Eiszeit in Äthiopien: Zuflucht im Hochgebirge?
Es ist nicht gerade die menschenfreundlichste Region auf der Welt: Die Bale-Berge im Süden Äthiopiens sind ein sehr regenreiches Gebiet mit teilweise stark schwankenden Temperaturen. Der Landstrich liegt zwischen 3.700 und 4.100 Metern über dem Meeresspiegel – hier wird die Luft dünn: Der deutlich geringere Sauerstoffgehalt macht den Menschen zu schaffen, ihr Stoffwechsel verschlechtert sich. So ist es wesentlich anstrengender, sich in den Bergen fortzubewegen, als es im Tal der Fall ist. Deshalb gilt diese Gegend noch immer als relativ naturbelassen. Gleichzeitig gibt es in der Region einige einmalige Tier- und Pflanzenarten.
„Wegen der schlechten Lebensbedingungen für den Menschen geht man häufig davon aus, dass der afro-alpine Raum erst sehr spät besiedelt wurde“, sagt Bruno Glaser, Professor für Bodenbiogeochemie an der Uni Halle. Im Rahmen der Forschergruppe „The Mountain Exile Hypothesis“, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert und der Uni Marburg geleitet wird, will Glaser mit seinem Bayreuther Kollegen Prof. Dr. Wolfgang Zech im Idealfall das Gegenteil beweisen. Sie arbeiten im Projekt mit Forschern aus Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Ihre Hypothese: Schon während der letzten Eiszeit vor 16.000 bis 10.000 Jahren haben sich Menschen auf das Plateau zurückgezogen.
Während einer Kaltzeit ist es in den Bergen eigentlich kälter. In den letzten 500.000 Jahren zogen sich die Menschen in Europa deshalb immer in wärmere Täler zurück. „In Afrika haben die Warm- und Kaltzeiten aber nicht so gravierend gewirkt“, erklärt Glaser, der Äthiopien aus früheren Projekten zur nachhaltigen Wald- und Bodennutzung gut kennt. So waren die Bergplateaus nicht vereist, im Tal war es aber zu trocken. Bisher gebe es keine schlüssige Erklärung, wo sie in dieser Zeit Zuflucht gefunden haben.
Den Boden als Archiv nutzen
Wenn es die Menschensiedlungen in den Bergen tatsächlich gab, müsste es davon auch Spuren geben – diese müssten selbst nach tausenden von Jahren noch zu finden sein: im Boden oder in der Pflanzenwelt. Genau diese Bereiche wollen Glaser und Zech untersuchen. „Anders als Archäologen, die zum Beispiel nach Steinartefakten in der Natur suchen, verwenden wir den Boden als Informationsquelle.“
Schon mit bloßem Auge lasse sich teils erkennen, wo Menschen gesiedelt haben: „Der Boden ist dunkler, weil er sehr viel Ruß enthält. Es handelt sich um einen sehr fruchtbaren Boden.“
Damit die Arbeiten der Bodenkundler erfolgreich sind, brauchen sie möglichst unbelastete Naturflächen. Das Bodenprofil darf nicht zu sehr durch deutlich jüngere Einflüsse gestört sein. Hier bieten sich die relativ menschenunfreundlichen Bale-Berge an. „Der Boden wurde in den letzten Jahrhunderten und Jahrtausenden nur oberflächlich verändert, die Abfolge ist erhalten geblieben.“ Deshalb plant die Gruppe mehrere Expeditionen, um an verschiedenen Stellen Bodenproben zu nehmen.
Untersuchungen im Isotopenlabor
Mit den Proben können die Forscher chemische Analysen durchführen und so ihre Rückschlüsse ziehen: Menschen scheiden etwa eine bestimmte Menge an Phosphor pro Tag aus – so lässt sich anhand der Rückstände im Boden berechnen, wie viele Menschen in einer Gegend lebten. „Damit lassen sich ganze Flächen kartieren und man kann rekonstruieren, zu welchem Zeitpunkt wie viele Menschen in einem Gebiet gelebt haben.“ Natürlich kann die Gruppe keine auf Person und Tag genauen Angaben treffen, für ein „Gefühl, wie intensiv und groß die Siedlungen waren“, reichen die Daten aber. Und für einen Zeitraum von bis zu 16.000 Jahren lassen sich erstaunlich genaue Angaben machen: „Wir können am Ende zum Beispiel sagen: Diese Fläche war für etwa 500 Jahre von durchschnittlich 1.000 Menschen besiedelt.“
Auch die Pflanzenwelt weise, so Glaser, viele Spuren von menschengemachter Veränderung auf. Es sei auffällig, dass das Heidekraut Erika im Sanetti-Plateau nur fleckenartig wächst – große, zusammenhängende Flächen gibt es nicht. Da die Sträucher empfindlich auf Feuer reagieren – was die Menschen damals in die Region mitgebracht hätten, wenn sie dagewesen wären – könnte diese Besonderheit ein Indiz dafür sein, dass die Gegend besiedelt wurde und der Mensch die hiesige Pflanzenwelt verändert hat. Es könnte aber genauso gut sein, dass das Vegetationsmuster eine Folge von Klimaveränderungen ist.
Um zu verstehen, welche Auswirkungen das Klima auf die Pflanzen hat, müssen die Wissenschaftler zunächst einmal wissen, welche klimatischen Bedingungen vor über 10.000 Jahren in den Bergen geherrscht haben. Das zu modellieren ist Aufgabe des zweiten Projekts, das von Dr. Michael Zech, einem Mitarbeiter Glasers, geleitet wird. Die Wissenschaftler werden versuchen, einige Wetterkenngrößen über die Jahrtausende nachzuvollziehen: dazu gehören beispielsweise Temperatur, die Luftfeuchtigkeit und die Niederschlagsmenge. Auch hier dienen vor allem Sedimentablagerungen im Boden als Archiv für die Analysen. Diese werden mit Hilfe eines von Zech und Glaser entwickelten neuartigen Paläothermometers basierend auf Sauerstoff- und Wasserstoffisotopen im halleschen Isotopenlabor untersucht.
Die Ergebnisse fließen in das übergeordnete Projekt ein, an dem noch weitere Geologen, Archäologen und Biologen arbeiten. Am Ende soll eine kohärente Antwort auf die Frage gegeben werden, ob Menschen tatsächlich vor 16.000 Jahren vor Kälte und Trockenheit in die Berge geflohen sind. „Gelingt uns das, wäre das eine kleine Sensation“, sagt Glaser. Bis dahin sind aber noch einige Expeditionen in Äthiopien und Analysen im Labor nötig.
Kontakt: Prof. Dr. Bruno Glaser
Bodenbiogeochemie
Tel.: +49 345 55-22532
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