Handels-Preis für Master-Absolventin
Anne Schönborn lacht. Er sei eigen, der Deutsche. Ein bisschen pingelig obendrein. Zumindest, was Lebensmittel anbelangt. Die Qualität soll hoch sein, die Herkunft transparent, der Preis günstig. Er will seine Lebensmittel riechen, sie fühlen und sehen. Ausgestattet mit einem latenten Misstrauen gegenüber dem Online-Versand, ist der Deutsche also alles andere als unkompliziert. Kein Wunder, dass sich Internet-Lebensmittel-Einkäufe im Ausland bisher deutlich schneller durchsetzten als in der Bundesrepublik. „Zumal viele Deutsche den wöchentlichen Einkauf nutzen, um ihre sozialen Kontakte zu pflegen“, sagt Schönborn.
Birnen kaufen, den Dorfklatsch austauchen, die Nachrichtenlage diskutieren und dabei alte Freundschaften instand halten – das gehört in vielen Dörfern zum Alltäglichen. Vielleicht wird sich das ändern, wenn die Generation, die ohne Internet aufwuchs, ausstirbt. Aber das wird noch dauern. So gilt es, Käufer mit einer ganzen Bandbreite an Angeboten zu verwöhnen. Transparent, günstig in der Lieferung, hoch in der Qualität, einfach und sicher in der Zahlung. Klar, dass es sich bei diesem Vorhaben um ein anspruchsvolles handelt. Wie es trotzdem gelingen kann, versuchte Anne Schönborn in ihrer Masterarbeit aufzuzeigen.
Möglichkeiten des Lebensmittelhandels im Internet gibt es viele. Da gibt es diejenigen, die ausschließlich Online auftreten, „Pure-Player“ nennen sie sich. Und dann gibt es diejenigen, die sowohl in Filialen verkaufen als auch im Internet – das sind die „Multi-Channel-Retailer“. Ihnen räumt Schönborn in ihrer Analyse die höchsten Erfolgsaussichten ein: „Bereits jetzt wird der Lebensmittelhandel in Deutschland von nur fünf Unternehmen dominiert, die zusammen 60 Prozent des Umsatzes ausmachen. Nur sie haben die Macht, Mittel und Möglichkeiten, ein solches Projekt überhaupt flächendeckend durchzusetzen.“ Denn nur sie haben bereits jetzt in jeder Stadt ein oder zwei Filialen.
Schönborn rät nämlich: „Am einfachsten ist es, Bestellungen zunächst in den Filialen vor Ort zu packen. Erst, wenn die Bestellungen zu zahlreich werden und ein kritischer Punkt erreicht ist, weil die Nachfrage nicht mehr effizient bedient werden kann, ist es sinnvoll, auf Logistikzentren umzusteigen, die die Bestellungen übernehmen.“ Auch für die Art der Lagerung hat Schönborn Ideen parat. So viele, dass sie für ihre Forschungsarbeit am Donnerstag den Wolfgang Wirichs Förderpreis Handel 2015 einheimste.
In ihren Untersuchungen geht die im Wende-Jahr geborene BWL-Absolventin weniger empirisch vor, sondern arbeitet vor allem mit vorhandener Literatur. Ein schwieriges Unterfangen, wurden doch zahlreiche der vorliegenden Studien zum Thema von Consulting-Firmen durchgeführt, die am liebsten zu dem Resultat kommen, das der Auftraggeber sich von ihnen wünscht. „Alter Wein in neuen Schläuchen“, nennt Schönborn das. Auch Analysen aus dem Ausland können zwar hilfreich sein, basieren aber auf oftmals gänzlich anderen Marktgegebenheiten. „Ich musste also etliche Analysen lesen, bis ich sagen konnte: Das ist auf Deutschland anwendbar und das nicht. Das ist realistisch, das nicht.“
Nicht nur mit ihrer Abschlussarbeit kann Schönborn punkten, auch ihre Vita ist gespickt mit Praktika, Engagements und Nebenjobs, die der Thüringerin im Herbst eine Anstellung als Junior Project Manager Retail in der Wortmann Schuh Holding sicherten – das Unternehmen, das vor allem für seine Tamaris-Damenschuhe bekannt ist. Schönborn arbeitet hier als Projektmanagerin im Bereich Retail (Verkauf). Ein neuer Onlineshop? Die Einführung einer Kundenkarte? Ein neues Aussehen im inneren der Schuhgeschäfte? Schönborn koordiniert.