Eine Landkarte der Hochschulkonzepte
Sie haben Hochschulkonzepte und hochschulrelevante Wissenschaftskonzepte in Ihrem Buch „Die Ideen der Universität“ unter die Lupe genommen. Welches Konzept würden Sie der Universität Halle zuordnen?
Peer Pasternack: Hochschulen sind in der Regel zu heterogen, als dass sie unter ein einziges Konzept fallen. Für gute Hochschulen ist es ja eher ein Merkmal, dass eine Vielfalt von Ideen und Einstellungen sowie Motivationen vieler Einzelner ihren Ausdruck finden. Was man für die hallesche Universität aber wohl sagen kann: dass sie von den Konzepten der „Humboldtschen Universitätsidee“ und – extern vorgegeben – der „Bologna-Hochschule“ geprägt ist. Sie besitzt zudem Elemente der „Hochschule als regionaler Wirtschaftsfaktor“ und der „The Engaged University“, da sie gute Angebote zur Existenzgründung hat und in die Region ausstrahlt. Das ist ein typischer Mix, der in Deutschland an vielen Hochschulen anzutreffen ist.
Es gibt also nicht das Konzept für eine Hochschule?
Das ist eher selten der Fall. Ein Beispiel wäre die TU München, die sehr stark dem Konzept der „Hochschule im Wettbewerb“ folgt. Und klar ist: Wer zur „Exzellenzuniversität“ gekürt wurde, wird das auch nach außen tragen. Es ist dann aber oft nicht das einzige Konzept, dem sie folgt.
Wie haben Sie Hochschulkonzepte festgelegt?
Wir haben zum einen Konzepte identifiziert, die in einem prägnanten Text gleichsam kanonisch ausformuliert sind, etwa die „Humboldtsche Universität“, die „Hochschule als Dienstleistungsunternehmen“ oder die „Deregulierte Hochschule“. Diese Konzepte werden von vielen als gültig angesehen. Zum anderen gibt es Konzepte, die sich in Hochschuldebatten sukzessive entwickeln und zu denen es eine Vielzahl von Einzeltexten gibt. Für diese haben wir einen rahmenden Titel gewählt, wie zum Beispiel „Kompetenzorientierung“ oder „Die vermessene Hochschule“.
Was steckt denn hinter der „vermessenen Hochschule“?
Diese Hochschule ist stark darauf fokussiert, sich selbst über messbare Leistungsindikatoren quantitativer Art zu definieren. Dazu gibt es keinen Grundtext, die Idee ist jedoch in vielen Texten entfaltet – und wird in mindestens ebenso vielen kritisiert.
Insgesamt haben Sie 44 Konzepte beschrieben. Was sagt diese Vielfalt an unterschiedlichen Ideen aus?
Sie besagt zunächst, dass es wirklich viele Ideen gibt, wobei viele von ihnen Reformulierungen früherer Ideen sind, es wiederholt sich so manches. Es lässt sich aber auch erkennen, dass die Hochschulexpansion, also die Zunahme der Beteiligung an Hochschulbildung, verbunden ist mit einer Hochschulkonzepte-Expansion. Dabei lassen sich drei normative Grundorientierungen unterscheiden: konservativ, marktliberal und auf sozialen Chancenausgleich orientiert. Auffällig ist, dass die Entwicklung marktliberaler Konzepte sehr dynamisch ist. Ihnen lassen sich 15 Konzepte zuordnen. Zur konservativen Strömung zählen nur vier.
Steckt hinter manchen der Konzepte nicht auch mal viel heiße Luft?
Kaum, die Ideen sind auf der Basis bestimmter Grundüberzeugungen meist durchaus anspruchsvoll formuliert. Wer die jeweilige normative Orientierung nicht teilt, neigt aber mitunter dazu, vor allem heiße Luft zu entdecken.
Warum brauchen die Hochschulen überhaupt Konzepte?
Es gibt von Seiten der Politik Druck, Profile zu entwickeln. Hochschulen reagieren darauf, indem sie Konzepte schreiben. Wenn sich eine Hochschule ein bestimmtes Konzept als leitbildprägend setzt und dies für die Außenkommunikation nutzt, dann ist das aber in der Regel Bestandteil des Fassadenmanagements. Es bedeutet nicht, dass sich die gesamte Hochschule dieser Orientierung tatsächlich unterwirft. Institute, Fakultäten oder Professoren haben ja immer auch noch eigene Vorstellungen und Motive.
Wo wirken sich denn dann die Konzepte vor allem aus?
Handlungsrelevant werden Konzepte zunächst eher in der Hochschulpolitik als auf der Ebene einzelner Hochschulen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung betreibt zum Beispiel Förderprogramme zur Nachhaltigkeit oder Geschlechtergerechtigkeit, in der EU-Forschungspolitik sind die Konzepte „Regionale Innovationssysteme“ oder „Responsible Research and Innovation“ in die Förderprogrammatik eingeflossen. Dies stößt dann auf Resonanz bei einzelnen Hochschulen. Zwar gibt es derzeit keine Hochschule, die z.B. dem Konzept der „Nachhaltigen Hochschule“ komplett folgt, aber einige haben das zumindest in ihrem Leitbild formuliert. Von dort aus kann es dann etwa auch den Weg in Lehrpläne von Studiengängen finden.
Sie haben auch die Mutter aller Hochschulkonzepte, zumindest in Deutschland, die „Humboldtsche Universitätsidee“ aufgenommen, also die Einheit von Forschung und Lehre. Ist sie noch aktuell?
