„Es braucht eine andere Kultur“

21.10.2020 von Katrin Löwe in Im Fokus, Wissenschaft
Seit September 2018 ist Prof. Dr. Johanna Mierendorff Prorektorin für Personalentwicklung und Struktur an der Universität. Ein Gespräch mit der Erziehungswissenschaftlerin über Herausforderungen in Karriere- und Nachwuchsförderung, Gleichstellung und eine Strategie für die MLU.
Johanna Mierendorff
Johanna Mierendorff (Foto: Markus Scholz)

Sie sind seit zwei Jahren im Amt. Was war für Sie die größte Herausforderung in der Personalentwicklung?
Johanna Mierendorff: Überhaupt zu begreifen, was Personalentwicklung für Universitäten bedeuten kann. Dass sie mehr ist als ein Strauß an Einzelmaßnahmen, sondern wirklich eine Gesamtstrategie. Das ist etwas, was sich an Universitäten erst seit wenigen Jahren durchsetzt. Auch Halle fängt gerade erst an, systematisch eine Strategie zu entwickeln.

Gibt es einen Bereich, wo Sie den größten Handlungsbedarf sehen?
Personalentwicklung kann nicht nur eine Personalabteilung oder ein Prorektorat im Blick haben, sie muss ins Alltagsgeschäft einsickern. Der Prozess, den ich durchlaufen habe, muss in gewisser Weise auch an den Fakultäten vollzogen werden, dort, wo man die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kennt. Eine große Herausforderung ist auch ein Personalentwicklungskonzept für den wissenschaftsunterstützenden Bereich, so wie wir es für den Wissenschaftsbereich schon erarbeitet haben. Dafür haben wir in der seit 2019 existierenden Rektoratskommission für Personalentwicklung eine eigene Arbeitsgruppe gegründet.

Lassen Sie uns einen Blick auf einzelne Handlungsfelder des Konzepts für den Wissenschaftsbereich werfen. Stichwort wissenschaftlicher Nachwuchs: Welche Veränderungen hat es da bereits gegeben, wo ist das Ziel?
Es hat eine viel stärkere Auseinandersetzung gegeben mit Karrieresackgassen und Karrieremöglichkeiten. Da müsste aber noch mehr passieren. Zum Beispiel, dass man bereits eineinhalb oder zwei Jahre, bevor ein Vertrag endet, mit Promovierenden ins Gespräch kommt: Was wird danach? Ist, wenn er denn gewollt ist, ein Weg in der Wissenschaft möglich? Was muss dann getan werden, in welchen Fachkreisen muss ich mich tummeln, wo muss ich sichtbar werden als junger Wissenschaftler, junge Wissenschaftlerin? Die Stellen fallen ja nicht einfach vom Himmel.

Die Universität hat 2019 den Zuschlag für neun Juniorprofessuren mit Tenure Track erhalten. Welche Bedeutung haben sie für Personalentwicklung und Karriereplanung?
Sie bieten jungen Menschen erst einmal eine echte Perspektive. Von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gibt es eine Untersuchung, dass gerade Frauen sehr viel stärker in der Wissenschaft gehalten werden können, wenn sie nach der Promotion einen Anschluss haben, eine reale Stelle, mit der Familienphasen möglich sind – welcher Länge auch immer. Dass scheint die Quote derer, die nach der Promotion nicht abbrechen, zu erhöhen.

