„Gott würfelt nicht“ – Drei hervorragende Nachwuchswissenschaftler im Porträt
Dr. Annabell Berger ist seit mehr als fünf Jahren als Mathematikerin am Institut für Informatik an der MLU in einer Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Matthias Müller-Hannemann tätig. In dieser Zeit hat die dreifache Mutter ihre Dissertation „Directed Degree Sequences“ zur algorithmischen Graphentheorie geschrieben, für die sie mit dem Dorothea-Erxleben-Preis geehrt wurde.
Was so kompliziert klingt, hat dennoch einen praxisbezogenen Anspruch: Die Forschung von Annabell Berger ist auf Netzwerkanalyse gerichtet. Dabei geht um das bessere Verständnis von komplexen Zusammenhängen. „Netzwerke beeinflussen Menschen jeden Tag“, sagt Annabell Berger. Oft sind diese Zusammenhänge nicht sofort ersichtlich, „aber es liegen ihnen doch Strukturen zugrunde“. Zur Veranschaulichung zitiert die 39-Jährige Albert Einsteins berühmten Satz „Gott würfelt nicht“. Mit ihrer Forschung versucht die Mathematikerin anwendbare Methoden zu entwickeln, mit denen spezielle Strukturen aufgezeigt und für viele Bereiche anwendbar aufbereitet werden können - seien es Transportnetzwerke, chemische Netzwerke oder das Netzwerk Ökosystem.
Es freue sie, so Annabell Berger, dass durch die Preisverleihung die öffentliche Wahrnehmung einmal auf diese Forschungsergebnisse gerichtet sei. Denn mathematischen Errungenschaften fehle zuweilen der Praxisbezug und deshalb blieben viele Forschungsergebnisse außerhalb des Wissenschaftsbereiches unverstanden.
Übrigens hält Annabell Berger das rationale Denken nicht für die wichtigste Eigenschaft in Bezug auf die Mathematik. Viel entscheidender sei es, „mit Intuition und Fantasie“ an Denkaufgaben heranzugehen. Die Verbindung von Kreativität und Rationalität lebt sie auch privat. Sie macht leidenschaftlich gern Musik. Dieser Teil ihres Lebens sei sogar „viel mehr als ein Hobby, nur müsse man sich ja für einen Weg entscheiden“.
Dr. Jens Gillessen, Lehrbeauftragter im Fach Philosophie an der MLU, war überrascht und erfreut, als er erfuhr, dass er aufgrund seiner umfangreichen Dissertation, immerhin 716 Seiten, ebenfalls mit dem Dorothea-Erxleben-Preis geehrt wird. Nach zwei Jahren Landesgraduiertenförderung und einem Jahr im Graduiertenkolleg "Aufklärung – Religion – Wissen" hatte er seine Arbeit ohne weitere finanzielle Unterstützung fertig gestellt und sieht die Auszeichnung auch als Würdigung dieser Umstände.
Die Doktorarbeit des 32-Jährigen mit dem Titel „Ethische Verallgemeinerungsverfahren. Eine systematische Untersuchung im Ausgang von Kants Kategorischem Imperativ“ versucht alles andere als einen Schulterschluss mit dem prominenten Kantschen Gebot „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Unzählige Wissenschaftler hätten in den vergangenen Jahrzehnten und Jahrhunderten diese Schrift und ihr ethisches Verfahren verteidigt – obwohl die „tatsächlichen moralischen Sicht- und Verhaltensweisen“ des modernen Menschen andere seien, so Jens Gillessen. Es könnte beispielsweise „nicht jeder Philosophie studieren, ohne dass die Konsequenzen verheerend wären“. Dennoch sei das Philosophieren und Studieren keineswegs moralisch anstößig. Gern werde die Kantsche Maxime in Moraldiskussionen hochgehalten – aber hat sie im moralischen Alltagsdenken tatsächlich einen Bezug zur Realität? Jens Gillessen sagt „nein“ und erhielt am vergangenen Freitag den Dorothea-Erxleben-Preis der Martin-Luther-Universität.
Auch bei Dr. Torsten Rahne, Leiter der Audiologie und Neurootologie im Universitätsklinikum Halle, war die Freude über den Christian-Wolff-Preis groß. Denn der Preis ist zum einen nicht an einen Wissenschaftsbereich gebunden, was deutlich macht, dass seine Habilitation aus allen Bereichen hervorsticht. Zum anderen sei es „zugleich eine Anerkennung der Leistungen der Medizinischen Fakultät in Halle“, so der 33-Jährige. Und das in Zeiten, in denen Sachsen-Anhalts Landesregierung mit massiven Kürzungen im Wissenschaftsbereich droht, die das Uniklinikum vor große Herausforderungen stellt.
Die Habilitation mit dem Titel „Methodische Ansätze zur Evaluierung auditiver Leistungen bei Normalhörenden und Nutzern aktiver Hörimplantate“ beinhaltet einen Teil, der sich der Grundlagenforschung im Bereich der Hör-Rehabilitation widmet. Dabei geht es nicht um das Zuhören an sich, sondern um die Schnittstelle im Gehirn, wo die vielfältigen akustischen Informationen, die uns über die Ohren erreichen, gefiltert und vom Gehirn interpretiert werden müssen. Wichtig sei, so Torsten Rahne, dass man wie bei einem Orchester das Ganze verstehe und dennoch die einzelnen Instrumente heraushören könne. Die von ihm entwickelten Methoden zielen außerdem darauf ab herauszufinden, ob bei hörgeschädigten Kleinkindern die akustischen Informationen überhaupt im Gehirn ankommen. Grundsätzlich seien Menschen, die als langzeittaub gelten, sehr schwer zu rehabilitieren, da sich ihr Gehirn schon an die Taubheit gewöhnt habe und andere Informationskanäle nutzt, um die Wahrnehmung zu steuern, erklärt Rahne.
Die Arbeit des Forschers ist wichtig, denn zwei von eintausend Menschen kommen taub zur Welt. Dazu kommen diejenigen, die im Laufe ihres Lebens einen Hörverlust erleiden, zum Beispiel durch einen Hörsturz. Und dadurch, dass wir in einer immer älter werdenden Gesellschaft leben, mehrt sich auch die Zahl der altersbedingten Krankheiten und Leiden, auch im Bereich des Hörvermögens. Der Patienten-Zulauf zur Hals-Nasen-Ohrenheilkunde in der Medizinischen Fakultät in Halle hat laut Torsten Rahne in der Vergangenheit deutlich zugenommen. An dem ausgewiesenen Zentrum für Hör-Rehabilitation erhielt er letztens sogar eine Anfrage eines Patienten aus Russland.