Die „Humboldtsche Universitätsidee“ ist neben Max Webers „Wissenschaft als Beruf“ eines der beiden historischen Konzepte, die wir aufgenommen haben. Beide sind in hochschulpolitischen Debatten beständig präsent und werden von vielen neueren Konzepten gern als Referenzkonzepte aufgerufen. So weist etwa das Konzept „Forschendes Lernen“ eine starke Affinität zu Humboldt auf. Dies ist ein Versuch, wesentliche Ideen von Humboldt ins 20. und 21. Jahrhundert zu bringen. Auch das Konzept der „Exzellenzuniversität“ nimmt Anleihen bei Humboldt.
Dagegen haben Sie manche Konzepte wie die „Ordinarienuniversität“ oder auch „Aufstieg durch Bildung“ nicht aufgenommen. Warum?
Diese Konzepte sind mittlerweile einfach so randständig geworden, dass sie in der hochschulpolitischen Debatte keine Rolle mehr spielen. Die „Ordinarienuniversität“ ist historisch diskreditiert und nicht mehr positiv besetzt. Das heißt aber nicht, dass keinerlei ihrer Aspekte in Nachfolgekonzepte aufgenommen werden.
Hochschulen unterliegen immer wieder Trends. Welche Ideen sind denn derzeit stark in ihrer Wirkung?
Das sind momentan vor allem jene Konzepte, die Hochschulen im Wettbewerb sehen, die Hochschulen als regionale Wirtschaftsfaktoren adressieren und die in Richtung gesellschaftlicher Verantwortung gehen. Die beiden letztgenannten bedienen außerwissenschaftliche Interessen, etwa auf dem Gebiet der transformativen Wissenschaft, wo es um Beiträge der Wissenschaft zur Bewältigung der großen gesellschaftlichen Herausforderungen wie Klimawandel, Ernährung, Gesundheit, Mobilität sowie Krieg und Frieden geht. Und es gibt Konzepte wie zum Beispiel „Europäischer Hochschul- und Forschungsraum“, die über eine politische Initiative an die Hochschulen kamen und dort auf große Resonanz stießen. Ein Gegenbeispiel ist die „Bologna-Hochschule“. Zu deren Umsetzung wurden die Hochschulen genötigt, zusammen mit dem Konzept der „Kompetenzorientierung“. Letzteres stieß überwiegend auf wenig Gegenliebe und wird folglich eher auf der formalen Ebene umgesetzt, weil es verlangt wird.
Warum gilt die internationale Hochschule nicht als Konzept?
Es hat sich noch niemand die Mühe gemacht, dies in einen konzeptfähigen Text zu gießen, weil die internationale Orientierung der Wissenschaft als selbstverständlich gilt. Der „Europäische Hochschul- und Forschungsraum“ kommt dem aber nahe, wenn auch auf Europa beschränkt. Er ist ein Konzept mit eindeutigen Zielen: freie Mobilität von Forschern, Studierenden und Absolventen sowie die gegenseitige Anerkennung von Studienleistungen und Abschlüssen.
Ein Blick nach vorne: Welche Konzepte werden in Zukunft die Diskussionen prägen?
Eine große Anfangseuphorie gab es etwa zur „Virtuellen Hochschule“, da gibt es mittlerweile eine gewisse Ernüchterung. Es könnte aber sein, dass sich ein marktwirtschaftliches Konzept der virtuellen Hochschule durchsetzt. Dies könnte die Hochschullandschaft ganz schön durcheinanderwirbeln, denn virtuelle Hochschulen sind nicht zwingend ortsgebunden, nicht ortswirksam und nicht an nationalstaatliche Grenzen gebunden. Wenn sich das als erfolgreiches Geschäftsmodell erweisen sollte, könnte das zu gravierenden Änderungen für die herkömmlichen Hochschulen führen.
Und was ist mit der „Geschlechtergerechten Hochschule“?
Sie hat bereits in den vergangenen Jahrzehnten eine starke institutionelle Etablierung an den Hochschulen erfahren. Erst wurden Frauenbeauftragte eingeführt, dann wurden sie hauptamtlich beschäftigt und erhielten Büros und Mitarbeiter. Eine Hochschule kann es sich heute nicht mehr leisten, nicht auf Geschlechtergerechtigkeit hinzuwirken. Zudem gab und gibt es spezielle Förderprogramme von Bund und Ländern, wie etwa das Professorinnenprogramm. Und es gibt Genderforschung, also Forschung mit explizitem Genderblick. Im akademischen Bereich haben wir eine Offenheit für die geschlechtergerechte Gestaltung der Hochschule und der Wissenschaft. In der allgemeinen Öffentlichkeit ist das nicht so klar. Das ist daher auch eine wissenschaftskommunikative Herausforderung, die im Augenblick häufig noch nicht so gut bewältigt wird.
An wen richtet sich denn Ihr Buch: Eher an die Wissenschaftscommunity oder an die Praktiker in der Hochschulleitung?
Es ist schon eher etwas für Wissenschaftler, die sich mit dem Thema befassen. Allerdings sollte man auch als Hochschulmanager oder -politiker wissen, welche Konzepte derzeit dominant sind. Die von uns veröffentlichte Konzeptlandkarte kann hochschulpolitischen Verantwortlichen beispielsweise helfen, sich in Debatten souveräner einzubringen.
Zum Buch:
Peer Pasternack, Daniel Hechler, Justus Henke: Die Ideen der Universität - Hochschulkonzepte und hochschulrelevante Wissenschaftskonzepte. Bielefeld 2018, 212 S., 39,70 Euro, ISBN: 978-3-946017-14-1