Literaturwissenschaft: Forscher mit Heisenberg-Förderung
Berlin, London, Weimar, Gießen, Paris, Jena - so lauten die Stationen im akademischen Leben von Stephan Pabst. Doch angefangen hat für ihn einst alles in Halle. 1972 wurde er hier geboren und hat 14 Jahre seiner Kindheit hier verbracht. Dann zog er um, kehrte aber noch einmal zurück, um hier Germanistik zu studieren. „Halle liegt mir am Herzen“, sagt er, „weil mich Erinnerungen mit der Stadt verbinden, aber auch weil sich die Stadt verändert hat, lebenswerter geworden ist.“ Als Kind, erinnert er sich, wäre er nicht auf den Gedanken gekommen, auch nur einen Finger in die übelriechende Saale zu halten. Heute geht er dort mit seinen Kindern schwimmen.
Auch deshalb kann sich Pabst vorstellen, wieder gänzlich hierher umzuziehen. Aber wo er akademisch landet, hängt dann eben doch davon ab, wo Lehrstühle frei und mit welchen Schwerpunkten sie ausgeschrieben werden. Er weiß: „Der Weg zur Professur ist speziell in Deutschland lang und steinig – und immer weniger planbar. Deshalb bin ich froh, dass die Heisenberg-Förderung Freiheit und ein gewisses Maß an Sicherheit gleichermaßen gewährt.“ Immerhin erstreckt sie sich auf drei Jahre und kann um zwei verlängert werden. Das, so der Germanist, ist deutlich mehr als die meisten akademischen Arbeitsverträge oder andere Stipendien vorsehen.
Dass Pabst sich ausgerechnet Halle ausgesucht hat, hängt eng mit einem der Themen zusammen, die er hier bearbeiten möchte: die DDR-Literatur. Anders als in den USA, Frankreich oder Großbritannien ist dieses Thema in der deutschsprachigen Germanistik fast vollständig „abgewickelt“ worden und kehrt in den letzten Jahren erst langsam zurück. Die MLU in Halle ist eine der wenigen Universitäten mit einem Lehrstuhl, an dem dieses Thema bearbeitet wird. Eine Revision der DDR-Literatur ist aber, so Pabst, dringend geboten, denn sie ist selten an ihrem eigenen Anspruch gemessen worden. Eine Tagung, die er im Frühjahr 2021 zusammen mit der Literaturwissenschaftlerin Prof. Dr. Andrea Jäger veranstaltet, soll daran etwas ändern. Sie geht einer bislang vollkommen vernachlässigten, für die Literatur der DDR aber zentralen Gattung nach: der Reportage.
Dass er selbst noch in der DDR sozialisiert worden ist, bringe ihm den Vorteil, dass er bei der Beschäftigung mit diesem Thema noch über ein Sensorium für dieses untergegangene Land verfüge, so Pabst. Doch eigentlich sei die DDR für ihn schon Ende der 1990er Jahre kein Thema mehr gewesen. Dominant sei die Erfahrung gewesen, dass eine Differenzierung der Herkunft nach Ost und West nicht besonders relevant sei. Dies habe sich erst geändert, als er in den frühen 2000er Jahren ein Jahr als Referent bei einem Bundestagsabgeordneten gearbeitet hat. „Einmal musste ich recherchieren, wie hoch das Gründungskapital bei Unternehmen in Ost und West ist. Die Zahlen differierten erheblich.“ Die gefühlte Einheit bekam einen Sprung. „Ich merkte zunehmend, dass Ostdeutsche ökonomisch und diskursiv weniger am gesellschaftlichen Leben beteiligt wurden“. Und je länger die Wende zurücklag, umso mehr verwunderte ihn das. Das hat schließlich mit dazu beigetragen, sich wieder stärker mit der DDR und ihrer Nachgeschichte auseinanderzusetzen. „Ich fühle da auch eine gewisse Verantwortung“, so Pabst.
In den kommenden fünf Jahren will Pabst in Halle zwei weitere große Themen am Germanistischen Institut vorantreiben. Im September hat er eine internationale Tagung organisiert, die sich mit der so genannten Buchenwald-Literatur befasst hat, also all dem, was in Europa über das Konzentrationslager geschrieben wurde. Und schließlich soll es in einem Themenkomplex um die so genannte „Poetik 2010“ gehen, jenen Ausschnitt der Gegenwartsliteratur, der nach dem rot-grünen Wahlsieg entstanden ist. Zwei Tendenzen prägen diese Literatur, die Sehnsucht nach der „guten alten BRD“ und die Wiederkehr eines härteren Kapitalismus und seiner Kritik. „Das ist nicht nur ein literaturwissenschaftliches Problem“, sagt Pabst.