Gewagt und gewonnen: Bachelor-Arbeit wird Nature-Story
Die beiden haben 2012 in ihren Bachelor-Arbeiten eine wesentliche Grundlagen für die „Nature“-Publikation gelegt und auf molekularbiologischer Ebene nachgewiesen, dass Pflanzen und Tiere während der Embryogenese ähnliche Genaktivitätsmuster zeigen. Geehrt wurden sie im Juli mit dem mit 30.000 Euro dotierten SKWP-Forschungspreis der Universität Halle.
Hajk-Georg Drost (26) und Alexander Gabel (25) treten bescheiden auf, freuen sich jedoch über das, was Ivo Große sagt. Und das klingt so: „Die beiden sind die besten Studenten, die ich in meiner Laufbahn an der Boston University, der Freien Universität Berlin, dem Cold Spring Harbor Laboratory, dem Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung Gatersleben und unserer Uni hatte.“ Einen besseren Laudator kann man sich nicht wünschen.
An so viel Lob ist im Jahr 2008, in dem Drost und Gabel ihr Studium beginnen, noch nicht zu denken. Der Hallenser Hajk-Georg Drost entscheidet sich für ein Studium der Bioinformatik in seiner Heimatstadt. Er interessiert sich für Biologie, ist sich aber sicher, dass die Bioinformatik der neue Schlüssel zu den Geheimnissen des Lebens ist. Allerdings: „Ich hatte kein Vorwissen in Informatik. Das war am Anfang hart und schwer.“ Bei Alexander Gabel, der aus Schönebeck bei Magdeburg stammt, ist das anders: Er hat 2008 vor allem Ahnung von Mathematik und Informatik, noch nicht so viel von Biologie, wie er sagt. Die beiden ergänzen sich, können voneinander lernen und werden ein Team.
Die Herausforderungen werden nicht kleiner. Alles, was die beiden machen, ist interdisziplinär angelegt. Neben einem breiten Wissen in der Biologie und Informatik, neben Mathematik und Logik, brauchen sie auch Kenntnisse aus verschiedenen Bereichen der Chemie und der Physik. Die beiden meistern jedoch jede Hürde, beißen sich durch, sind immer wieder aufs Neue motiviert. Das ist es, was Große lobt: „Noch nie habe ich Studenten erlebt, die dermaßen freudig und energiegeladen danach strebten, den Geheimnissen der Natur auf die Spur zu kommen.“
2011 beginnen Drost und Gabel mit ihren Bachelorarbeiten zur Embryogenese von Arabidopsis thaliana, der Ackerschmalwand, dem pflanzlichen Modellorganismus. Ein Datensatz mit unvorstellbar vielen Informationen ist die Grundlage – ganz frisch zugänglich gemacht von einer anderen Forschergruppe. Ein Glücksfall. Und dennoch: Dass sich Bachelor-Studenten an solch ein Problem überhaupt heranwagen – „das“, so Große, „war mutig“ oder auch, wie Drost lächelnd sagt, „vielleicht auch ein Stück weit naiv“. Die Idee dazu hatte Dr. Marcel Quint, Forschungsgruppenleiter am Leibniz-Institut für Pflanzenbiochemie (IPB) in Halle. Was folgte: Eine weitere erfolgreiche Kooperation zwischen dem IPB und den Bioinformatikern der Universität. Aber könnte das überhaupt funktionieren? Könnte es gelingen, mit Methoden der Bioinformatik herauszufinden, ob es auch bei Pflanzen das Sanduhr-Muster gibt?