Tatsächlich liegt an der MLU der Anteil an Frauen bei Promotionen noch etwa bei der Hälfte, bei Habilitationen sind es dagegen 34 Prozent. Was kann man da noch tun?
Sehr gut beraten und betreuen. Es gab mal eine Veranstaltung bei der Leopoldina mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die einen ERC Grant erhalten haben. Auf dem Podium saß nur eine Frau und sie wurde gefragt, wie sie das geschafft habe. Ihre Antwort ist mir als Konzept im Kopf geblieben. Sie erzählte, dass sie an den Stellen im Lebenslauf, wo sie sich habe entscheiden müssen, immer jemanden hinter sich gehabt habe, der ihr sagte, dass sie das schaffe. Als ich mich habilitiert habe, hatte um mich herum keine Frau Kinder. Inzwischen ist das anders, auch schon während der Promotion. Umso mehr Frauen in der Wissenschaft sind, die Kinder haben und auf solche Posten gekommen sind wie ich, umso stärker ist vielleicht auch der Mut dazu bei anderen. Das ist aber nur ein Teil des Ganzen. Der andere ist nach wie vor das Einhalten familienfreundlicher Zeiten; dass darauf Rücksicht genommen wird, dass Kinder bestimmte Rhythmen haben und man sich nicht immer wieder dafür entschuldigen muss. Da ist die MLU, finde ich, gar nicht so schlecht. Und ein Punkt ist auch eine stärkere Anerkennung von Kindererziehungszeiten in Besetzungsverfahren. Mutterschutz ist Mutterschutz, da kann man nicht viel publizieren. Wenn man nur die Publikationen zählt, wird das negativ ausgelegt – da braucht es eine andere Kultur.

Was halten Sie von dem Begriff Frauenförderung? Kritische Stimmen sagen, er suggeriere, Frauen hätten Defizite und schaffen es ohne nicht.
Ich kann Frauen verstehen, die das sagen. Ich habe auch lange gedacht, das ist eine neue Form von Diskriminierung. Andererseits ist die Förderung, die hier über Gleichstellungsprogramme läuft, ausgesprochen gut – das Mentoring oder das Coaching zum Beispiel. Das knüpft ein bisschen an das an, was ich eben gesagt habe: Dass es extern jemanden gibt, der spiegelt, reflektiert, Wege aufzeigt. Begriffe hin oder her: Es sind wichtige Instrumente, mit denen Frauen gefördert werden und die noch ausgebaut werden können, so dass sie zum Regelangebot gehören. Und nun kommt ein Semikolon: Männer brauchen das auch! Es gibt auch Familienväter, Männer, die sich klar werden müssen, ob sie in der Universität bleiben wollen, in die außeruniversitäre Forschung gehen oder ganz in die Wirtschaft. Männer wie Frauen müssen die Zeit bekommen, sich auch einmal auf das eigene Coaching und die eigene Karriere zu konzentrieren – das ist Personalentwicklung. Hier schließt sich der Kreis.

Sie haben den Weg in die außeruniversitäre Forschung oder die Wirtschaft angesprochen. Wie dramatisch ist es, nach der Promotion eine Universität zu verlassen?
Es sind Lebenswege. In der Wissenschaft zu bleiben, das muss man wollen und darin für sich einen erfüllten Lebensweg sehen können. Gleichermaßen müssen Bedingungen dafür geschaffen werden, dass er tatsächlich möglich wird. Ich würde gar nicht auf eine Quote zielen. Aber wenn man Spaß hat an der Wissenschaft, muss es möglich sein und darf nicht an Fragen des Geschlechts scheitern. Einige Fakultäten haben zum Beispiel angefangen mit aktivem Recruitment, bei dem Frauen gezielt angesprochen werden, wenn eine Professur ausgeschrieben ist. Das finde ich sehr gut.

Zum Schluss vervollständigen Sie bitte kurz: Mehr Frauen in der Wissenschaft wären wünschenswert, weil …
… ich glaube, dass es für junge Frauen ermutigend ist zu sehen, dass es Frauen in der Wissenschaft gibt.

Aus der Vita

Prof. Dr. Johanna Mierendorff ist 1966 in Berlin geboren, wurde nach ihrem Studium der Erziehungswissenschaften an der TU Berlin 1996 an der Universität Bremen promoviert. 2009 habilitierte sie sich an der Universität Hildesheim, im gleichen Jahr trat sie eine Professur für Sozialpädagogik mit dem Schwerpunkt für Pädagogik der frühen Kindheit an der MLU an. Johanna Mierendorff ist Mutter zweier Kinder.

 

Prof. Dr. Johanna Mierendorff
Prorektorin für Personalentwicklung und Struktur
Tel. +49 345 55-21460
Mail: johanna.mierendorff@rektorat.uni-halle.de

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