„gnugsame mittel“ – das A und O für jede Universität
Heft 1 der ersten Reihe machte die Rede des Verfassungs- und Kirchenhistorikers Albert Werminghoff zur „Hohenzollernfeier“ im Oktober 1915 publik. Heft 78, gedruckt 1941in der Buchdruckerei des Waisenhauses, brachte eine Rede aus Anlass des „Tages des nationalen Erhebung und der Reichsgründung“ (30. Januar 1933) unter die Leute. Gehalten hatte sie – zum Thema „Bismarck als Ordner Europas“ – der Ordinarius für Neuere Geschichte Werner Frauendienst Damit brach die Tradition ab.
Unter veränderten Vorzeichen erfolgte 1959 ein Neuanfang. Erster in der „Neuen Reihe“ der Universitätsreden war der Wirtschaftshistoriker Gerhard Bondi mit dem Vortrag „Zu einigen Fragen der Wirtschaftstheorie in Deutschland“ zu Beginn des Wintersemesters. Zehn Jahre später war, trotz Kontrolle durch Staat und Partei, erneut Schluss: Heft 37 enthielt die Rede des renommierten Literaturwissenschaftlers Thomas Höhle bei der akademischen Trauerfeier für Ernst Hadermann, vormals Direktor des Germanistischen Instituts der Universität.
In den folgenden 20 Jahren wurden von der „Abteilung Wissenschaftspublizistik“ der MLU hauseigene Reihen von „Wissenschaftlichen Beiträgen der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg“ (darunter „Beiträge zur Universitätsgeschichte“) herausgegeben. Sie füllten aber die entstandene Lücke nur teilweise aus.
Vereinzelten Ansätzen nach der Wende – bei der Investitur des Agrarwissenschaftlers Günther Schilling im Mai und im Rahmen der feierlichen Immatrikulation im September 1990 – fehlte ein nachhaltiges Konzept. Doch von vielen Universitätsangehörigen wurde das Desiderat als solches empfunden. Erst seit 2008 indes bildet der hallesche Universitätsverlag eine gute Basis für das Wagnis des dritten Versuchs. Inzwischen hat der Verlag 2012 und 2013 die ersten Hefte der „Halleschen Universitätsreden“ herausgebracht: neben Udo Sträters Rede bei der Investitur im Oktober 2010 zwei Festvorträge der Emeriti Brun-Otto Bryde (Universität Gießen) und Wolf Lepenies (FU Berlin) zu einer Absolventenfeier und anlässlich Gründung des Aleksander-Brückner-Zentrums im Juli und im Dezember 2012, die Antrittsvorlesungen von Andreas Pečar und Robert Fajen im Januar und Februar 2012 sowie den Vortrag von Florian Steger bei einem medizinischen Symposium im Juni 2010.
Die Investiturrede von Udo Sträter war schon beim Hören ein Genuss – beim Wiederlesen ein zweites Mal. Dem tut die verwirrende Zählung der Rektoren keinen Abbruch: Sträter ist nicht der 262., wie er damals selbst vermeinte, sondern (dank Kustos Ralf-Torsten Speler weiß man es nun) bereits der 271. Rektor der Alma Mater Halensis! Außerdem der erste – der nach über 60 Jahren in die (theologisch-rektoralen) Fußstapfen des ersten Primus der Martin-Luther-Universität nach dem zweiten Weltkrieg tritt, des Alttestamentlers Otto Eißfeldt, Oberhaupt der Universität zwischen 1945 und 1948. Seinerzeit – wie zur Gründung der Universität und bis heute – lag ein Hauptproblem darin, „gnugsame mittel“ (so der Staatsrechtler Samuel Pufendorf 1692) zu beschaffen. Zudem wird manch Kurioses berichtet: so, dass es ein Magdeburger Bürgermeister war, der den Anstoß zur Gründung der Hohen Schule zu Halle gab, und dass der Stifter, Kurfürst Friedrich III., im Bezug auf Aufklärung und Pietismus ahnungslos war. Dennoch wurde seine Universität die modernste jener Zeit!
Im Zentrum des Bryde’schen Vortrags standen die historisch gewachsenen Menschenrechte, insbesondere das Grundrecht auf Gleichheit sowie soziale und demokratische Gleichheit. Bei Lepenies lag, dem Anlass gemäß, der Fokus auf Polen und seine Bedeutung für Europa. Eine besondere Rolle spielte das „Weimarer Dreieck“ – für dessen „Wiederbelebung“ er plädiert –, ein von den Außenministern Polens, Deutschlands und Frankreichs (Genscher, Dumas und Skubiszewski) am Goethegeburtstag 1991 begründeter Trialog. Der Frühneuzeithistoriker Andreas Pečar sieht Friedrich II. primär als Feldherrn und seine Texte als „Instrumente politischer Kommunikation und Interaktion“. Die über Seneca und Cicero vermittelte Rezeption epikureischen Denkens bei Boccaccio – vornehmlich in den Novellen des „Decameron“ – spürt der Literaturwissenschaftler Robert Fajen auf. Der ersten deutschen promovierten Ärztin widmete der Medizinhistoriker Florian Steger seinen Festvortrag.
► Udo Sträter: „eine wunderliche conjunctio Planetarum zu Halle – oder: Wie eine Reformuniversität entstanden ist. Investiturrede, gehalten anlässlich der Feierlichen Investitur des 262. Rektor der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg am 8.10.2010, Hallesche Universitätsreden, Band 1, 21 Seiten, Halle 2012, 5,50 Euro, ISBN 978-3-86977-061-1
► Brun-Otto Bryde: Das Verfassungsprinzip der Gleichheit. Festvortrag, gehalten anlässlich der Absolventenfeier des Juristischen Bereichs der Juristischen und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät am 6. Juli 2012 Hallesche Universitätsreden, Band 2, 20 Seiten, Halle 2012, 5,50 Euro, ISBN 978-3-86977-041-3
► Wolf Lepenies: Ost und West, Nord und Süd. Der europäische Himmelsrichtungsstreit. Festvortrag, gehalten anlässlich der Gründung des Aleksander-Brückner-Zentrums für Polenstudien Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg am 12.12.2012, Hallesche Universitätsreden, Band 3, 16 Seiten, Halle 2013, 5,50 Euro, ISBN 978-3-86977-063-5
► Andreas Pečar: Autorität durch Autorschaft? Friedrich II. als Militärschriftsteller. Antrittsvorlesung, gehalten am 18. Januar 2012, Hallesche Universitätsreden, Band 4, 36 Seiten, Halle 2013, 5,50 Euro, ISBN 978-3-86977-067-3
► Robert Fajen: Erzählte Ataraxie. Boccaccio, Epikur und die Kunst des Überlebens. Antrittsvorlesung, gehalten am 2. Februar 2012, Hallesche Universitätsreden, Band 5, 32 Seiten, Halle 2013, 5,50 Euro, ISBN 978-3-86977-073-4
► Florian Steger: Ein Vorbild: Dorothea Christiana Erxleben (1715–1762). Festvortrag, gehalten am 5. Juli 2013,, Hallesche Universitätsreden, Band 6, 23 Seiten, Halle 2013, 5,50 Euro, ISBN 978-3-86977-082-6