Die beiden erfahrenen Wissenschaftler, die beiden Bachelor-Studenten und zwei Doktoranden, die ihr Wissen ebenfalls einbringen, setzen sich zusammen. Immer wieder. Das Ziel: Einen Lösungsweg zu finden, der es ermöglicht, die Abfolgen der Gensequenzen aller rund 27.000 Gene der Ackerschmalwand mit dem kompletten Gensatz von jeweils 1.500 anderen Pflanzen-, Algen-, Tier-, Bakterien-, Pilzarten zu vergleichen. Ein Mensch könnte das im Gegensatz zu einem Superrechner niemals bewältigen. Diesem muss man allerdings fehlerfrei sagen, wie er das machen soll. „Wir mussten also Algorithmen entwickeln, zeigen, dass sie funktionieren, und dann auf den gesamten Datensatz anwenden“, erklärt Alexander Gabel. Das hört sich einfacher an, als es ist.
Die Arbeit nimmt am Ende rund ein Jahr in Anspruch – Verzicht auf Privatleben inklusive, denn auch der Rest vom Studium muss bewältigt werden. Ein Kraftakt. „Aber wir haben etwas erkannt, das vorher noch nie jemand gesehen hat. Das entschädigt für vieles“, sagt Hajk-Georg Drost. Beide weisen schließlich mit bioinformatischen Methoden auf molekularer Ebene nach, was morphologisch niemals erkennbar gewesen wäre: Dass Embryonen von Pflanzen und Tieren dem gleichen genetischen Fahrplan bei ihrer Entwicklung folgen, dass das Sanduhr-Muster zwei Mal unabhängig voneinander - einmal im Tierreich und einmal im Pflanzenreich - evolutionär entstanden sein muss. Bei Tieren war es nur leichter – bereits im 19. Jahrhundert – zu erkennen. Tiere und auch der Mensch durchlaufen in ihrer Entwicklung von der befruchteten Eizelle bis zur Geburt ein Embryonalstadium, in dem sie rein äußerlich kaum voneinander abweichen, obwohl sie sich zuvor und auch danach morphologisch deutlich voneinander unterscheiden. Diese Phase versinnbildlicht die Sanduhr durch die Engstelle.
Die halleschen Forscher reichen die Ergebnisse im Januar 2012 bei „Nature“ ein. Der Prozess der Begutachtung nimmt einige Zeit in Anspruch: Aber schon im Oktober 2012 ziert die Sanduhr die „Nature“-Titelseite. Der Artikel gilt als wichtiger Beitrag zum Verständnis des grundlegenden Entwicklungsprinzips im Tier- und im Pflanzenreich. Doch was erklärt das genau? Könnte das nicht auch reiner Zufall sein, dass Tiere und Pflanzen sich ähnlich entwickeln? Gabel und Drost lächeln. Sie arbeiten gerade an ihrer Masterarbeit und denken über evolutionär neue und alte Gene und auch über dieses Problem nach. Zufall? Wohl eher nicht.
„Es muss ja auch einen Selektionsvorteil gegeben haben“, sagt Gabel. Gab es also ähnliche Strategien im Pflanzen- und im Tierreich, um komplexes Leben zu ermöglichen? Vielleicht. Um diese Frage abschließend zu beantworten, fehlen noch viele Gen-Datensätze. In der Regel stellen heute Forscher diese Daten in einem Open-Acess- Verfahren anderen Forschern zur Verfügung. Für junge Bioinformatiker eine reichhaltige Quelle und keine schlechten Zukunftsaussichten. Viele Untersuchungen stehen erst noch an. Neue Erkenntnisse locken.
Dabei hilft ihnen auch der SKWP-Forschungspreis der Universität. Von der SKW Piesteritz GmbHmit Sitz in Wittenberg gefördert, ist er ist mit 30.000 Euro hoch dotiert und wird für exzellente wissenschaftliche Leistungen von Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern vergeben. 5.000 Euro haben die beiden direkt bekommen und wollen das Geld für Reisen zu wissenschaftlichen Kongressen ausgeben. Und die restlichen 25.000 Euro bleiben Drost und Gabel auch erhalten: Sie werden für Forschungsprojekte der beiden zukünftigen Doktoranden im interdisziplinären Team von Große und Quint Verwendung finden.