Feldforschung: Fünf Wochen im Bundestag
Von Treffen mit Lobbyisten in Hinterzimmern mit geheimen Absprachen weiß Ulrike Bergner nichts zu erzählen. 38 Tage lang hat sie fünf Bundestagsabgeordnete bei all ihren Terminen begleitet. Sie will herausfinden, wie und woher die Mitglieder des deutschen Bundestags ihre Informationen beziehen und welche Bedeutung diese Informationen für das politische Handeln der Abgeordneten haben. Dazu hat Bergner bereits 2013 Abgeordnete aus allen – damals noch fünf – Fraktionen angefragt, interviewt und schließlich für je eine Woche begleitet.
„Informationen sind eine Grundbedingung, um politisch handeln zu können. Schließlich müssen die Abgeordneten gewisse Probleme erst einmal kennen, um später Lösungen dafür finden zu können“, fasst die Soziologin zusammen. „Dabei haben Informationen an sich aber keinen Wert, sondern müssen immer kontextbezogen betrachtet werden.“ Dies habe sie vor allem bei den Treffen mit Interessensverbänden beobachten können: „Ich war überrascht, wie sachlich die Argumentationen und wie inhaltlich breit gefächert die Themen stets waren.“ Konkrete Forderungen hätten die Vertreter in der Regel nicht direkt benannt. Stattdessen werden die Forderungen indirekt gemacht, indem vor allem die Informationen präsentiert werden, die für oder gegen ein Thema sprechen. „Für einen Laien der politischen Alltagspraxis waren die Forderungen nicht immer leicht herauszuhören.“
Kein Schreibtischjob
Bundestagesabgeordnete, so Bergner, verbringen einen Großteil ihrer Zeit nicht am Schreibtisch: „Eigentlich sind die meisten immer auf Achse und das ist auch gut so. Sie müssen Berührung mit dem normalen Leben haben und ständig die Impulse aus der Gesellschaft mit aufnehmen.“ Neben den Plenarsitzungen stehen deshalb nicht nur Arbeitskreistreffen und Fraktionssitzungen im Bundestag auf dem Terminplan eines Abgeordneten. Dazu kommen jeweils noch zahlreiche Treffen mit Berufsverbänden, Gewerkschaften und karitativen Einrichtungen auf Bundesebene sowie die Termine im Wahlkreis. Immer war Ulrike Bergner mit dabei und beobachtete das Geschehen. Auch in der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft war sie zu Gast. Dabei handelt es sich eigentlich um einen geschützten Bereich, in dem sich nur die Mitglieder des Bundestags treffen und sich auch über die Parteigrenzen hinweg offen austauschen können. „Es war interessant zu sehen, wie unterschiedlich sich die einzelnen Abgeordneten in den verschiedenen Situationen verhalten haben“, erinnert sich Bergner.
Und neben der großen Termindichte stapeln sich täglich Unmengen an Stellungnahmen, externen Gutachten, Informationsbroschüren und bundestagseigenen Drucksachen auf den Schreibtischen der Parlamentarier. Auch in den E-Mail-Postfächern laufen ständig neue Nachrichten ein. Damit die Abgeordneten in dieser Informationsflut nicht untergehen, haben sie wissenschaftliche Mitarbeiter, die das Material durchsehen und bearbeiten. Sie wählen aus, was aus Sicht ihres Abgeordneten wichtig ist und was nicht. Prioritäten setzen zu können, ist eine der wichtigsten Eigenschaften, über die ein Abgeordneter verfügen muss.
Wer weiß was?
Bergner berichtet, dass es in den Fraktionen immer ein, zwei Personen gibt, die sich intensiver mit einem Themenbereich auseinandersetzen. Diese würden dann zu anstehenden Entscheidungen Empfehlungen abgeben, an die sich die Fraktionsmitglieder im Regelfall auch halten. „Diese Empfehlungen werden in der Regel nicht weiter hinterfragt, außer es betrifft zum Beispiel den Wahlkreis eines Abgeordneten“, ergänzt Bergner. Das könne zum Beispiel sein, wenn darüber diskutiert wird, ob das Fracking-Verfahren in Deutschland eingesetzt werden soll oder nicht. Schließlich betrifft dieses Thema verschiedene Gegenden in Deutschland unterschiedlich stark. „Würde sich aber immer jeder Abgeordnete mit allen Themen beschäftigen, wäre der Bundestag gar nicht mehr arbeitsfähig.“
Auffällig sei, dass die Parlamentarier nicht nur über Sachwissen zu ihren Themen verfügen. „Sie bedenken auch die Auswirkungen ihrer Entscheidungen auf Betroffene sowie die emotionalen Reaktionen der Bürger und sollten das Wohl der Gesellschaft als Ganzes im Blick haben.“ Das Sachwissen müsse also immer auch vor dem Hintergrund des politisch Möglichen beurteilt werden.
Dass die Abgeordneten in dunklen Parkhäusern oder ominösen Briefumschlägen geheime Informationen erhalten, hat Bergner nicht beobachten können. Natürlich würden sie im Vergleich zu den Bürgern sehr viele Informationen erhalten. Diese seien aber auch für alle anderen Menschen zugänglich. Für das Parlament sagt sie im Rückblick auf ihre Zeit: „Die Arbeit der Abgeordneten ist erstaunlich transparent. Und wie in jedem Bereich wird auch dort sehr viel gemenschelt, das ist beruhigend.“