Flucht und Rückkehr: Das Leben der Lea Grundig

16.02.2021 von Katrin Löwe in Wissenschaft, Forschung
Migrationserfahrungen sind ein Schwerpunkt der wissenschaftlichen Arbeit von PD Dr. Jeannette van Laak. In einem neuen Forschungsprojekt befasst sich die Historikerin nun mit der Malerin Lea Grundig (1906-1977), die als Jüdin und Kommunistin vor den Nationalsozialisten floh und nach dem Krieg in der DDR neu Fuß fasste. Von ihr stammen unter anderen zahlreiche Kinderbuch-Illustrationen.
Die Malerin Lea Grundig - ihr widmet sich ein neues Forschungsprojekt in Halle.
Die Malerin Lea Grundig - ihr widmet sich ein neues Forschungsprojekt in Halle. (Foto: SLUB Dresden / Deutsche Fotothek / Klaus Morgenstern)

Lea Grundig ist für Jeannette van Laak in vielerlei Hinsicht interessant. Wegen ihres künstlerischen Schaffens – Grundig illustrierte unter anderem in Palästina 20 Kinderbücher und lieferte in den 1950er Jahren in der DDR rund 400 Illustrationen für eine Neuauflage der Märchen der Gebrüder Grimm. Lea Grundig, sagt die Forscherin, stehe zudem stellvertretend für jüdische Frauen, für die ihre Religion kaum noch eine Bedeutung hatte, die aber während des Nationalsozialismus mit ihren Wurzeln konfrontiert wurden. Insbesondere interessiert sich Jeannette van Laak jedoch für einen dritten Aspekt in der Lebensgeschichte der Künstlerin: ihre mehrfachen Migrationserfahrungen, erzwungene wie selbstbestimmte. Unter diesem Blickwinkel steht ein Forschungsprojekt, das für drei Jahre von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wird.

Jeannette van Laak
Jeannette van Laak (Foto: Katrin Moeller)

„Wir wissen sehr wenig über Frauen, die migrieren“, sagt die Historikerin, die seit 2020 am Institut für Geschichte tätig ist. Welche Erfahrungen machen sie – beim Weggehen, beim Ankommen? Wie kommen sie zurecht? Welche Rolle spielt es, wenn sie wie im Fall Lea Grundig in gerade erst entstehende Gesellschaften emigrieren? Von Lea Grundig gibt es eine Autobiografie, an der sich auch ein späteres Buch über die Künstlerin weitgehend orientiert. „Ich habe aber festgestellt, dass sie ein deutlich vielfältigeres Leben hatte als sie in ihrer Autobiografie erzählte“, sagt van Laak.

Lea Grundig, in Dresden in einer jüdisch-orthodoxen Familie aufgewachsen, emigriert 1940 nach Palästina – auf der Flucht vor den Nationalsozialisten, die sie als Jüdin und Kommunistin verfolgt und zwischenzeitlich verhaftet hatten. Grundig geht ohne ihren Mann Hans. Um eine Einreisegenehmigung für die ursprünglich geplante Übersiedlung nach Großbritannien zu erhalten – das Land gewährt nur alleinstehenden Jüdinnen Zuflucht – hat sich das Paar 1939 scheiden lassen. In Palästina habe die Malerin unter dem Namen Grundig gearbeitet und von ihrem Mann und ihrer erhofften Rückkehr zu ihm berichtet, sagt van Laak. „Sie hat gemerkt, dass sie als geschiedene Frau in dieser Gesellschaft nicht unbedingt einen guten Stand hätte.“ So aber erarbeitet sich die Künstlerin schnell Anerkennung. Sie kann früh ihre Werke ausstellen, verarbeitet künstlerisch unter anderem, was sie vom Massenmord an den Juden liest oder hört. Und verdient sich ihren Lebensunterhalt schließlich mit der Illustration von Kinderbüchern, meist Märchen-, Gedicht- und Liederbüchern.

1946 entschließt sich Grundig zur Rückkehr nach Deutschland – ein ebenso schwieriges Unterfangen wie seinerzeit die Emigration nach Palästina. Es dauert noch einmal drei Jahre, bis sie tatsächlich in Dresden ankommt. „Formal war sie willkommen, aber sie war eine Westemigrantin“, so van Laak – denen sei die Regierung in der DDR sehr misstrauisch begegnet. Zwar erhält sie eine Dozentur und später eine Professur an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden. Ihre Vorstellung, Bilder zu verkaufen, auszustellen und damit über die Zeit des Nationalsozialismus aufzuklären, stößt bei Parteifunktionären jedoch nicht auf Zustimmung. „Da ist sie schon schockiert“, sagt van Laak. Zudem habe sie gemerkt, dass die Verfolgung ihres Mannes, der als Kommunist im Konzentrationslager war, mehr wog als ihre Verfolgungserfahrungen als Jüdin.

Lea Grundig habe gelernt, die Zeichen zu deuten, sagt die Historikerin. Um ein Podium für sich zu finden, stellt die Künstlerin schließlich gemeinsam mit ihrem Mann aus – sie, die sich in Palästina schon eine internationale Reputation mit der Mappe „In the Valley of Slaugther“ erarbeitet hatte. In Dresden hat sich in den acht Jahren Emigration jedoch viel verändert, politisch und gesellschaftlich. Erst ab der zweiten Hälfte der 50er Jahre, sagt van Laak, erfährt sie parteipolitische Anerkennung, wird selbst SED-Kulturfunktionärin, ab 1964 Präsidentin des Verbandes Bildender Künstler der DDR.

Die Wege Lea Grundigs nun unter dem Aspekt der Migration detailliert nachzuzeichnen ist das Ziel des Forschungsprojekts. Dazu werden Briefe, Tagebücher und Manuskripte, aber auch ein Teil ihrer insgesamt 3.000 Zeichnungen ausgewertet – in Archiven und Bibliotheken Dresdens ebenso wie in der Nationalbibliothek von Palästina und der Akademie der Bildenden Künste in Berlin, wo Lea Grundigs Nachlass liegt.

Begonnen hatte van Laak mit der Forschung zu der Malerin schon während ihrer Tätigkeit am Leibniz-Institut für jüdische Geschichte und Kultur – Simon Dubnow in Leipzig. In der DDR sei die jüdische Kultur nicht gefördert worden, sagt die Wissenschaftlerin. Es sei wichtig, diesen „verlorenen Teil“ in die Gesellschaft zurückzuholen. Darüber hinaus: „Es ist eine Frauengeschichte – und noch dazu eine schillernde. Wir würden uns etwas vergeben, wenn wir nicht mehr über diese Frau erfahren wollten.“

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Geschichte

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