach Bayern reist. Im Brief an die Daheimgebliebenen offenbart sich das enorme Pensum dieses Wanderurlaubs, angefangen bei ausgedehnten Fußmärschen über Gipfeltouren bis hin zu abendlichen Erbauungen wie dem Besuch einer Operette.

Eine Kiste voller Überraschungen

Dass all diese in altdeutscher Fraktur verfassten Belege bereits in moderne Schrift transkribiert wurden, ist Helge Hauns Frau Eva zu verdanken. „Als Kind habe ich das von meiner Großmutter gelernt“, sagt sie. Ihr Verdienst ist es auch, dass Ehemann Helge überhaupt von seiner Verwandtschaft zu Bernhardy erfuhr. Erste Belege dafür fand sie, als ihr Mann im Jahr 2008 zwei Kisten mit alten Familienunterlagen erbte. Darin: Fotos, Briefe und ein Familienstammbaum. „Darauf fand ich auch den Namen Bernhardy“, erinnert sich Eva Haun. Wenig später stieß sie anlässlich eines Besuchs in Merseburg auf eine gleichnamige Straße und erinnerte sich wieder an den Namen. „Ich arbeitete mich in die Familiengeschichte ein und erfuhr, wer Bernhardy war, und dass seine älteste Tochter Therese mit dem Großvater meines Mannes verheiratet war“, erzählt sie.

Was klein begann, mündete in eine jahrelange Beschäftigung mit den Familiendokumenten. Irgendwann tauchte außerdem die Frage auf, wie man das kostbare Gut angemessen und sicher lagern könne. Auf einem Spaziergang durch Halle entdeckten die Hauns kürzlich und eher zufällig das Universitätsarchiv. Ein spontaner Besuch der Einrichtung führte schließlich zur Entscheidung, die wertvollen Quellen gänzlich der Uni Halle zu überlassen. „So können sie sachgerecht gelagert und digitalisiert werden und bleiben der Nachwelt erhalten“, so Eva Haun.

Neues Forschungsmaterial

Historiker Michael Ruprecht ist mit dieser Entscheidung überaus zufrieden, ergeben sich aus den Neuzugängen doch interessante Schnittstellen für weitere Forschungen. So enthält ein Brief die Schilderung eines Exzesses, in dessen Folge diverse namentlich genannte Personen der Universität verwiesen wurden. Jedoch fehlen genaue Angaben, um welche Hochschule es sich dabei handelt. „Vielleicht stoßen wir in unseren Unterlagen auf Querverbindungen“, so Ruprecht, der sich bei den Hauns mit weiteren Informationen über ihren Vorfahren revanchierte. Darunter: Alte Senatsunterlagen, in denen die Planungen zur Feier anlässlich von Bernhardys 50. Doktorjubiläum dokumentiert wurden. „Obwohl ein großes Fest vorgesehen war, bevorzugte er eine kleine Variante“, sagt Ruprecht, der das als Beleg für Bernhardys Bescheidenheit wertet.

Eva und Helge Haun wollen sich auch weiterhin mit ihrer Familiengeschichte befassen. Als nächstes steht ein Besuch auf dem Stadtgottesacker an. Dort, so haben sie aus einer Quittung aus dem Nachlass erfahren, wurde Bernhardy 1875 nach kurzer Krankheit begraben, wofür seiner Witwe 15 Taler berechnet wurden. Eva Haun: „Wir wollen herausfinden, ob das Grab noch existiert.“

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